Schnell, dein Leben • Sylvie Schenk

Als Buchblogger kommt es immer wieder vor, dass einmal ein Buch unerwartet eintrudelt und wenn es eines vom Hanser Verlag ist, dass zudem nicht sonderlich dick ist, dann lass ich mich durchaus zu der Lektüre verleiten. Auch dann, wenn es eigentlich inhaltlich nicht meinem Beuteschema entspricht. Ich schau aber immer wieder gerne über den Tellerrand und habe es selten bereut mal etwas ganz anderes zu lesen. Schnell, dein Leben ist ein solches Buch und über meine Eindrücke will ich ein bisschen erzählen.

Der Titel Schnell, dein Leben ist hier wirklich Programm. Das lediglich 160 Seiten umfassende Buch beschreibt das Leben von Louise, die in einem kleinen Bergdorf der französischen Alpen aufwächst, nach Lyon geht um zu studieren und sich schließlich in einen Deutschen verliebt und mit ihn in seine Heimat zieht. Die Gedanken, die Erlebnisse, die Gefühle und Eindrücke von Louise beschreibt Schenk mit einer ganz klaren, präzisen Sprache, schnell und treffend und schafft es, in diesen wenigen Seiten ein komplettes Leben zu porträtieren. Das ist für mich wirklich eine sehr kunstvolle Seite an dem Buch, denn so fokussiert zu sein und gleichzeitig eine Biografie emotional zu färben und als stimmiges und geradliniges Gesamtwerk eines Lebens zu komponieren ist eine ordentliche Leistung. Für gewöhnlich würde ein Buch mit dieser Geschichte wohl eher um die 400 Seiten umfassen. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, dass nun etwas fehlt, sie nicht ausführlich genug ist.

Diese präzise Klarheit in Schenks Sprache erzeugt auch ganz deutliche Bilder. Von dem Bergdorf, von ihren Eltern, von der kleinen Bar oder wie sie ihre ersten körperlichen Erfahrungen macht. Alles zieht vor dem geistigen Auge vorbei wie Szenen eines Films. Die Szenen wechseln recht schnell und so besteht das Buch aus vielen kurzen Kapiteln. Verglichen mit dem verschwurbelten Stil der Romantiker oder der Realisten ist das Buch hier am komplett anderen Ende der Skala und entsprechend leicht und schnell liest es sich.

Am Ende geht es um das Schicksal einer jungen Frau der Nachkriegsgeneration, die unter dem Nachwirken des zweiten Weltkrieges als Französin natürlich einen damals sehr gewagten Schritt unternommen hat, als sie sich mit einem Deutschen verbunden hat, dem ehemaligen Feind, der zahlreiche Gräueltaten in den Zeiten der französischen Besatzung begangen hat. Das ist ganz sicher das zentrale Sujet des Buches und immer wieder taucht die Frage nach der Schuld, nach Versöhnung und auch das Aufeinandertreffen von verschiedenen Weltbildern und Ideologien auf. Das merkt man schon ganz am Anfang, als sie das patriarchische Familienmodell Louises Eltern darstellt, wie die Mutter jeden Tag ihr Haushaltsgeld vom autoritären Vater bekommt. Und wie die Kinder aus diesem Muster ausbrechen, ihr eigenes Leben nach einem ganz anderen Zeitgeist leben. Das alles habe ich als sehr authentisch empfunden und durchaus das Gefühl, dass Schenk hier ganz gut getroffen hat, was die Generationen zusammengehalten und auseinandergetrieben hat. Aber natürlich nimmt auch die jugendliche Identitätssuche von Louise, aber auch von ihrem studentischen Freundeskreis einen gewissen Raum ein. Dabei hat Schenk sehr schöne und gut formulierte Gleichnisse.

„Eltern stecken in ihren Kindern und können sie schwer und traurig machen. Wenn man Glück hat, werden sie immer kleiner mit der Zeit, wie russische Matroschkas, sie verschwinden aber nie.“ (S. 100)

Wer einen Blick auf den Klappentext mit der Biographie der Autorin wirft, wird feststellen, dass dieses Buch deutliche autobiografische Züge hat. Auch Sylvie Schenk wuchs in einer kleinen Stadt, in Gap (Hautes-Alpes) in den französischen Alpen auf, studierte in Lyon und auch sie verliebte sich in einen deutschen Chemie-Studenten und ging mit ihm nach Deutschland. Die Gedanken, die Zweifel und Wünsche, die sie ihrer Protagonistin gibt, sind sicher nicht aus der Luft gegriffen und so nachvollziehbar und deutlich wie sie diese schildert, wie sie auch die kulturellen Unterschiede darstellt, wurzelt sicher einiges davon in ihrem eigenen Leben.

Einige Dinge an dem Buch konnten mich allerdings nicht begeistern. Eines davon ist die Erzählform in der zweiten Person Singular, also mit Du.

„Als kleines Mädchen der fünfziger Jahre weißt du von deiner Minderwertigkeit und möchtest lieber ein Junge sein.“ (S. 7)

Mit diesem Satz beginnt der Roman und diese Form behält das ganze Buch. Mich hat das irgendwie irritiert, denn es schafft zwar irgendwie eine größere Nähe als ein auktorialer Erzählstil, aber auch wieder weniger als die Ich-Form, die ich als wesentlich angenehmer empfunden hätte. So hatte ich immer irgendwie das Gefühl, mir will jemand Gedanken unterschieben, die nicht meine sind. Auf jeden Fall sind Bücher in dieser Erzählform sehr selten, was durchaus verständlich ist.

Auch wenn die Autorin französische Wurzeln hat, ist dieses Buch für mich typisch deutsch. Die Stimmung ist grundsätzlich negativ, alle Personen haben irgendwelche Probleme, Depression, Tod, Unzufriedenheit garniert mit Nazi, Hitler, Judenverfolgung, der Schuldfrage und und und. Das ganze Thema zweiter Weltkrieg inklusive Nazis und Aufarbeitung ist einfach durch, das ist ausgelutscht, das ist die 1000te Wiederholung, die es auch nicht besser macht. Es mag sein, dass es den Horizont erweitert, man sich damit intellektuell herausputzen kann, wenn man sich mit diesen Themen beschäftigt. Aber gleichzeitig machen Geschichten dieser Art trübsinnig, den Himmel wolkenverhangen und sind wohl das Futter für die German Angst.

Schnell, dein Leben von Sylvie Schenk

Fazit: In gerade einmal 160 Seiten porträtiert Sylvie Schenk das Leben einer Frau mit einer klaren und präzisen Sprache und gerade diese stark geraffte Form mach dieses Buch zu etwas Besonderem. Auf so wenig Raum Gedanken, Gefühle, Wünsche und Zweifel, aber auch die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges auf das Leben einer Frau aus der Nachkriegsgeneration darzustellen, sind eine bemerkenswerte Leistung. Gleichzeitig konnte mich allerdings die Erzählperspektive, die negative Grundstimmung und das Thema nicht vollständig begeistern. Ein Buch, dass durchaus lesenswert ist, aber auch den Nerv beim Leser treffen muss.

Buchinformation: Schnell, dein Leben • Sylvie Schenk • Hanser Verlag • 160 Seiten • ISBN 9783442486069

9 Kommentare

  1. Hallo Tobi,
    Dieses Buch liegt auch noch auf meinem SUB. Eine Lesung der Autorin habe ich letzte Woche leider verpasst. Deine Rezension macht mich neugierig auf das Buch. Ich bin gespannt welche Wirkung die Erzählperspektive auf mich haben wird. Die von dir angesprochenen „ausgelutschten“ Themen empfinde ich nicht als solche. Doch das ist Geschmackssache.
    Deine Beschreibung erinnert mich Anfangs stark an „Ein ganzes Leben“ von Seefelder. Auch hier wird das Leben eines Menschen auf vergleichsweise sehr wenigen Seiten aufgezeigt.
    Eine Freundin von mir hat einen ähnlichen Lebensweg wie die hier beschriebene Protagonistin, nur ein paar Jahrzehnte später. Ich bin gespannt, ob sich hier Parallelen auftun werden.
    Grüße
    Silvia

    1. Liebe Silvia,

      ich habe das Buch schon als etwas ganz eigenes empfunden. Ein Stil, den man nicht an jeder Ecke antrifft und auch das starke komprimieren einer Lebensgeschichte macht es schon sehr lesenswert. Was natürlich das Thema angeht, da kann man sich über Geschmack streiten, was nur bedingt sinnvoll ist. Aber wenn natürlich ein nahestehender Mensch ein ähnliches Schicksal hat, ist es natürlich klar dass das Thema dann wesentlich interessanter für einen ist.

      Ich bin auf jeden Fall auf deine Rezension dazu gespannt.

      Herzliche Grüße
      Tobi

  2. „…Das ganze Thema zweiter Weltkrieg inklusive Nazis und Aufarbeitung ist einfach durch, das ist ausgelutscht, das ist die 1000te Wiederholung, die es auch nicht besser macht. …“
    Das mag ein wenig flappsig formuliert sein und daher härter ankommen, als du es vielleicht meinst — aber selbstverständlich ist das Thema II. Weltkrieg inkl. Nazis nicht durch. Leider. Ebensowenig wie die Römer oder Etrusker jemals durch sein werden. Es ist schade, aber dieser Satz hat mir deine an sich interessant geschriebene Rezension verleidet.

    1. Liebe Tania,

      das habe ich natürlich bewusst provokant und mit political incorrectness formuliert. Den eigenen thematischen Fokus setzt man natürlich auf die Themen, die einen interessieren, faszinieren und gerade beschäftigen. Da hat jeder seine Vorzüge und ich nehme natürlich meine betreffend kein Blatt vor den Mund. Bei meiner Rezension lege ich großen Wert darauf hier aber zu differenzieren, was ich auch im Fazit ganz deutlich tue. Denn gut geschrieben ist das Buch, da kann man nichts sagen.

      Liebe Grüße
      Tobi

  3. Es ist schon eine Meisterleistung eine ganze Biographie in nur 160 Seiten unterzubringen.

    Klingt auf jeden Fall spannend, auch, dass zweite Person Singular als Erzählperspektive verwendet wird. Ich habe noch nie ein Buch mit dieser Erzählperspektive gelesen, oder ich kann mich zumindest nicht mehr daran erinnern. Hm, könnte was für mich sein, ich bin doch so geschichtlich interessiert:)

    Liebe Grüße,
    Valerie von MeerderWörter

    1. Liebe Valerie,

      da ging es mir ganz ähnlich, ich konnte mich auch nicht erinnern jemals ein Buch aus der Perspektive gelesen zu haben (mit Ausnahme von Abenteuerspielbücher, die immer in der Perspektive sind, aber das ist was anderes). Aber ich muss sagen, wenn man betrachtet, was die Autorin da in 160 Seiten packt, dann bekommt man selbst Lust so etwas zu schreiben. Und würde wahrscheinlich schnell frustriert aufgeben, denn ich bin mir sicher da steckt viel Denkarbeit dahinter das so zu komprimieren. Also wenn dich der geschichtliche Rahmen interessiert, kann ich dich nur dazu ermuntern das Buch zu lesen!

      Liebe Grüße
      Tobi

  4. Lieber Tobi,

    ich verstehe gut, was du meinst! Bücher über die NS Zeit kann ich absolut nicht mehr lesen, außerdem ist die Stimmung in solchen Büchern für meinen Geschmack viel zu trist. Schon in der Schule wurde ich dazu verdonnert solche Bücher zu lesen, dann ging es weiter auf der Uni mit der Pflichtlektüre. Irgendwann ist einfach Schluss!! Es ist auch sehr schade, dass wir Menschn im Deutschsprachigen Raum irgendwie auch gezwungen werden uns damit zu befassen, auch heute noch. Das wird wohl noch lange nachklingen. Aber ich finds toll, dass du auch mal Neuerschinungen eine Chance gibst, bei mir ist das ähnlich. Das müssen dann aber ausgewählte Bücher bei mir sein, die mich thematisch betrachtet interessieren. Ich mag Memoiren und Portäts sehr gerne. LG

    1. Liebe Tinka,

      irgendwie bekomm ich immer zwei Seiten mit. Einigen geht es wie uns, die wurden einfach in der Schule so zugepumpt mit diesen NS Themen, dass einfach irgendwann genug ist. Andere sind davon fasziniert und können einfach nicht genug davon bekommen. Ich für meinen Teil finde beispielsweise Bücher aus der Zeit und über die französische Revolution und die Jahre danach viel spannender. Weil sie die Republiken und das Demokratieverständnis maßgeblich geprägt haben und auch zeigen, wie wenig Bewusstsein für viele Dinge da sind. Wenn ich mir die politische Diskussionen so anschaue, glaube ich dass viele es wirklich bitter nötig hätten, mehr über diesen Ursprung der Demokratisierung Europas zu lesen. Und wie bewahrens- und schützenswert das ist. Dann in Schule und Studium das tausendste Buch über Hitler durchzukauen… ich weiß nicht.

      Neuerscheinungen haben es bei mir momentan irgendwie echt schwer. Aber ab und zu mogelt sich doch noch eins in meinen SuB 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

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