Meisternovellen • Prosper Mérimée

Diesmal stelle ich einen kleinen Novellenband vor, der aus meiner Sicht durchaus ein kleiner Geheimtipp ist. Regelmäßig durchstöbere ich die verschiedenen Verlagsprogramme und bin so auf dieses Büchlein aus meinem hoch geschätzten Manesse Verlag gestoßen. Ich kannte Prosper Mérimée vorher nicht und habe erst im Nachhinein gesehen, dass die Geschichte der Oper Carmen von Georges Bizet auf eine seiner Novellen basiert. Diese ist auch in diesem Band enthalten. Eine Lektüre lohnt sich allerdings nicht nur für Opernfans.

Prosper Mérimée war ein französischer Schriftsteller und lebte von 1803 bis 1870 und erlangte mit 25 Erzählungen Bekanntheit. Er hat zwar auch Lieder und Reiseberichte veröffentlicht und sich auch als Dramatiker versucht, aber wirklich bekannt wurde er mit seinen Novellen, wobei die in diesem Band gesammelten Werke zu echten Klassikern geworden sind. Insbesondere die erwähnte Novelle Carmen, die in veränderter Form zu einer Oper von Bizet wurde. Ursprünglich hat Mérimée Rechtswissenschaften studiert und war primär politisch in verschiedenen Ämtern aktiv. Er war mit Stendhal und Victor Hugo bekannt, befand sich also in bester Gesellschaft, auch wenn seine Beziehung zu Victor Hugo später aufgrund der unterschiedlichen politischen Ansichten stark gelitten hat.

Acht Novellen findet man hier also gesammelt vor. Einige sind aus der Ich, andere aus der auktorialen Erzählperspektive erzählt. Manche haben auch ein wenig den Charakter eines Reiseberichtes, was wenig überrascht, denn wie ich später gelesen habe, war er auch mit solchen recht erfolgreich. Zwischen 30 und 200 Seiten umfassen die Geschichten und sind recht angenehme Häppchen, in die man sehr schnell hinein kommt.

Die erste Novelle Matteo Falcone handelt von einer Szene auf Korsika und dient als gute Einstimmung für die darauf folgende, in dem Büchlein umfangreichste Geschichte Colomba. Diese handelt von einer Vendetta, wofür die Korsen damals berüchtigt waren. Recht schnell haben sie sich damals Blutrache geschworen und auf diese Weise haben sich ganze korsische Familien gegenseitig ausgelöscht. Ein Thema, dass wohl aufgrund der Herkunft von Napoleon damals recht interessant war. Zumindest hab ich vor nicht langer Zeit La Vendetta von Balzac gelesen, wo sich die Handlung auch mit der Blutrache verfeindeter korsischer Familien beschäftigt. Carmen handelt von einer Zigeunerin, die einem einfachen Soldaten den Kopf verdreht und in die Kriminalität führt. Mit Il vicolo die Madama Lucrezia legt er eine kleine Schauergeschichte vor, die an einigen Stellen tatsächlich sehr gut wirkt. Bei Die etruskische Vase und Das zweifache Verkennen bekommt der Leser zwei unterschiedliche aber sehr fein ausgearbeitete Liebesgeschichten präsentiert. Die Venus von Ille hat wieder etwas von einem Reisebericht, gemischt mit ein wenig Übersinnlichen. Das blaue Zimmer handelt von einem Liebespaar und einem misslungenen Stelldichein und hat insbesondere von seiner Handlung und Ausgang einen deutlich ironischen Unterton.

Wer dieses Buch aufschlägt und zu lesen beginnt, der braucht nicht lange, um sich in der Geschichte wieder zu finden. Mérimée hat eine sehr klare, aufgeräumte und wohlklingende Art zu schreiben. Ich habe es als sehr angenehm empfunden, wie er den Leser abholt und wie schnell und präzise er mit wenigen Sätzen die ganze Situation und Umgebung umreißt. Hier ist er ganz im Stil des Realismus, was ganz klar mein Fall ist. Er hat dabei nicht die Geschwätzigkeit eines Balzacs (welche ich immer als sehr unterhaltsam empfinde), sondern ein ganz angenehmes Tempo. Irgendwie habe ich mich bei allen seinen Geschichten gefragt, wie das wohl ausgehen wird und er konnte mich in jeder Novelle mit einer beständigen, nicht übermäßigen, aber wohldosierten Spannung fesseln.

Was Mérimée in dieser und auch in seinen anderen Novellen hervorragend gelingt, ist die Charakterisierung seiner Figuren. Mit wenig und klaren Worten schafft er es, dem Leser Menschen darzustellen, die authentisch sind und deren Handlungsweisen nachvollziehbar sind und nur zu menschlich wirken. Besonders wenn es um die Beziehung zwischen Mann und Frau geht, schafft er es, Situationen aufzubauen, bei denen man mit dem Protagonisten mitfühlen kann. Einige Geschichten haben etwas von einem Abenteuer, finden dann aber doch immer wieder zu der Betrachtung menschlichen Denkens und Handelns zurück. Er stellt Schicksale dar, die durchaus real anmuten und in der knappen Erzählform durchgängig gut unterhalten. Gleichzeitig gewahrt man an vielen Stellen einen ironischen Unterton, was Mérimée, trotz der Kürze, hervorragend mit einem gewissen Tiefgang vereint.

Fazit: Mérimées bekannte Meisternovellen haben einen sehr angenehmen und geschmeidigen Erzählstil, der mit seiner präzisen Klarheit besticht. Die Novellen sind durchgängig spannend und charakterisieren die Menschen, ihre Gefühle und ihre Art zu denken auf eine sehr gelungene Art und Weise. Dabei präsentiert er sich als vielseitig und wartet mit unterschiedlichen Geschichten auf, in die der Leser sehr schnell hinein findet und die sehr gut unterhalten. Mit der starken Wirkung eines Maupassant oder einer so umfassenden Betrachtung eines Balzacs kann er nicht mithalten, aber dennoch kann ich das Büchlein uneingeschränkt empfehlen.

Buchinformation: Meisternovellen • Prosper Mérimée • Manesse Verlag • 660 Seiten • ISBN 9783717512844

3 Kommentare

  1. Ein besonderes Buch. Das finde ich großartig. Tolle Rezension und sehr schöne Bilder, die den Beitrag aufwerten!

    Wir sind drei Mädels, die seit kurzem einen Buchblog führen. Wir geben uns viel Mühe mit unseren Rezensionen, stehen aber noch am Anfang, deshalb haben wir uns in Deine Topliste eingetragen und hoffen auf weitere Leser und Kommentare Wir freuen uns, wenn auch Du mal vorbei schaust und uns ein Feedback gibst!

    Neri, Leselaunen

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