In einem Monat, in einem Jahr • Françoise Sagan

Mit „Die Bibliothek der verschwundenen Bücher“ legt Die ZEIT einige in Vergessenheit geratene Klassiker neu auf. Irgendwie ist es aktuell ein Trend alte Schätze neu zu heben und wieder in ansprechender Form anzubieten. Nachdem ich schöne Bücher und Klassiker liebe, hoffe ich, dass sich dieser Trend fortsetzt und noch mehr Verlage auf diesen Zug aufspringen.

In einem Monat, in einem Jahr erschien mir am interessantesten, auch wenn der Klappentext wohl der Kürzeste ist, der mir bisher untergekommen ist. Allerdings ist das Buch mit 112 Seiten so dünn, dass alles andere ein Spoiler gewesen wäre. Gut, ich übertreibe, aber mehr als eine Kurzgeschichte ist das Buch nicht. Daher war ich neugierig, was mich auf so wenig Seiten wohl erwarten würde. Von Françoise Sagan habe ich bisher nichts gelesen und auch noch nichts gehört.

Der Schreibstil ist klar und die Sätze einfach, aber dennoch wirkungsvoll. Man kommt sehr schnell in die Geschichte hinein und es fällt leicht Sagan zu folgen. Sehr schnell werden einige Figuren eingeführt und der Leser bekommt punktuell relevante Informationen und macht sich so ein erstmal fragmentartiges Bild, das sich sehr schnell mit Leben füllt. Dabei hat mich der Stil sehr an französische Filme erinnert, die so eine ganz eigene Stimmung haben und für mich so typisch französisch sind. Mit Pausen, wo nur die Szene wirkt und Dialogen oder Gedankengängen, die irgendwie nachwirken, ein Echo im Verstand hervorrufen und dezent nachhallen.

Sagan beschreibt hier das Schicksal einiger Bewohner von Paris in den 50er Jahren, wobei die Handlung durch einige bewusst gewählte Orte zwar vorangetrieben wird, Paris und seine Vororte aber irgendwie trostlos und wenig freundlich wirken. Alle Protagonisten sind Teil einer gemeinsamen Gesellschaft und stehen in unterschiedlicher Beziehung zueinander, wobei Begehren, Liebe, Abweisung, Sehnsüchte und Ehrgeiz recht nahe beieinander stehen und das zentrale Sujet des Buches bilden. Über der ganzen Geschichte hängt aber eine Melancholie und für mich auch eine seltsame Hoffnungslosigkeit. Eine ganz eigene Stimmung, wie sie eben auch in einigen französischen Filmen so ganz typisch auftaucht, ohne dass ich sie genauer benennen könnte.

Irgendwie hat mich der Stil auch an Albert Camus erinnert und betrachtet man sich ihre Figuren, dann haftet an ihrem Schicksal auch tatsächlich die zentrale Frage des Existentialismus. Aus einer völligen Freiheit konstruiert jeder Charakter sein eigenes Schicksal und ist gleichzeitig Opfer seiner selbst, denn Gefühle, wie Liebe oder Ehrgeiz, erscheinen als bestimmende Elemente, die sich dem Einflussbereich der Menschen entziehen. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, benennt Sagan Tatsachen und tränkt ihre Betrachtung mit einem fahlen Beigeschmack von Hilflosigkeit oder dem Leben ausgeliefert sein.

[…]denn das Leben gibt mit der einen Hand, was es mit der anderen wieder nimmt. (S. 59)

Fazit: In einem Monat, in einem Jahr ist ein Buch, das trotz seiner Kürze eine Empfehlung ist. Mit seiner klaren und unverstellten Betrachtung von menschlichen Beziehungen und dem Streben nach Liebe, Erfolg und Zufriedenheit rührt Sagan an ganz zentrale Fragestellungen, die für jeden eine Relevanz haben. Dabei ist es spannend zu verfolgen, wie ihre Charaktere mit den unterschiedlichen Situationen umgehen und ihr Stil und der Hauch von Melancholie, Hoffnungslosigkeit und Existentialismus der darin mitschwingt, machen dieses verschwundene Buch tatsächlich zu einem Klassiker, der sehr lesenswert ist. Seine Schwäche ist sein geringer Umfang und eine gewisse Schmucklosigkeit, die wohl allen von dem Existentialismus beeinflussten Werken anhaftet.

Buchinformation: In einem Monat, in einem Jahr • Françoise Sagan • Eder und Bach Verlag • 112 Seiten • ISBN 9783945386118

10 Kommentare

  1. Moin, lieber Tobi,

    Sagan hat ihren ersten Bestseller in nur sieben Wochen schon mit 18 Jahren (1954) geschrieben: „Bonjour tristesse“. Und löste damals einen Skandal damit aus.
    Mit 22 Jahren hatte sie einen Autounfall. Die Folge: eine lebenslange Drogensucht.

  2. Lieber Tobi, danke für die Erinnerung an Françoise Sagan. Dadurch habe ich unter meinen Schätzen soeben eine in Leinen gebundene und numerierte Ausgabe des Verlags René Julliard aus dem Jahr 1954 wiedergefunden! Ich liebe es, wenn an vergessene Bücher erinnert wird.
    Viele Grüße!

    1. Ist das eine französische Ausgabe? Das hat schon was, so ein Buch im Schrank stehen zu haben. Bücher mit Leineneinband und einer ordentlichen Fadenbindung, mit stimmiger Typographie bringen mich auch ins Schwärmen. Das hat einfach was, da macht das Lesen noch mehr Spaß. Besonders wenn das dann noch eine Autorin wie Sagan ist.

      Liebe Grüße
      Tobi

  3. ein wirklich interessantes Buch, sehr sympathische Rezension.
    Wiedermal eine Erinnerung daran, dass ein Leben viel zu kurz ist, um alle tollen Bücher und Autoren dieser Welt zu entdecken 🙂

    1. Liebe Jenni,

      oh ja, das Leben ist definitiv zu kurz für alle guten Bücher. Ich glaube Sagan ist eine Autorin, die man recht leicht übersieht und daher passt das Buch hervorragend in diese Reihe der verschwundenen Bücher.

      Liebe Grüße
      Tobi

    1. Liebe Petra,

      also „Bonjour tristesse“ ist auf der Liste, allerdings nicht mit höchster Prio. Fand ihren Stil ganz angenehm und schön, im Moment locken aber doch noch einige Bücher, die vielversprechender sind.

      Liebe Grüße
      Tobi

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