Deephaven • Sarah Orne Jewett

Es ist schon wieder einige Zeit her, dass ich einen der schönen Klassiker von Mare in Händen gehalten habe. Auf Deephaven habe ich mich sehr gefreut, besonders weil ich sicher wusste, dass es diese ganz bestimmte Brise Meer verströmt, die allen Klassikern der Mare Reihe anhaftet und die gerade dieser Tage eine mehr als willkommene Möglichkeit ist, der echten Welt zu entfliehen. In eine etwas heruntergekommene ruhige Hafenstadt des 19. Jahrhunderts sollte es den Leser verschlagen und diese Ankündigung im Klappentext hat noch einmal mehr die Vorfreude auf das Buch bei mir geweckt.

Deephaven ist eine kleine fiktive verschlafene Küstenstadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Helen und ihre beste Freundin Kate, beide 24 Jahre jung und aus wohlhabenden Hause, wollen einen Sommer dem geschäftigen Boston entfliehen und erklären sich bereit, das Haus von Kates verstorbener Großtante zu hüten. Gemeinsam erkunden sie diesen kleinen heruntergekommenen Küstenort und lernen dort die hiesige Landschaft mit ihren etwas eigenwilligen Bewohnern kennen. Die Erzählung handelt im Jahre 1877 an der schönen und zuweilen rauen Küste von Maine.

Der Roman beginnt mit Helen und wie sie mit Kate den Sommer plant und wie sie sich dann recht schnell auf machen, zu dem kleinen Ort Deephaven. In den einzelnen Kapiteln werden dann episodenhaft die Erlebnisse der beiden jungen Frauen geschildert und darin lernt dann der Leser primär anhand der sehr eigenen und originalen Einwohner den Ort kennen. Zu Beginn fand ich die Figuren eher gewöhnlich und deren oft entbehrungsreichen Lebensweg zwar erwähnenswert, aber eben nicht außergewöhnlich. Im Laufe des Buches kamen aber einige sehr unterhaltsame Episoden vor, die mir sehr gut gefallen haben. Beispielweise eine Geschichte eines Seemanns mit einer Katze. Oder wie die Protagonistinnen eine sehr große Frau begegnen, die ein wandernder Zirkus zur Schau stellt. Unterhaltsam fand ich auch die Begegnung mit einer sehr kauzigen Frau, die in völliger Abgeschiedenheit ihren Lebensabend verbringt. Aber auch die Armut stellt Jewett hier dar, wobei mir besonders ein Trauerzug in Erinnerung geblieben ist, den sie wirklich schön beschrieben hat, mit der ganz atmosphärisch dichten Stimmung, mit der diese Küstenlandschaft gerade diese Szene verstärkt:

Der Pfarrer und einige andere Gäste schlossen sich an, und die Prozession marschierte langsam den Hang hinunter; ein seltsamer Schatten hatte sich über alles gebreitet. Es war wie an einem Novembertag, denn die Luft fühlte sich kalt und rau an. Einige große Seevögel kreisten hoch am Himmel, kämpften gegen den Wind an, um zum Meer zu gelangen, und ließen hin und wieder einen wilden, weithin gellenden Schrei hören. Wir vernahmen das dumpfe Tosen des Ozans, und unweit der Küste stiegen die Wellen hoch und brachen sich in weißer Gischt auf den vereinzelten Felsen. (S. 171)

Jedes der dreizehn Kapiteln sammelt erzählenswerte Erlebnisse der beiden Frauen. Beispielsweise gibt es ein Kapitel, in dem es um die alten Seemänner geht, eines handelt davon, wie sie zum Fischen fahren oder eines von einer alten verrückten Frau. Dabei ist das Buch so ausgelegt, dass es sich so liest, als ob Helen alles erzählt und zusammenfassend dem Leser berichtet, wie man in etwa in einem Brief seine Erlebnisse schildern würde.

Alle Erzählungen strahlen auch eine gewisse jugendliche Leichtigkeit aus, welche die beiden unbedarften und fröhlichen Protagonistinnen mitbringen. Und gerade diese leichte, weltoffene und positive Sichtweise, geben dem Buch eine sehr angenehme Stimmung. Die schöne Natur, das Meer, die alten Seemänner, die heruntergekommenen Häuser, die von längst vergangenen Zeiten erzählen, in der Deephaven ein florierender und wohlhabender Ort war und nicht zuletzt die übrig gebliebenen alten Einwohner, welche oft verarmt sind, aber noch dieses alte Leben in sich tragen, machen dieses Buch zu einer kleinen und unterhaltsamen Entdeckungsreise.

Jewetts Sätze lesen sich flüssig und sie hat eine Sprache, die weder zu einfach, noch zu verschachtelt ist. Genau richtig und sehr passend zu den Charakter der beiden jungen Frauen, welche mit dem sehr entspannten und neugierigen Blick wohlhabender Menschen durch die Welt streunen, durch ihre gute Erziehung aber dennoch anständig und einfühlsam sind. Einige Passagen fand ich vom Klang schön zu lesen, insgesamt ist es solide geschrieben, aber in Summe auch nicht übermäßig herausragend.

Von Sarah Orne Jewett habe ich bisher noch nichts gehört. Sie lebte von 1849 bis 1909 und war Tochter eines erfolgreichen Arztes und Enkelin eines wohlhabenden Kaufmanns. Deephaven war 1877 ihre erste Buchveröffentlichung und ein großer Erfolg. Ihr berühmtester Roman war The Country of the Pointed Firs und gilt als Meisterwerk der amerikanischen Literatur. Es war aber gerade das Buch Deephaven, welches ihr die Türen zu den Salons der großen Autoren ihrer Zeit geöffnet hatte. Ursprünglich erschien Deephaven in mehreren Ausgaben der Zeitschrift Atlantic Monthly und wurde erst zwei Jahre später dann gesammelt als Buch veröffentlicht. Inspiration waren für sie die Küstenorte Wells, York, Portsmouth und Kittery und auch die Erzählungen ihres Großvaters.

Herausgeber und Übersetzer ist wieder Alexander Pechmann, welcher bereits zahlreiche Bücher der Mare Klassiker übertragen hat und wie immer eine tadellose Übersetzung abliefert. Auch das Nachwort von ihm ist sehr informativ und hat genau die richtige Länge und liefert genau die Informationen, die ich mir nach der Lektüre gewünscht habe. Die Anmerkungen fallen aufgrund des geringen Umfangs eher gering aus, aber es bleibt im Text auch nichts offen. Sehr schön fand ich auch eine Zusammenstellung der Bücher, welche die beiden Frauen mitgenommen hatten, mit Erklärungen dazu, um was für Romane es sich handelt. Diese werden im letzten Kapitel aufgezählt, allerdings sind es eher uninteressante zeitgenössische Werke. Trotzdem fand ich diese Zusammenstellung eine hervorragende Idee.

Gerade halte ich das Buch in Händen, streiche über den hochwertigen Leineneinband, blättere durch die Seiten, die sich so angenehm geschmeidig anfühlen und betrachte das kleine Gemälde confidences von Edward Henry Potthast, das Helen und Kate widerspiegeln soll, welche gemeinsam am Strand sitzen, sich zugewandt in einem vertrauten privaten Gespräch vereint. Was soll ich sagen, es ist ein Mare Klassiker, mit der wunderbaren Qualität, der bibliophilen Ausstattung, die auch im Detail wieder perfekte Qualität bietet. Es gibt wieder eine Fadenbindung, das Vorsatzpapier ist mit seinem Braun farblich auf den Einband abgestimmt und das Lesebändchen mit seinem hellen Blau und der Schuber runden es perfekt ab. Es gibt Bücher in der Reihe, die mir von der Gestaltung noch besser gefallen, wenn ich dieses Buch allerdings in die Hand nehme, dann fühlt es sich einfach wunderbar an. Seit einigen Jahren hole ich mir regelmäßig alle Mare Klassiker und es sind einfach mit die schönsten Bücher in meinem Regal.

Fazit: Die Erzählung Deephaven ist eine wunderschöne Sammlung von Anekdoten und Erlebnissen, welche den Leser in ein altes Hafenstädtchen entführt und dort mit seinen ganz eigenen Bewohnern bekannt macht. Wie die zwei jungen Freundinnen diesen verschlafenen kleinen Küstenort entdecken, wie sie mit ihrer offenen und unbeschwerten Art die Landschaft, das Meer und die Menschen beschreiben, das ist einfach schön zu lesen. Jewett entführt den Leser in eine Welt, die sich aus zahlreichen Menschen zusammensetzt und so diesem Ort ein Gesicht gibt. Das Buch liest sich angenehm und hat einige schöne Beschreibungen, hat aber an vielen Stellen auch eher gewöhnlich auf mich gewirkt. Dennoch bin ich, gerade wegen der Leichtigkeit, mit der Jewett ihre Helen berichten lässt, sehr gerne in das Buch abgetaucht. Das Meer ist immer zu spüren und die Geschichte passt einfach wieder perfekt in die Mare Klassiker Reihe. In Summe ist das wunderbar verarbeitete Buch eine Lesereise wert, das muss man einfach sagen und ich habe die Lektüre sehr genossen.

Buchinformation: Deephaven • Sarah Orne Jewett • mare Verlag • 208 Seiten • ISBN 9783866486669

1 Kommentar

  1. Tolle Rezension! Ich habe vor ein paar Tagen die Leseprobe gelesen, mich dann aber doch dagegen entschieden das Buch zu kaufen, weil es mir als zu leicht erschien. Aber Deine Besprechung lässt mich jetzt doch noch mal überlegen.

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