Der Schimmelreiter • Theodor Storm

Wer Bücher liebt, dem verfolgen sie, egal wohin man geht und woran man denkt. So also auch mich und während ich vor wenigen Tagen auf einem Deich stand, hinaus auf das wunderschöne Wattenmeer geblickt und den kühlen aber angenehmen Wind der Nordsee auf meinem Gesicht gespürt habe, da ist es, metaphorisch gesprochen, der Schimmelreiter gewesen, der mich verfolgt hat. Wer in der Ecke unterwegs ist, der kommt an Theodor Storm nicht vorbei und insbesondere dann nicht, wenn man exakt in der Region am Meer spaziert, an dem auch sein Buch Der Schimmelreiter seine Kulisse hat.

Das Wattenmeer

Die Geschichte handelt von Hauke Haien, einem Deichgraf und seinem Schicksal, das eng verwoben ist mit dem rauen Land der Nordseeküste. Immer wieder hat es der Mensch hier geschafft, dem Meer ein wenig Land abzuringen und man hat über die letzten Jahrhunderte immer wieder Deiche gebaut und so neues Weide- und Ackerland trockengelegt. Im Sprachgebrauch wird das als Koog bezeichnet und auch jetzt ist hier die Landwirtschaft noch stark verbreitet und an der flachen Küste sind zahlreiche Bauernhöfe mit riesigen Ackerflächen zu finden. Durch einen Deich sind ihre Kooge geschützt und heutzutage ist die Gefahr eines Deichbruchs bei einer Sturmflut nicht mehr ganz so groß, wie es damals der Fall war.

Theodor Storm gibt uns einen schönen Einblick in die Kultur und das Leben der damaligen Zeit, als die Landwirtschaft aber auch das Denken und Handeln der Menschen von der Natur, den Gezeiten und dem Meer bestimmt waren. So folgen wir Haukes Lebensweg, zuerst als Hilfsknecht, bis hin zum Deichgraf und sehr schön taucht man in seine Welt zu denken ein. Das hat mich ein wenig an August Strindbergs Erzählungen der Schärenleute erinnert. Authentisch, mit einigen Beschreibungen der einzigartigen Landschaft, stellt Storm die Menschen realistisch dar. Mit Fehlern und Ecken und Kanten. Mir war keiner der Figuren sympatisch und ich habe mich mit Hauke nicht verbunden gefühlt. Zusehr kommt das raue Wesen dieser Menschen und Zeit heraus und so fühlt man sich eher als stiller Beobachter.

Inspiriert ist diese kurzweilige Novelle von den Sagen seiner Heimat, auf die Storm immer wieder gestoßen ist. Geboren und gelebt hat er in Husum, das nur wenige Kilometer von dem Gebietes liegt, an dem die Handlung von Der Schimmelreiter lokalisiert wird. So habe ich mir auch bei einem Besuch von Husum das Buch gekauft. Und zwar in einem kleinen, sehr gemütlichen Antiquariat, das direkt gegenüber vom Theodor Storm Haus liegt. Nur wenige Gehminuten von seinem Geburtshaus entfernt. Bewohnt hat er es von 1866 bis 1880 und heute ist es ein Museum zu Ehren des Dichters.

Eigentlich schätze ich die Fischer Klassiker sehr und auch Der Schimmelreiter ist in der Reihe verfügbar. Dennoch habe ich zu diesem Heftchen des Hamburger Lesehefte Verlags gegriffen. Mir hat dieses alte Aussehen und dieses speckige Cover gefallen. Und dass es so ein dünnes Geheft ist, das von der Verarbeitung eher an ein Schulbüchlein der 50er erinnert. Trotzdem handelt es sich hier um ein neues Buch und auch wenn ich es in dem hübschen Antiquariat erstanden habe, ist es ein neuer Druck. Auf jeden Fall ist es in sehr stimmiger Umgebung erstanden und mit 1,60 Euro wohl das günstigste Buch, das ich dieses Jahr gekauft habe.

Die Geschichte selbst fand ich unterhaltsam, hat mich aber nun nicht umgehauen. Storm stellt wie oben schon geschrieben die Verhältnisse sehr schön dar und gerade wenn man in der Ecke unterwegs ist, macht es natürlich noch mehr Spaß das zu lesen, aber besonders einfallsreich oder ausgefeilt sind die Figuren und die Handlung nun nicht. Eben ein kurzweiliges Lesevergnügen mit ein paar schönen Beschreibungen des Wattenmeers, aber nichts, das mir nun wahnsinnig intensiv in Erinnerung bleiben wird. Aber das muss auch nicht immer sein und so bereue ich es gewiss nicht, dass ich Der Schimmelreiter gelesen habe.

Sehr unterhaltsam fand ich es dann allerdings, am Hauke-Haien-Koog zu stehen, den es wirklich gibt. Allerdings handelt es sich um einen Koog, der erst 1958 bis 1959 entstanden ist und zu Ehren der berühmten Geschichte des Schriftstellers so benannt wurde. Wie einige der vielen Koogs, liegt auch dieser in einem Naturschutzgebiet und dient zahlreichen Graugänsen als Brutstätte. Hier ist ganz sicher kein unheimlicher Schimmelreiter unterwegs. Zumindest nicht Mittags, wenn ich mit meiner Kamera den Deich unsicher mache.

Hauke-Haien-Koog

Fazit: Der Schimmelreiter ist eine kurzweilige Novelle, die sehr schön eine Sage um einen geheimnisvollen Deichgrafen und die schöne Natur an der Küste des Wattenmeers aufleben lässt. Ohne großem Aufhebens wird hier die Kultur und die Menschen im 18. Jahrhundert porträtiert und der Leser taucht ein, in eine fremde, raue und schöne Welt, die maßgeblich vom Meer und den Gezeiten geprägt ist. Kein großes Kino, aber auch nicht langweilig, sondern eben eine Sage, so wie sie auch Großmutter zu einem Pott Pharisäer erzählen würde. Und genau das wollte Storm wohl auch erreichen.

Buchinformation: Der Schimmelreiter • Theodor Storm • Hamburger Lesehefte Verlag • 112 Seiten • ISBN 9783872910011

13 Kommentare

    1. Huhu Tine,

      Husum ist echt schön und überhaupt die ganze Ecke. Deinem Beitrag über die Urlaubswoche an der Nordsee entnehme ich aber, dass du gerade woanders in Deutschland unterwegs bist?

      Liebe Grüße
      Tobi

      1. Genau, Studium, Referendariat und nun die Arbeit haben mich von der Nordsee weggeholt, so dass ich mittlerweile in Ostwestfalen-Lippe wohne. Die Leute hier sind aber immerhin von der Mentalität den Nordfriesen nicht unähnlich. 🙂

        Liebe Grüße zurück 🙂

  1. Das deckt sich mit meinen Erinnerungen an Storm. Wiewohl ich den Schimmelreiter in der Schule lesen musste und das zu damaligen Zeiten noch die angenehmste Schullektüre war, sind mir von Storm (den ich komplett mit Anfang 20 gelesen und schwerst geliebt habe) ganz andere Novellen vordergründig präsent. Ich hab nicht wirklich mehr eine Ahnung vom „Schimmelreiter“ (ich mühe mich schon eine Viertekstunde, aber da ist nix), während ich „Immensee“ , „Der Spiegel des Cyprianus“, „Die Regentrude“ oder „Viola tricolor“ und viele andere noch direkt nacherzählen könnte…Zeit, mal wieder die Storm-Bände heraus zu kramen. Danke für die Anregung.

    1. Liebe Devona,

      „Der Schimmelreiter“ ist halt so das bekannteste Buch und meistens starte ich bei einem Autor von Klassiker auch immer mit dem populärsten Werk. Storm wäre bei mir erstmal nicht mehr auf der Liste, aber vielleicht werde ich bei leerem SuB mal zu einer anderen Novelle von ihm greifen. Schön kurz sind sie ja 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

    1. Liebe Heike,

      das kann ich durchaus nachvollziehen. Wenn ich mir vorstelle jetzt diese Geschichte zu zerpflücken und jedes Detail durchzulutschen, wie es immer im Deutschunterricht der Fall war, würde es mir auch übel aufstoßen. Natürlich kann man viel aus den Charakteren herausinterpretieren, aber so spannend wie eine Anna Karenina oder Madame Bovary sind sie sicherlich nicht.

      Liebe Grüße
      Tobi

  2. Irgendwie ergeht es mir so ein bisschen wie den anderen hier. Ich habe das Buch vor X-Jahren gelesen, aber eigentlich weiß ich nichts mehr über den Inhalt. Aber ich weiß, das ich keine Lust habe, es nochmal zu lesen. 😉

    1. Liebe Hermia,

      das kann ich schon nachvollziehen. Also nochmal würde ich das Buch wohl auch nicht lesen. Und wenn man sowas als Schullektüre aufgezwungen bekommt, so wie das bei vielen der Fall ist, dann sowieso nicht 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

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