Island • Heike Ollertz, Edgar Herbst

Ein stetiger, kühler und reiner Wind streicht durch das sich sanft wogende Gras und lässt die erfrischende und klare Luft über das Gesicht streichen, das mit einem Ausdruck von Ruhe auf das unendlich weite Meer hinaus blickt. Nichts versperrt die Sicht auf diese unberührten leeren Steinlandschaften, auf die riesigen erkalteten Lavamassen, die als weite Steinfelder sich weit über die Insel erstrecken und nichts trübt den Anblick der kargen, mit Moos bewachsenen Gebirgszüge. Vielleicht der Nebel, aber auch der ist, wie das Wetter, nur sehr unbeständig. Ist man einmal eingetaucht, in diese Welt, in der jeder menschliche Bewohner immer nur ein Gast sein wird, hat man einmal dieses Nichts gespürt, das den Menschen wie der Schwindel beim Anblick der Tiefe anzieht, dann kann man sich der umfassenden, makellosen Schönheit Islands nie mehr entziehen.

Es gibt zahlreiche Bildbände, die den Versuch starten und Island porträtieren und mal sind sie erfolgreicher, mal weniger. Einige konzentrieren sich auf die touristischen Höhepunkte, was ich sehr schätze, denn die großen und bekannten Wasserfälle, Gletscherzungen, die Gletscherlagune Jökulsárlón und die zahlreichen Nationalparks sind einfach sehenswert. Der Bildband „Lost in Iceland“ von Sigurgeir Sigurjónsson ist ein solches Buch, das sehr empfehlenswert ist.

Eine ganz andere Art sich Island anzunähern haben aber Heike Ollertz und Edgar Herbst in ihrem Buch gewählt, das schlicht und ohne Pathos den Namen „Island“ trägt. Von zwei verschiedenen Richtungen aus betrachten die Fotografen diese kleine Insel, die da verloren, am Rande Europas mitten auf dem Mittelatlantischen Rücken liegt.

Kap Dyrhólaey an der Südküste Islands; Ollertz_01 (Seite 8) © Heike Ollertz / Agentur Focus
 Kap Dyrhólaey an der Südküste Islands; Ollertz_01 (Seite 8) © Heike Ollertz / Agentur Focus

Heike Ollertz fotografierte mit einer analogen Alpa 12 im 6 x 9cm Format, hat dreineinhalb Monate die Insel erkunden, ist über 9000 Kilometer gefahren, „Fjord rauf, Fjord runter“, wie sie in einem Interview berichtet. Die Fotografin wurde in Duisburg geboren, ist Meisterschülerin der Universität der Künste in Berlin, hat als Freie Fotografin in Berlin und Hamburg gearbeitet und ist seit 2014 Lehrbeauftragte der BTK am Campus Hamburg. In dem Bildband zeigt sie herausragende Landschaftsaufnahmen und schafft es eindrucksvoll die Ursprünglichkeit der Insel in Bilder zu fassen, die nur am Rande die großen Plätze der Insel berühren. Gleichzeitig zeigt sie aber auch die Spuren der Bewohner und zeigt Aluminiumwerke im dichten Schneegestöber, Wetterstationen und einsame Häuser in einer von Dunkelheit und widriger Witterung geprägten Landschaft. Sehr schön ist dabei, dass zahlreiche Bilder im Winter aufgenommen wurden, einer Jahreszeit in der es nicht so viel Bildmaterial gibt, wie es vom Sommer der Fall ist und auch von ganz bekannten Plätzen ein neuer Eindruck entsteht.

Auf der Dachterrasse des Clubs "Prikið"; Herbst_11 (Seite 43) © Edgar Herbst / 13 Photo
 Auf der Dachterrasse des Clubs „Prikið“; Herbst_11 (Seite 43) © Edgar Herbst / 13 Photo

Edgar Herbst ist ebenfalls analog unterwegs und hat sich auf die Menschen, die diesem im Atlantik verlorenen Ort bewohnen, fokussiert. Er stellt das Wesen die ganz eigene Ausstrahlung der Isländer in den Kontext dieser allgegenwärtigen Natur, die auf eine wenig subtile Weise immer wieder ihre Aufmerksamkeit einfordert. Er fotografiert in Schwarz/Weiß und arbeitet mit seinen Fotos die unterschiedlichen Persönlichkeiten heraus, die man sich manchmal sehr gut in dieser Einsamkeit vorstellen kann, die manchmal aber auch etwas grotesk, unwirklich modern und gleichzeitig sehr normal wirken. Er ist 1961 in Bad Lauterberg geboren und hat lange als Gesellschaftsfotograf für große deutsche Zeitungen gearbeitet.

Das dieser Bildband etwas Besonderes ist, merkt man schon alleine an der Aufmachung und Haptik. Wie vom mare Verlag gewohnt, ist er hervorragend verarbeitet und hat einen edlen Leineneinband. Die Fotos selbst sind nicht beschriftet, stattdessen ist am Ende ein Verzeichnis mit den Texten.

Die Blaue Lagune; Ollertz_25 (Seite 94) © Heike Ollertz / Agentur Focus
 Die Blaue Lagune; Ollertz_25 (Seite 94) © Heike Ollertz / Agentur Focus

Der Bildband erreicht sein Ziel, die Natur und die Isländer als eine Einheit darzustellen, zu vermitteln wie diese ausdrucksvolle Landschaft in irgendeiner Form auf die Menschen abfärbt, ihre Spuren hinterlässt und gleichermaßen deren Spuren umweht, verspottet und mit Argwohn für sich vereinnahmt. Besonders Heike Ollertz hat sehr starke Aufnahmen gemacht. Einige Bilder von den Westmännerinseln gefallen mir am besten. Ein Beispiel ist ein Bild von einem Hundefriedhof auf der Insel Heimaey. Hier ist die Ruhe, das Meer und der Wind ganz deutlich zu spüren.

Ein weiteres Foto, dass mir besonders gefällt zeigt einen Küstenabschnitt bei Reykjavík mit dem Blick aufs Meer, wobei ganz deutlich die arktische Stimmung zu fühlen ist. Eine Stimmung, die etwas ganz Besonderes ist, die mich immer wieder packt, weil sie nicht für den Menschen gedacht ist.

Edgar Herbsts Aufnahmen können mich nicht ganz so erreichen, wie es Landschaftsaufnahmen vermögen. Das liegt nahe, denn ich habe mich selbst der Fotografie von Landschaften verschrieben und besonders in der Einsamkeit des hohen Nordens einen besonderen Ausdruck gefunden. Menschen passen da nicht so richtig hinein. Trotzdem gibt es eindrucksvolle Aufnahmen von Persönlichkeiten, die einem im Gedächtnis bleiben, ohne dass man sie je echt kennengelernt hat. So zeigt er einen Arbeiter auf einem Frachter in Ísafjörður. Überhaupt sind ein paar Aufnahmen von Menschen aus Ísafjörður dabei, was ich sehr faszinierend finde. Wer einmal in dieser abgelegenen Stadt war, weiß wie absurd es einem als Großstadtbewohner erscheint, dass wirklich jemand sein Leben in diesem Nirgendwo verbringt.

Aber diese Charaktere erfüllen oft auch ein gewisses Klischee, oft aber auch nicht und wenn man dann Aufnahmen von einem Heavy Metall Konzert von diesem stillen, einsamen Ort sieht, dann verwundert das nur noch mehr. Überhaupt zeigt der Bildband viele Isländer beim Feiern und Party machen und erweckt damit den Eindruck, dass die Inselbewohner scheinbar sehr gerne auf den Putz hauen (womit die These wieder bestätigt wird, dass die Menschen schon immer und überall gerne einen über den Durst getrunken haben und uns das wohl alle eint).

Fazit: Diesen Bildband kann ich jeden empfehlen, der neben den bekannten, großartigen Naturschauspielen Islands ein fragiles Gefühl für die Ursprünglichkeit, Verlassenheit und das schöne, aber raue Wesen dieser Insel und seiner Bewohner ergründen möchte. Die Fotos zeigen mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Vieles davon ist bei mir angekommen, einiges, das habe ich beim Betrachten gemerkt, nicht. Ein Umstand der an meiner Liebe zu dieser Landschaft liegt und so hätte ich mir persönlich gewünscht, dass mindestens doppelt so viel Aufnahmen von Heike Ollertz in dem Buch zu finden sind. Das soll die Leistung von Edgar Herbst nicht schmälern, es ist lediglich meine persönliche Präferenz. Das Buch ist definitiv eines der schönsten Bildbände über Island und wird immer einer bleiben, denn Island ist so zeitlos, wie seine Bewohner oft erscheinen.

Hinweis: Das Buch ist vom Verlag nicht mehr lieferbar, allerdings ist es bei vielen Onlineshops noch verfügbar. Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Mare Verlags.

Buchinformation: Island • Heike Ollertz und Edgar Herbst • mare Verlag • 144 Seiten • ISBN 9783866480230

6 Kommentare

    1. Hallo Nadine,

      schön, dass du hierher gefunden hast und ich eine neue Leserin gewonnen habe 😉 Auf deinen Blog habe ich gesehen, dass du auch immer wieder mal einen Klassiker liest. Glaub da muss ich mal genauer stöbern!

      Liebe Grüße
      Tobi

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