Pariser Symphonie • Irène Némirovsky

Es gibt Bücher, die tauchen immer wieder auf und aus einer anfänglichen Unentschlossenheit wurde dann nach den Rezensionen von Maike und Petra die Entscheidung für diese kleine Sammlung an Erzählungen. Die Autorin war mir unbekannt, aber die zeitliche Einordnung in das Paris der 20er und 30er Jahre bietet einen sehr stimmungsvollen und interessanten Hintergrund. Ich mag momentan Novellen und Kurzgeschichten ganz gerne und lese gerne kurze Bändchen zwischen zwei dicken Klassikern. Meine Befürchtung eine melancholische Grundstimmung wie bei Munro vorzufinden, konnten die beiden Rezensionen zerstreuen und tatsächlich haftet Némirovskys Stil etwas ganz Individuelles an.

Öffnet man ein Buch, dann blickt man auch immer auf die Seele des Menschen, der es geschrieben hat. Vielleicht nur verschwommen, stark verzerrt und gesteuert, durch einen kontrollierten Erzähler. Dennoch gibt es etwas, das immer zwischen den Zeilen liegt, etwas, dass vielleicht eine bewusst hervorgerufene Stimmung ist, aber als solche aus einem ganz bestimmten, unbewussten Grund des Autoren forciert wurde. Dieser Gedanke drängte sich mir bei der Lektüre von diesem Buch besonders stark auf. Und das Nachwort offenbart, dass diese Annahme gar nicht so verkehrt ist.

Irène Némirovsky, die 1903 in Kiew geboren und in Sankt Petersburg in gehobenen Verhältnissen aufgewachsen ist,  floh im russischen Bürgerkrieg nach Frankreich. Dort kam ihre Familie wieder zu Wohlstand. Mit ihren Romanen wurde sie schnell in der Pariser Literaturszene berühmt. 1942 wurde Némirovsky, die jüdische Wurzeln hatte, nach Auschwitz deportiert, wo sie auch kurz darauf starb. Ihre Kinder, die von ihrem Mann, kurz vor der eigenen Deportation, mit einem Koffer voll wichtiger Habseligkeiten ausgestattet wurden, flohen und schafften es, sich zu verstecken. In dem Koffer befand sich Némirovskys unvollendeter Roman Suite française, der schließlich erst 2004 wiederentdeckt, veröffentlicht und sofort ein großer Erfolg wurde.

Die Novellen in diesem Buch sind zwischen 1929 und 1942 entstanden und handeln von Menschen, zumeist Frauen, welche auf ihr Leben zurück blicken und mit einem gewissen Schwermut und einer Desillusioniertheit betrachten. Häufig passiert das in verschiedenen Szenen und nur wenige Eindrücke werden ausgeführt, sondern finden primär ihren Ausdruck in der Figur selbst. In ihrem Umfeld, in der Art und Weise wie sie charakterisiert wird, oder darin, was die Figur selbst erzählt und von sich offenbart. Immer ist es eine erbarmungslose und wenig einladende Welt, ohne Chancen, mit wenig Wärme und Freude. Einige der Geschichten haben auch eine gestörte oder nicht aufgearbeitete Beziehung zwischen Mutter und Tochter zum Thema. Das Nachwort verrät, dass dies autobiographische Züge hat und Némirovsky eine unglückliche Kindheit hatte und sich von ihrer selbstherrlichen Mutter nur wenig geliebt fühlte.

„Man vergibt seine Kindheit nicht. Eine unglückliche Kindheit ist so, als wäre deine Seele ohne Begräbnis gestorben. Sie stöhnt bis in alle Ewigkeit.“ (S. 216)

Mit ihren Texten ruft sie ein sehr klares Bild hervor und schafft es ihre Charaktere stark fokussiert und mit deutlichen Konturen zu skizzieren. Die Szenen erscheinen deutlich vor dem geistigen Auge und die Menschen nehmen nach nur wenigen Zeilen deutlich Gestallt an. Und zwar eher durch ihre Wesenszüge, als durch ihr Aussehen. Dabei wurde Némirovskys Stil stark vom Kino und dem aufkommenden Film geprägt. Bei einigen Novellen in diesem Buch tritt das ganz deutlich Zutage. Die Novelle Ein Film liest sich wie ein stark gerafftes Drehbuch und sie nannte den Stil selbst „filmische Novellen“. Szenenwechsel und Übergänge werden hier deutlich beschrieben und tatsächlich erinnern die Stimmung und die hervorgerufenen Bilder an französische Filme. Zumindest kann ich mich an eine ganz eigene Atmosphäre erinnern, die in vielen französischen Filmen vorherrscht. Wo wenig gesprochen wird, die Umgebung und das Bild einige Zeit auf den Betrachter wirkt und die Handlung plötzlich ganz ruhig wird, die Situation ihre ganze Wirkung entfaltet, bevor sie wieder Fahrt aufnimmt.

Bei einigen anderen Erzählungen ist mir diese starke Prägung durch Elemente aus Filmen nicht so aufgefallen. Und ich glaube, dass das daran liegt, dass in zeitgenössischer Literatur das Bewegtbild schon sehr stark gewirkt und die Art zu erzählen verändert hat. Wenn ich an einige Fantasy-Romane zurück denke, dann ist es völlig normal, Abläufe visuell darzustellen und in der Vorstellung hervorzurufen, wie man sie sonst wohl eher in einem Film erwarten würde. Daran gewöhnt man sich als Leser recht schnell.

Mich haben die elf Erzählungen in diesem Buch gut unterhalten, ich habe mich in die Figuren einfühlen und ihre Lebenssituation und oft auch den Rückblick auf ihren Lebensentwurf sehr gut nachvollziehen und nachempfinden können. Die Themen, eine unerfüllte oder getrübte Liebe, tragische Beziehungen zwischen Mutter und Tochter, oft auch dramatische Wendungen und Entwicklung im Leben verschiedenster Menschen sind durchaus gelungen. Die kalte Welt, die Némirovsky vor dem Leser entfaltet, die Desillusioniertheit, die Erbarmungslosigkeit, die diesen Geschichten anhaftet, haben bei mir gewirkt, sind aber gleichzeitig der Grund, wieso mich dieses Buch nur bedingt begeistern konnte. Ich weiß einen klaren, ehrlichen und eine realistische Perspektive auf die Gesellschaft, die Welt und den Menschen durchaus sehr zu schätzen, denn dieses schonungslose Offenlegen der typisch menschlichen Eigenschaften ist das, was Bücher so richtig interessant macht. Némirovsky entfaltet dabei aber eine Welt, in der ich mich als Leser sehr unwohl gefühlt habe. Ich bin mir sicher, dass sie das auch beabsichtigt hat. Bei mir hat sie doch oft ein Unbehagen hervorgerufen.

„Unser schwaches Gedächtnis bewahrt die kleinste Spur des Glücks, die zuweilen so tief eingeprägt ist, dass man an eine Wunde denken könnte.“ (S. 16)

Fazit: Diese lesenswerte Sammlung an Erzählungen stellt auf eine sehr bildhafte und „filmische“ Weise verschiedene Menschen in szenenartigen Episoden vor und präsentiert Lebensentwürfe, die Themen wie eine unerfüllte oder getrübte Liebe oder die problembehaftete Beziehung zwischen Mutter und Tochter als zentrales Sujet haben. Die elf Novellen sind unterhaltsam, angenehm zu lesen und haben viel Tiefgang. Gleichzeitig ist die Welt, die Némirovsky skizziert kalt, desillusioniert und erbarmungslos. Häufig haben die Geschichten ein gewisses Unbehagen in mir hervorgerufen und so lässt mich das Buch mit gemischten Gefühlen zurück. Auf jeden Fall trifft hier der Leser auf hohe literarische Qualität.

Buchinformation: Pariser Symphonie • Irène Némirovsky • Manesse Verlag • 240 Seiten • ISBN 9783717524120

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