Effi Briest • Theodor Fontane

Nach Anna Karenina und Madame Bovary ist nun Effi Briest die dritte Ehebrecherin im Bunde. Bisher hat keiner dieser drei Romane meine sehr vage Vorstellung davon, was mich erwartet getroffen. Jedes Buch hat mich auf seine eigene Weise positiv überrascht. Und natürlich muss Fontane sich nun mit Tolstoi und Flaubert messen, das ist klar, denn ich habe diese Bücher ausgehen vom hier und jetzt gelesen, ohne zu differenzieren, was ich natürlich in der Nachbetrachtung tun möchte.

Erstmal bin ich sehr dankbar, dass ich den Inhalt vorher nicht gelesen habe. Eigentlich macht man das ja bei Bücher, die man sich kauft. Bei Effi Briest hab ich das nicht, denn ich wollte einfach nur ein Buch über die dritte bekannte Frau lesen, welche sich auf so unmoralische Weise der außerehelichen Wollust hingegeben hat. Der Inhalt ist aber der Spoiler schlechthin.

Effi Briest habe ich recht schnell ins Herz geschlossen, wenn sie auch nicht unbedingt ein perfekter Mensch ist. Im Laufe des Buches gab es immer wieder Passagen, wo sie mir nicht sonderlich sympatisch war. Ganz bewusst steuert Fontane aber das Bild, dass man sich von Effi bildet und schwächt die Wirkung ihrer Schattenseiten bewusst ab. Das Buch beginnt damit, dass Effi mit dem erheblich älteren Geert verheiratet wird der, wie schon bei Anna Karenina, ein ambitionierter Bürokratenhengst im öffentlichen Dienst ist und als Landrat einen Aufstieg ins Ministerium anstrebt. Ganz so bieder wie Emmas Charles (Madame Bovary) ist er nicht, aber eher der Lehrer, der auf die erst 16 jährige Effi herabblickt und verständlicherweise nicht gerade der Knaller für ein so junges Mädchen ist.

Schon ziemlich zu Beginn des Buches bekommt man die Naivität und die Jugendlichkeit Effis zu spüren. Aus folgenden Zitat springt der unreife Geist von Effis Jugend dem Leser ganz deutlich ins Auge:

Ich bin… nun, ich bin für gleich und gleich und natürlich auch für Zärtlichkeit und Liebe. Und wenn es Zärtlichkeit und Liebe nicht sein können, […], dann bin ich für Reichtum und ein vornehmes Haus, ein ganz vornehmes[…]

Geert nimmt Effi mit in ein kleines, müdes Dorf in der Provinz, wo sich ein 16 jähriges Mädchen einfach langweilen muss. Genau das ist das Plädoyer, die Lanze, die Fontane das ganze Buch hindurch für sie bricht.

Fontane macht nun etwas, das ich so in einem Buch noch nicht erlebt habe und das einfach genial ist. Er erzählt die Geschichte so, dass der Leser das Gefühl hat von einem neutralen Erzähler einen Einblick in das gesamte Leben der Eheleute zu bekommen. Allerdings füllt Fontane nicht den ganzen Raum. Es entstehen Lücken, die erst bei späterer Betrachtung deutlich zutage treten und dem Roman so etwas sehr Faszinierendes gibt.

Bei Anna Karenina steht ein emotionales Portrait einer Frau im Kontext der Gesellschaft im Zentrum, bei Madame Bovary ist es das wilde Streben nach Leidenschaft, was diese beiden Geschichten prägt. Bei Effi Briest ist es aber die Gesellschaft, die Moral dieser und die daraus deutlich hervortretende Gesellschaftskritik Fontanes, die im Mittelpunkt steht.  Das schlägt sich auch sprachlich sehr stark nieder und daher finde ich einen Vergleich mit Tolstoi oder Flaubert recht schwer. Effi Briest ist geradlinig geschrieben, es entsteht kein Gedankenstrom, der einen in Tolstois Romane zieht wie in einen Sog. Es entsteht auch nicht die Melodie der Sprache, die ein Flaubert in meinem Verstand hat erklingen lassen. Zwei Drittel des Buches zeigen das von gesellschaftlichen Normen bestimmte Eheleben, das ganz nach den Gesetzen dieser funktioniert. Leidenschaft kommt da keine auf, obwohl Effi dazu durchaus fähig wäre.

Erst im letzten Drittel kommt es zu der Auseinandersetzung mit dem zentralen Thema. Und auch da in einer sehr gemäßigten Form. Aber genau in dieser beständigen Geradlinigkeit liegt eine ganz starke Kraft, die einen erschauern lässt. Man ist froh in dieser Zeit zu leben, in der eine Frau in der Lage ist ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ohne dass eine männerdominierten Gesellschaft sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt. Genau das ist das Ziel, das Fontane erreichen wollte, davon bin ich überzeugt: zu zeigen, wie diese Strukturen das Leben von Frauen zerstören kann.

In einem Dialog von Geert mit einem Bekannten benennt Fontane diese zentrale Aussage:

Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die andren und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf.

Das Buch lebt von zahlreichen subtilen Anspielungen und Doppeldeutigkeiten, die durch Bezüge auf die Literatur dieser Zeit, Bibelstellen und auch kulturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Anhang dieser Ausgabe leistet hier hervorragende Dienste und zu jeder Seite stehen Erläuterungen und Zitate.

Fazit: Ich fand das Buch in den ersten zwei Drittel nicht besonders spannend, stellenweise sogar langweilig. Erst in den letzten hundert Seiten kam Bewegung in die Geschichte, dafür dann aber auch mit hoher Qualität. Sprachlich hat mich das Buch auch nicht begeistert, wie das bei Tolstoi oder Flaubert der Fall war. Seine Zielsetzung erreicht Fontane aber mit Bravour: Eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Zurecht ein anerkannter und hoch gelobter Klassiker.

Buchinformation: Effi Briest • Theodor Fontane • dtv Verlag • 412 Seiten • ISBN 9783423124997

12 Kommentare

  1. Hallöchen!

    Ich musste Effi mal in der Schule lesen, aber das war meiner Meinung nach viel zu früh und so habe ich nichts verstanden. Hatte mir jetzt erst einen Schuber gekauft, wo u.a. auch Effi und Anna mit drin sind. Bin mal gespannt, wie ich es jetzt ein paar Jahre später finde. Anna Karenina hingegen habe ich noch nie gelesen …

    1. Hallo Franziska,

      Schullektüre ist immer so eine Sache. Effi Briest ist hier wohl das Buch der Wahl für den Deutschunterricht. Ich fand es immer schon schwierig, wenn man ein Buch lesen muss und sich nicht freiwillig für etwas entscheidet.

      Darüber musst du bloggen, wie dir jetzt das Buch gefällt und wie du das jetzt siehst.

      Liebe Grüße
      Tobi

  2. Guten Abend Tobi,

    da hast Du Dir eines meiner Lieblingsbücher erwischt und es tut mir leid, dass es Dir nicht ganz so gut gefallen hat.
    Ich habe das Buch während meiner Schulzeit entdeckt, weil mein Sozialkundelehrer es erwähnte. (Ja, ich war eine Streberin und ich stehe dazu.) Später haben wir es dann auch im Deutschunterricht gelesen.

    Um solche Bücher richtig verstehen zu können, muss man immer die Zeit berücksichtigen, zu der sie geschrieben wurden. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund fand ich die Geschichte mit dem Chinesen schon irgendwie gruselig. Richtig gelangweilt habe ich mich eigentlich nicht.

    Aber es ist auch schon gute 15 Jahre (oder mehr) her, dass ich „Effi Briest“ zuletzt las. Wäre interessant, wie ich das Buch heute sehen würde. Vielleicht sollte ich es wieder einmal lesen…

    Alles Liebe Kerstin

    1. Hallo Kerstin,

      so einen Klassiker wie Effi Briest zu bewerten finde ich immer recht schwer. Die Geschichte steht ja nicht nur für sich, sondern auch in den Kontext ihrer Entstehung. Auf der einen Seite lese ich so ein Buch aus Sicht eines typischen Lesers, der unterhalten werden will. Auf der anderen Seite suche ich gerade bei einem so bekannten Werk nach Tiefgang, nach starken Charakterbilder und den sprachlichen Genuss. Effi selbst fand ich klasse, wie er sie als Charakter herausarbeitet und auch ihre Entwicklung, auch wenn sie nicht positiv ist. Daher kann ich gut verstehen, dass du das Buch so positiv in Erinnerung hast. Hast du mal „Madame Bovary“ gelesen? Das Buch hat mich schon sehr begeistert und nach der Lektüre hat es wohl jedes andere Buch mit ähnlicher Story sehr schwer.

      Liebe Grüße
      Tobi

  3. Huhu 🙂

    Mit großer Freude habe ich deine Besprechung gelesen, liegt die Lektüre bei mir doch schon etwas zurück. Auch ich habe das Buch damals im Deutschunterricht gelesen. Bei mir stellte sich aber der gegenteilige Effekt ein. Ich fand den Anfang ungemein spannend. Jetzt gestehe ich etwas, was vielleicht etwas naiv war.. Fontane war ja Realist. Das habe ich bei meiner Lektüre damals ausgeblendet. Beim Auftreten des Chinesen stellte sich innerlich ein Horror ein, ich war absolut gebannt und dann war er einfach nur eine verdammte Metapher. Himmel, war ich enttäuscht. Danach büßte das Buch einiges an Interesse bei mir ein. Mit diesem hyperrealistischen, detailversessenen Stil kam ich nicht zurecht. Es langweilte mich, obgleich der kritische Aspekt natürlich seine Beachtung fand. Naja.. es ist wohl doch ein zu weites Feld.

    Liebe Grüße!

    Melanie

    1. Liebe Melanie,

      die stark unterschiedliche Wirkung, die Effi Briest bei dem Leser hinterlässt finde ich faszinierend. Hier hat irgendwie jeder einen anderen Eindruck und andere Passagen, die er spannend findet. Das mit dem detailversessenen Stil kann ich gut nachvollziehen. Irgendwie habe ich auch das Gefühl es hängt so ein bisschen vom eigenen Kontext ab. Ich bin sozusagen von Anna Karenina und Madame Bovary aus gekommen und da erscheint Effi Briest in einem ganz anderen Licht als wenn man sich auf die Fassetten des Realismus konzentriert. Aber populär ist das Buch, das muss man schon sagen.

      Liebe Grüße
      Tobi

  4. Hallo Tobi,
    ich bin gerade auf deinen Blog gestossen und kann dir bei dieser Rezension über Effi Briest nur zustimmen. Effi Briest war bei mir Pflichtlektüre in der Schule und obwohl ich dem Werk gerade bei der genaueren Betrachtung einzelner Szenen auch viel abgewinnen konnte, hat es mich doch nicht so mitgerissen wie Anna Karenina, was ich zeitgleich gelesen habe.
    Ich kann hier deine Kritik über die schleppenden ersten 2/3 des Buches durchaus verstehen (im Deutsch-Abi dann auch liebevoll als „Langeweile als Stilmittel“ bezeichnet). Neben den drei großen Ehebruch-Romanen habe ich in der Studienzeit dann auch noch Kate Chopins „The Awakening“ kennengelernt: Hier wird die gleiche Thematik aufgegriffen allerdings von einer weiblichen Autorin in der amerikanischen Gesellschaft. Diesen weiteren Blickwinkel fand ich sehr interessant und vielleicht ist es ja auch etwas für dich:)

    Liebe Grüße,
    Marie

    1. Liebe Marie,

      das ist immer so eine Sache, wenn man in der Schule mit einem Buch gequält wird oder wurde. Ich habe erst von Goethe „Die Leiden des jungen Werther“ gelesen (die Ausgabe von den Hamburger Leseheften) und da waren am Ende einige Fragen für den Schulunterricht. Wenn ich die sehe, dann bekomme ich da auch eine mittelstarke Krise. Die Geschichten werden dann zerkaut bis zum letzten und ich glaube der Goethe würde sich selbst wundern, was die alles aus seinen Texten rauslutschen, woran er nie gedacht hätte. Meine Schulzeit ist da aber insgesamt recht gut verlaufen und ich wurde nicht mit viel Mist gequält.

      Langeweile als Stilmittel ist gut, das setzt ja auch Austen sehr geschickt ein 😉 Kate Chopins hört sich auch echt interessant an. Das ist ja ein echter Geheimtipp. Vielen Dank dafür, das kommt auf meine Liste. Die Unterschiede zwischen der europäischen und amerikanischen Kultur stellt ja Henry James schon ziemlich interessant dar.

      Vielen Dank auf jeden Fall für deinen Besuch und dein Feedback.
      Liebe Grüße
      Tobi

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