Ein letzter Tag Unendlichkeit • Lucien Deprijck

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich mein erstes Buch von Lucien Deprijck gelesen. Die Inseln, auf denen ich strande ist im Mare Verlag erschienen und so war das ein Gütesiegel, dass das Buch sicherlich sehr gut ist. Das hatte sich auch bestätigt und so war ich neugierig Deprijcks neuesten Roman zu lesen, der diesmal im schweizer Unionsverlag erschienen ist. Und da ist der Roman auch gut aufgehoben, denn es geht darin um eine Lustfahrt auf dem Zürichsee.

Das Buch umfasst genau einen Tag, in denen der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock zusammen mit einigen Damen und Herren gemeinsam einen Ausflug mit einem Schiff auf dem Zürichsee unternehmen. Ein Tag auf dem See, kann das als Buch funktionieren? Ja, kann es und das sogar sehr gut.

Man muss ohne umschweife sagen: Deprijck kann einfach schreiben. Das hat er mit diesem Buch wieder erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seine Wortgewandtheit, die langen und schönen Sätze, die Fertigkeit mit nicht zu wenigen, aber auch nicht zu vielen Wörtern eine Szene aus dem Nichts zu erschaffen, das ist einfach ein Genuss zu lesen.

„Ein letzter Tag Unendlichkeit“ ist auch ein Gemälde, denn es erinnert ganz stark an die Kunstwerke aus dem 18. Jahrhundert, der Zeit, in der die Geschichte handelt. Geschickt schafft es Deprijcks wunderbare Beschreibungen der Natur, des Sees, der kleinen Halbinsel Au oder der verschiedenen Tageszeiten mit der gesellschaftlichen Stimmung der Lustreisenden zu verweben. So wird das Buch für den Leser selbst zu einem schönen Ausflug und man fühlt sich an Ort und Zeit versetzt, geniest den sommerlichen Blick über den See bis hin zu den Alpen.

Doch Deprijcks geht noch einen Schritt weiter: Er führt den Leser nicht nur durch die Natur und lässt ihn an der Gesellschaft der Lustreisenden teilhaben, er gibt hier und da auch philosophische, theologische und metaphysische Denkanstöße, die er in lebhaften Dialogen zwischen dem Dichter Klopstock und seine Gefährten aufleben lässt.

Besonders schön fand ich ein Gespräch zwischen Klopstock und Anna, in dem der Widerspruch der nicht stattgefundenen Opferung Isaaks durch Abraham und dem Schicksals des Messias thematisiert wird. Es hat einen schönen Bezug zu dem Epos „Messias“, welches Friedrich Gottlieb Klopstock, der prominentester Teilnehmer der Lustfahrt verfasst und im Rahmen des Buches immer wieder auszugsweise zum Besten gibt. Durch die fast blasphemisch wirkenden Bedenken von Anna spiegelt sich hier der an Lasterhaftigkeit grenzende Rahmen der Lustfahrt mit ihren Partnertausch wieder.

Eine schöne Passage, in der man sehr schön sieht, wie poetisch Deprijcks die Natur mit einem philosophischen Hauch versieht:

Über ihr raschelte es leise. Etwas wirbelte da durchs Geäst, scheinbar der Wind. Aber es war nicht der Wind. Es war etwas, das sacht mit dem Wind dahinglitt, etwas sehr Altes, etwas Immerwährendes: das Wissen um alle Dinge. Dieses Wissen war immer da, immer und überall, es wusste alles, was je geschehen war und was noch kommen sollte, ja sogar alles, was jemals hätte sein können; es säuselte um die Bäume, unhörbar für die Menschen, glitt durch das Geäst dahin und strich nun sanft über Annas Gesicht.

Bei Anna habe ich mich immer wieder an Emma Bovary erinnert gefühlt, die zu beginn ähnlich enthusiastisch in ihrem Glauben war. Natürlich liegt der Schwerpunkt des Buches nicht im Vermitteln von Glaubensinhalte. Vielmehr begleitet der Leser die Lustreisenden und so kommt es immer wieder zu kurzen Dialogen, die aber nie lange dauern und meist von der nächsten Station des Ausflugs unterbrochen werden. So entsteht ein kurzweiliges Vergnügen und die leichte, lockere Stimmung und eine gewisse Entspanntheit erreicht unmittelbar den Leser.

Neben der Natur, philosophischen und theologischen Fragen, wird auch ein wenig auf die Zeit, die Kleidung, die Lebensbedingungen, das künstlerische Schaffen dieser Epoche, aber auch das private Schicksal einzelner Lustreisenden eingegangen. Aber alles in einem Rahmen, der Denkanstöße gibt und nie zu tief geht.

Eine besonders schöne Passage, die ganz typisch für dieses Buch ist und die Grundstimmung der Lustfahrt einfach hervorragend wiedergibt:

Die Menschen waren der Natur entwachsen, laut Gottes Plan und gemäß seiner unendlichen Weisheit, doch in ihren Schoß zurückzukehren war ein berauschendes Gefühl. Als stille man eine Sehnsucht, die lange unbemerkt Bestand gehabt, eine Art von Verlangen, das man erst erkannte, wenn man im Begriff stand, es zu erfüllen. Fast ein ganzes Leben in abgeschlossenen Räumen, in engen Straßen und Gassen, in Studierzimmern, Stuben und Kutschen. Und dann hier in freier Natur, in Sonnenschein, Hitze und Wind, speisen unter freiem Himmel, unter dem lichten Dach von Eichen, so schön, so angenehm berauscht vom Wein, Gefühle der Freundschaft und Hingabe im Herzen, welches der schönsten unter den Damen zuflog. Nur Schönes zu betrachten, nur Schönes zu empfinden, alle Lasten abzuwerfen und alles zu vergessen, was mühselig, betrüblich war.

Fazit: Dieses Buch zu lesen war ein Genuss. Obwohl darin nicht viel passiert und es keine große Handlung gibt, ist die Sprache, die schönen Sätze, die treffenden und klaren Beschreibungen der Natur und des Sees wunderbar zu lesen. Sehr schnell springt auf einen die Stimmung über und man fühlt sich selbst als Teil der Gesellschaft und wünscht sich nichts mehr, als sich selbst dem Müßiggang und Genuss von Wein und fürstlichen Speisen hinzugeben. Dieses Buch kann ich als Lektüre uneingeschränkt empfehlen. Besonders im Winter, wenn man selbst eine gewisse beständige Sehnsucht nach schönen Sommertagen verspürt.

Buchinformation: Ein letzter Tag Unendlichkeit – Geschichte einer Lustfahrt •  Lucien Deprijck • Unionsverlag • 240 Seiten • ISBN 9783293004832

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