Eisfuchs • Tanya Tagaq

In den letzten Wochen war ich literarisch in bewährten Gefilden unterwegs und habe wenig ausprobiert. Da war Eisfuchs von Tanya Tagaq eine willkommene Abwechslung und ich habe mich über die unerwartete Post mit diesem Buch sehr gefreut. Selbst hätte ich mir das Buch wohl nie geholt und ich mag es, wenn der Zufall mir unerwarteten Lesestoff zuspielt. Eisfuchs hat sich vom Klappentext ganz gut angehört, denn die Geschichte ist in Nunavut angesiedelt, einer Region im Norden Kanadas, dem Lebensraum der Inuits. Ich liebe den hohen Norden, die skandinavischen Länder und die Arktis. So ein Hintergrund als Handlungsort ist natürlich schonmal sehr vielversprechend. Das dem Zufall aber nicht zu trauen ist, das erfahrt ihr in diesem Beitrag.

In dem Buch erzählt Tagaq die Geschichte eines Mädchens, die am eisigen Meer in einem kleinen Ort aufwächst. Es geht dabei um ihre Kindheit und Jugend, in den 70er und 80er Jahren, weit oben im bitterkalten Norden, immer mit der Darstellung der Natur und den Eindrücken der jungen Protagonistin, mit Beschreibungen des Lebens an diesem unwirtlichen und einsamen Ortes.

Eisfuchs ist das erste Buch, aus dem Kunstmann Verlag, das ich gelesen habe und von der ganzen Aufmachung würde ich es in die Schublade Gegenwartsliteratur stecken. Mit einer Protagonistin, vollgepackt mit Problemen und negativen Gedanken, in einer unwirtlichen Umgebung, mit einer bedrückenden Grundstimmung. Das hat sich dann bei der Lektüre auch schnell bestätigt. Tagaq beschreibt eine finstere Gesellschaft, die Eltern kümmern sich nahezu gar nicht um ihre Kinder und geben sich wohl täglich dem übermäßigen Genuss des Alkohols hin. Primär ist es eisig und dunkel, mit Ausnahme einiger wenigen Sommermonaten und die Protagonistin geht ihre eigenen Wege, treibt sich mit ruppigen Teenagern herum und der Leser erfährt einige Anekdoten, die zumeist typisch für die Adoleszenz sind. Um den aktuellen Gegenwartsliteraturtrend zu bedienen, werden die jungen Mädchen natürlich alle durchgehend sexuell belästigt. Überhaupt ist Sexualität ein sehr wichtiges Thema, was sich aus dem Erwachsenwerden der Protagonistin ergibt, aber auch immer wieder auf die Palme getrieben wird, indem sie beispielsweise mit einem Traumfuchs sexuellen Kontakt hat. Das ganze Dorf und die Figuren muten alle sehr archaisch an und man spürt beim Lesen sehr stark den Bezug zu den Naturmythen, welche die Kultur der Inuit prägt.

Das Buch selbst besteht aus mehreren Elementen, die bunt gemischt sind. Einmal gibt es episodenhafte Erzählungen aus dem Leben des Mädchens, die sich auf den Alltag und das Gefühlsleben erstrecken. Dann gibt es immer wieder Traumszenen, in denen die namenlose Hauptfigur Visionen hat, die dann oft spirituell wirken und meistens auch einen Bezug zu der Natur und dem eisigen Norden haben. Und dann gibt es noch Textpassagen (Gedichte?), die eher an einen Gedankenstrom erinnern, lyrisch wirken und emotional gefärbte Eindrücke aus dem Denken des Mädchens präsentieren. Die Sprache ist dabei durchgängig einfach gehalten, die Sätze kurz, die Szenen, die dargestellt werden, sind schlicht und prägnant.

Mich konnte weder der Inhalt, noch die sprachliche Form begeistern. Die Stimmung ist durchweg negativ, die Beschreibungen der Natur eher dürftig, dabei überhaupt nicht poetisch und die spirituellen Ausflüge wirken wirr und haben wenig Aussagekraft. Das Leben des Mädchens würde ich als eher verstörend bezeichnen, allerdings liegt darin nichts Bedeutsames. Ich habe mich bei der gesamten Lektüre gefragt, wieso die Autorin dieses Buch überhaupt verfasst hat. Immer wieder streut sie allgemeine philosophische Ansichten ein, versucht ein wenig zu abstrahieren, aber auch diese Erkenntnisse haben mich so gar nicht erreicht.

Ab Mitte des Buches nehmen die spirituell geprägten Passagen stark zu. Die Protagonistin reist dann plötzlich mit ihrem Geist herum, was schließlich in einer sehr skurrilen Szene mündet. Da war ich dann komplett weg, ab dieser Stelle ist das Buch einfach nur noch bizarrer Schwachsinn. Es ist eine ganz seltsame und unausgegorene Mischung aus spirituellen Elementen, der naturverbundenen sehr archaischen Kultur und Denkweise der Inuit und zahlreichen pseudophilosophischen wirren Aussagen. Da kann man nun schon interpretieren, ein tieferer Sinn mit literarischen Wert liegt meiner Ansicht nach nicht in diesem Text. Die eingestreuten „Gedichte“ haben vermutlich den Sinn beim Leser Gefühle und Gedanken der Protagonistin hervorzurufen, ganz ähnlich dem Stil des Gedankenstroms, wobei das nicht wirklich gelingt, denn die Sätze sind oft unvollständig, konfus, planlos, wirken hingeworfen und zusammenhangslos. Bei mir hat die Wirkung ihr Ziel verfehlt.

Tanya Tagaq stammt selbst aus Cambridge Bay und hat in dem Buch wohl zahlreiche eigene Kindheits- und Jugenderinnerungen verarbeitet. Eisfuchs ist ihr erstes belletristisches Buch und sonst ist sie Komponistin und Sängerin. Wobei die Videos von ihren Songs, die man so auf Youtube findet, für sich sprechen, also da wundert mich nun nichts mehr. Das ist mal eine komplett andere Welt. Ich fand ja Björk schon immer irgendwie schräg, aber Tagaq legt da nochmal ordentlich was drauf.

Das Buch ist von seiner Verarbeitung eher gewöhnlich, kommt mit einer normalen Klebebindung und ohne Lesebändchen. Der Einband passt mit seinem hellen Weiß sehr gut. Es gibt auch einige Illustrationen von Jaime Hernandez, die mir auch durchgängig gar nicht gefallen haben. Sie sind sehr schlicht und nüchtern. Das passt zwar zum Inhalt, aber die dargestellten Szenen sind nicht sonderlich schön oder sehenswert. Dem ohnehin stark begrenzten Lesevergnügen sind sie auf jeden Fall nicht zuträglich.

Fazit: Eisfuchs kann ich definitiv nicht weiterempfehlen und kann jedem nur davon abraten. Es hat eine sehr negative Grundstimmung, eine ganz skurrile, auf mich sinnlos wirkende Geschichte, ist sprachlich völlig unspektakulär und es fehlt an jeglicher Aussagekraft oder inhaltlicher Ausrichtung. Die arktische Stimmung wird nur begrenzt vermittelt, die Figuren wirken allesamt seltsam und unsympathisch, die beschriebene Gesellschaft ist abstoßend, genauso wie die anekdotenhaften Szenen, die sich oft in völlig wirren spirituellen Szenen auflösen und damit jeglichen Bezug zur Realität verlieren. Die philosophischen Aussagen wirken ebenfalls sehr wirr, wenig zielgerichtet und zusammen mit den lyrischen Elementen erscheinen sie als völlig aus der Luft gegriffen und ohne tieferen Sinn. Das Buch lässt mich sehr enttäuscht zurück und es wird ganz sicher keinen Platz in meinem Regal bekommen.

Buchinformation: Eisfuchs • Tanya Tagaq • Antje Kunstmann Verlag • 200 Seiten • ISBN 9783956143533

1 Kommentar

  1. Magischer Realismus ist manchmal schwer zu verstehen, wenn man die Kulturen nicht kennt. Wir Europäer sind dann schnell überfordert. Trotz der schlechten Kritik bin ich dankbar für den Tipp, ich hab´s mir mal auf den Merkzettel gelegt.

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