Der geträumte Norden • Adwin de Kluyver

Der geträumte norden von adwin de kluyver

Nachdem ich die Lektüre von Niemandsland so genossen habe, wollte ich unbedingt auch das neueste Buch von Adwin de Kluyver lesen. Während es in Niemandsland um die Antarktis ging, wendet sich Adwin de Kluyver in seinem neuesten Buch dem Norden zu. Genauso wie bei seinem ersten Buch ist Der geträumte Norden eine Sammlung von zahlreichen kurzen Geschichten, die alle einen Bezug zum Norden haben. Konnten mich diese Episoden ebenso faszinieren, wie die spannenden Anekdoten aus der Antarktis? Finden wir es heraus.

Geschichten von den faszinierenden Abenteuern aus dem goldenen Zeitalter der Polarreisen kann ich einfach nicht genug bekommen. Die Pole waren im 19. Jahrhundert Orte, die unerreichbar und völlig unerforscht waren. Zahlreiche Theorien rankten sich darum, was wohl an den Polen zu finden wäre. Von einem warmen Polarmeer, einem großen Vulkan, wie Jules Verne es in seinem Buch Abenteuer des Kapitän Hatteras beschrieb (ein wunderbares Buch) oder sogar einem großen Maelstrom, der in das Innere einer hohlen Erde führte, wurde dort vermutet. Der Mythos um den hohen Norden, der entstand aber schon viel früher und seit Menschen denken können, zieht es sie dorthin und bringt der Norden sie zum Träumen und Spekulieren.

Der geträumte Norden von Adwin de Kluyver

Genau dieses Träumen und Streben nach dem Norden hat Adwin de Kluyver zum Thema des Buches gemacht. Chronologisch sortiert, beginnt er von den ersten Entdeckungsreisenden in vorchristlicher Zeit zu erzählen. Es geht nicht unmittelbar nur um die Erforschung des Nordpols oder dem Streben diesen zu erreichen. Es geht auch um den Mythos des Nordens mit allem, was sich darum rankt. Eine Geschichte erzählt von den Vikingern oder den Reisen von venezianischen Adeligen, welche mehrere Inseln im nördlichen Atlantik entdeckt hatten. Am Ende waren dann die deren Berichte wilde Räuberpistolen, haben die Kartierung des Nordens aber lange beeinflusst. Gerade bis zum 19. Jahrhundert waren die Theorien und Schlussfolgerungen sehr gewagt und entsprechend falsch. Allerdings ist der Einfallsreichtum, der Forscherdrang und auch die Intelligenz zahlreicher damaliger Wissenschaftler und Forscher beeindruckend.

Mich konnten die ersten Geschichten nur begrenzt begeistern. Es ist schon faszinierend, aber die Erzählungen hatten dann doch nicht dieses besondere Extra, dieses Novellenartige. Das hat sich dann aber ab Mitte des Buches schlagartig geändert und ab da hatte mich de Kluyver wieder. Wenn er den Weg einer Schneeflocke beschreibt und wie ein Wissenschaftler sie untersucht und seine Frau so wunderschön gezeichnet hat, dass sie die Kunst nachhaltig beeinflusst hat. Oder wenn er über die Gemälde des Malers Frederic Church schreibt, welchen starken Bezug zur Politik es gab und wie dann ein populäres Gemälde für Jahre in Privatbesitz verschwand, später sogar als kostenloses Geschenk verschmäht, dann aber doch für einen Rekordpreis versteigert wurde. Frederic Church bereiste Neufundland, um selbst Eisberge zu sehen und zu zeichnen. Die Gemälde sehen tatsächlich sehr schön aus und wer schon einmal ein Buch über Humboldt in Händen gehalten hat, der wird den Stil auch sofort wieder erkennen.

The icebergs (frederic edwin church), 1861 (color)
The Icebergs von Frederic Edwin Church

In einer anderen Geschichte beschreibt de Kluyven die Entstehung von Santa Claus, so wie man ihn dieser Tage aus dem amerikanischen Kulturraum kennt. Der aus Bayern stammende Illustrator Thomas Nast hat diesen maßgeblich geprägt. Man merkt aber auch den niederländischen Hintergrund des Autors, so gibt es immer wieder Bezüge zu seiner Heimat. Wenn beispielsweise eine Episode ein Niederländer beschreibt, der in seiner Heimat die Reisen in den Norden wieder aufleben lassen wollte.

Der geträumte Norden von Adwin de Kluyver

Die Geschichte, die mich am meisten fesseln konnte, handelte von einer Gruppe von Inuit. Ein Forschungsreisender hatte sie von dem nördlichen Grönland nach New York gebracht. Dieses kleine Volk lebte sehr isoliert in einer etwa 200 Menschen umfassenden kleinen Gemeinschaft und als diese in die Großstadt kamen, wurden ihnen die vielen Krankheitserreger und auch das warme Klima zum Verhängnis. Erschreckend ist, wie rücksichtslos damals Menschen ausgestellt wurden und wie respektlos mit anderen Kulturen umgegangen wurde.

Ein Kapitel beschreibt die Thule-Gesellschaft, deren Philosophie eine Mixtur aus Rassismus, Spiritualität, Nationalismus und Folklore war und schließlich sehr stark mit der NSDAP verbunden war. Man merkt immer, wie politisch der Norden war. Wenn ein schwedischer Wissenschaftler aus Uppsala die Ursprünge der gesamten antiken Mythologie im hohen Norden verortet hat. Oder natürlich, wenn es um die Eroberung des Nordens geht. Am Ende wird klar, der Blick auf den Norden war auch immer stark von den aktuellen politischen und theistischen Strömungen beeinflusst.

Natürlich ist auch das Erreichen des Nordpols ein Thema. Allerdings weniger die Expeditionen zum Nordpol, die schon Erwähnung finden, sondern vielmehr wie später über Jahrzehnte immer wieder der Nordpol neu erobert wurde. Eine Geschichte über das Luftschiff America, mit dem der amerikanische Journalist Walter Wellman den Nordpol aus der Luft erreichen wollte, fand ich sehr faszinierend.

Start der America auf Danskøya, 1907
Start der America auf Danskøya, 1907

Eine weitere Geschichte beschreibt, wie Menschen immer wieder versucht haben, den Nordpol auf dem Luftweg zu erobern. Das hat sehr oft nicht geklappt und so hat man dann schließlich aus dem Flugzeug Fahnen auf den Nordpol abgeworfen, um so doch noch seine Pfründe abzustecken. Sogar der Vatikan hat ein großes Kreuz so auf dem Nordpol platziert. Natürlich vom Pontifex persönlich geweiht und gesegnet. Auch die Russen waren am Nordpol und haben sogar mit U-Booten erforscht, wie es unter dem Nordpol aussieht. Natürlich haben sie auch dort eine Flagge abgesetzt, wie könnte es auch anders sein. Und sie haben ermittelt, dass ein Gebirgszug den Nordpol mit dem russischen Festland verbindet. Klar, dass sie auch den Pol deshalb für sich beanspruchen. De Kluyver schließt das Buch mit einer persönlichen Episode, wie er das Nordkap besucht hat.

Der geträumte Norden von Adwin de Kluyver

Verglichen mit der Aufmachung vom Niemandsland ist Der geträumte Norden leider eher ein schlichtes gebundenes Buch. Aber schön gestaltet, wie man es auch von den anderen Büchern aus der Reihe kennt. Sehr schön sind die Karten, die jedem Kapitel vorangestellt sind. Auch die Typographie ist sorgsam gewählt und arrangiert. Also ein solides hübsches gebundenes Buch ohne große Extras.

Fazit: Der geträumte Norden wird seinen Versprechungen gerecht. Als Leser bekommt man eine vielseitige bunte Mischung aus vielen Geschichten, die den Mythos Norden, die Erforschung der nördlichen Hemisphäre und all die kulturellen Bezüge zu diesem entfernten unwirtlichen Ort wirkungsvoll aufleben lassen. Die Erzählungen aus den frühen Jahrhunderten konnten mich weniger begeistern, ab der Hälfte des Buches hat die Lektüre mich aber wieder sehr fesseln. Da hat der Autor wieder spannende Episoden gefunden, die ich dann sehr verschlungen habe. Von der Aufmachung ist das Buch eher gewöhnlich. Wer Niemandsland von Adwin de Kluyver mochte, der wird auch dieses Buch sehr genießen. Wer es nicht kennt, sollte unbedingt mit Niemandsland anfangen, das auch von der Aufmachung einfach nochmal ein Stück schöner ist. Lesenswert und ein Genuss sind beide Bücher.

Buchinformation: Der geträumte Norden • Adwin de Kluyver • mare Verlag • 320 Seiten • ISBN 9783866487178

Der geträumte Norden von Adwin de Kluyver

1 Kommentar

  1. Ich mag auch sehr gerne „Abenteuerbücher“ zu lesen. Echte Abenteuer. Deine Rezension ist mit so viel Freude und Spannung geschrieben, dass ich mir unbedingt das Buch und Niemandsland anschauen werde.
    Liebe Grüße
    Andrea

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