Abschied • Sebastian Haffner

Ich bin das erste Mal in der Hanser Vorschau auf Abschied von Sebastian Haffner gestoßen. Es hat sich vom Klappentext interessant angehört und ist auf meiner Wunschliste gelandet. Eine Liebesgeschichte im Paris zwischen den Weltkriegen. Das ist natürlich ein Hintergrund, der bei mir auf offene Türen stößt. Zudem eine Entdeckung aus dem Nachlass von Haffner, also sozusagen ein zufällig geborgener Schatz aus der Welt der Literatur. Da war ich natürlich sehr neugierig, was mich hier erwarten würde. Die Aufmachung hat mir sehr gut gefallen und nachdem auch nach der Veröffentlichung des Buches die Werbetrommel sehr gerührt wurde, habe ich mir das Buch gekauft. Ist es wirklich die Neuentdeckung des Jahres? Eine kleine Perle der Weltliteratur? Oder hat mich das Marketing hinters Licht geführt?
Raimund Pretzel aus dem schnöden Berlin verbringt einige Tage in Paris, um dort seine Jugendliebe Teddy zu besuchen und seinen Urlaub mit ihr zu verbringen. Zusammen genießen sie das wunderschöne und weltoffene Paris der frühen Dreißigerjahre, stoßen dort auf ganz verschiedene Charaktere. Sie verbringen ihre Zeit auf Partys, in Cafés, in den kleinen Studentenzimmer im Quartier Latin und auf den Straßen des stimmungsvollen Paris. Raimund buhlt, zusammen mit einigen anderen jungen Studenten, Gentlemens und Parisern aus der La Bohéme um Teddys Gunst. Allerdings ist die Zeit begrenzt und so wirft der Leser bei der Lektüre immer auch einen Blick auf Raimunds geliehener Uhr, denn die gemeinsame Zeit neigt sich dem Ende zu.

Von der Story hört sich das schon sehr ansprechend an. Und auch das Format, ein dünnes aber sorgfältig gestaltetes Buch gefällt mir sehr gut. Ein kleines Schmankerl für zwischendurch. Als ich es aus dem Buchladen mitgenommen hatte, habe ich auch sehr zeitnah mit der Lektüre angefangen. Von der Sprache war ich ein bisschen enttäuscht. Ich mochte einige altmodische Formulierungen, aber am Ende waren die Sätze eher unspektakulär und wenig berückend. Es gibt ein paar schöne Gedanken, aber von der Sprache hat es mich nicht in einen angenehmen Lesefluss gebracht. Dazu war die Ich-Perspektive und von Raimund erzählten Szenen und Sätze zu schlicht.
Mir hat die Kulisse, das Paris der 30er, sehr gut gefallen. Haffner beschreibt die Stadt auch immer wieder und räumt der Umgebung durchaus Raum ein. Auch Teddy fand ich als Figur sehr stimmungsvoll, sie fügt sich wunderbar in das weltoffene und freie Paris ein. In Summe ist die Geschichte dann aber nicht so richtig in Fahrt gekommen und blieb das gesamte Buch hindurch sehr flach. Die einzelnen Begegnungen und Unternehmungen werden ausführlich dargestellt. Dadurch war das Buch doch sehr langatmig. Auch die Dialoge zwischen den Figuren waren sehr platt. Wer hier irgendeinen Tiefgang erwartet, der wird enttäuscht. Es ist Geplänkel zwischen Dauerstudenten und jungen Männer die von Beruf Sohn sind. Da kamen viele Wiederholungen vor und so blieben die Charakterisierung nur an der Oberfläche. Ich hatte das Gefühl, dass die Figuren die Stimmung und das Lebensgefühl des Paris der 30er zeigen, aber auf die Rolle von Statisten beschränkt bleiben sollten. (In der Jugend- bzw. Gamersprache würde ich sie als NPCs bezeichnen, denn mehr sind sie nicht). Emotionen haben sich bei mir gar nicht aufgebaut.

Von den Figuren konnte mich auch keine begeistern. Natürlich trifft das Verhalten auch den Zeitgeist. Aber der Erzähler Raimund war mir sehr unsympathisch. Er macht ziemlich oft einen auf dicke Hose ohne das viel dahinter ist. Regelmäßig macht er Mansplaining und erzählt der Teddy wie dämlich sie ist. Dabei ignoriert er, dass sie sowohl Französisch als auch Englisch deutlich besser spricht als er selbst. Sehr überheblich und unangenehm und am Ende habe ich das ganze Buch hindurch gehofft, dass Teddy diesen Typen einfach den Laufpass gibt. Ja klar, es sind die 30er Jahre, aber wenn das damals die Männerauswahl war, na dann Gute Nacht.
Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin als Raimund Pretzel, war ein deutscher Jurist, der sich in den 1930er Jahren dem Journalismus zuwandte und im britischen Exil während des Zweiten Weltkriegs als scharfsinniger Kommentator deutscher Politik bekannt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland prägte er als Kolumnist und Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Werke, darunter über Hitler und den Nationalsozialismus, die öffentliche Debatte maßgeblich. Haffner starb 1999 in Berlin.
Das Nachwort verrät einige sehr interessante Details und hat mir sehr gut gefallen. Tatsächlich gab es eine Teddy in Haffners Leben und wie in dem Roman, das er im zarten Alter von 24 Jahren schrieb, ging sie nach Paris, um dort an der Sorbonne zu studieren. Anders als im Buch besuchte sie ihn allerdings in Berlin und teilte ihm mit, dass sie heiraten und für immer Berlin verlassen würde. Das Buch hat also, neben dem Namen des Protagonisten, einige autobiografische Elemente.

Von der Aufmachung ist das Buch ganz hübsch gestaltet, kommt aber ohne Extras. Kein Lesebändchen, nur ein Pappeinband und eine einfache Klebebindung. Schön dünn und kompakt für den Strandkorb. Von der Gestaltung mit dem Coverbild gefällt es mir sehr gut.
Fazit: Mich konnte Abschied nicht überzeugen. Nicht jede Neuentdeckung eines alten Romans ist auch gleichzeitig ein Klassiker. Das Paris der frühen Dreißigerjahre wird hier schön dargestellt und man kann sich gut vorstellen, wie die Studenten damals ganz entspannt in einer sehr weltoffenen Gesellschaft studiert haben. Eine Geschichte ist hier aber kaum ausgeprägt und die Szenen habe ich immer wieder als etwas langatmig empfunden. Die Charaktere sind wenig sympathisch und auch nicht sehr fein ausgestaltet. Man spürt, wie die Zeit und die wertvolle Zweisamkeit mit Teddy für Raimund dahin rinnt. Im Verlauf wird das als Sujet dann aber auch überstrapaziert. Ein Buch das aus meiner Sicht keine Empfehlung ist.
Buchinformation: Abschied • Sebastian Haffner • Hanser Verlag • 192 Seiten • ISBN 9783446284821
Danke für die Einschätzung! Das klingt tatsächlich nicht so, als ob man das gelesen haben müsste. Schade, ich hatte mir mehr erhofft.