Der Zorn des Meeres • Bram Stoker

Der mare Verlag ist einer meiner absoluten Favoriten und ich verfolge immer sehr aufmerksam das Programm und alle Neuerscheinungen. Ich liebe die mare Klassiker, die ich alle besitze und von deren inhaltliche Ausrichtung, aber besonders auch von deren Ausstattung ich sehr begeistert bin. Dabei werden eher unbekannte Romane der ganz großen Autoren gewählt, die immer einen Bezug zum Meer haben und komplett neu übersetzt wurden. Die Bücher sind alle in hochwertiges Leinen gebunden, kommen mit Schuber, Lesebändchen und geschmeidigen Papier. Bibliophil sind die Bücher ein echtes Vergnügen und treffen genau meinen Geschmack. Ende 2018 hat der Mare Verlag eine neue Reihe schöner Klassiker ins Leben gerufen. Diese fällt kleiner aus und besteht aus kurzen Erzählungen und Novellen. Den ersten Band Der Pavillon in den Dünen hatte ich damals besprochen und fand ihn sehr gelungen. Die Bände der Reihe, die auf diesen ersten folgten, hatte ich bereits in anderer Form, denn sie waren der großen Reihe entnommen. Der Zorn des Meeres ist der vierte Band und komplett neu und bisher noch nirgends veröffentlicht. Da war natürlich klar, dass ich das Büchlein haben musste. Ob der mare Verlag hier seine Tradition als Premium-Triple-A-Verlag gerecht wird, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Der Klappentext war sehr verheißungsvoll und ich war gespannt, was für eine Geschichte mich hier erwarten würde. Handlungsort ist die raue schottische Ostküste. William Barrow, Mitarbeiter der Küstenwache, wird vor Schmugglern gewarnt, wobei es sich meist um ortsansässige Fischer handelt, die unter ihrem Fang die Waren verstecken und so ihr dürftiges Einkommen etwas aufbessern. Seine verlobte Maggie bittet ihn um Nachsicht, da ihr verschuldeter Vater genötigt wurde, ebenfalls Waren am Zoll vorbei zu schmuggeln. Schließlich begibt sich Maggie auf ein sehr gefährliches Abenteuer, um ihren aufrichtigen Verlobten und zugleich ihrem Vater gerecht zu werden.

Das Tempo der Geschichte ist hoch und beim Lesen bin ich sehr schnell in die Geschichte eingetaucht. Mit gerade einmal 149 Seiten ist auch nicht viel Raum und so treibt Stoker die Story schnell voran. Die Sprache fand ich sehr angenehm, er schreibt durchaus poetisch, übertreibt aber auch nicht. Die Gedanken und Szenen wirken somit klar und erscheinen deutlich vor dem geistigen Auge. Was mir wieder so richtig gut gefallen hat, ist das Meer und seine raue Seite, die pittoresk und berückend beschrieben wird. Da trifft der mare Verlag einfach immer genau meinen Geschmack, das ist einfach immer sehr genial. Beim Lesen spürt man die stürmische See, hat das Gefühl das tosende Wogen zu hören und taucht ganz ein in diese ganz eigene maritime Stimmung, die ich nicht beschreiben kann, aber sehr liebe und in nahezu jedem mare Buch wieder finde. Das ist von der Atmosphäre sehr dicht und ganz nah an beispielsweise Die Arbeiter des Meeres dran.

Hin und wieder rollte eine Welle, größer als alle ihre Gefährten – von den Fischern „Seemannswelle“ genannt -, in ihrer ganzen Pracht aus ungezügelter Kraft heran, überdeckte einen Moment lang das gezackte Weiß der überschwemmten Felsblöcke und durchpflügte die Bucht, als wäre sie der Überbringer einer königlichen Botschaft des Ozeans. (S. 144)

Die Story ist durchweg gelungen, fesselnd und konnte mich auch vom Ende überzeugen. Sie wirkt rund und stimmig. Mich hat der Innenblick auf einzelne Charaktere begeistert, der an einigen Stellen eingestreut ist und dem kurzen Roman eine angenehme Tiefe gibt. Allerdings ist die Geschichte eher mäßig pointiert und kommt nicht mit dem großen Knall, weder während ihres Verlaufs, noch am Ende. Was allerdings nicht störend ist, denn in Summe kann sie durchgängig überzeugen.

Bram Stoker ist besonders für seinen weltberühmten Roman Dracula bekannt, wurde 1847 in Irland geboren und ist 1912 in London gestorben. Er arbeitete als Theatermanager für Henry Irving und war auch als Journalist und Theaterkritiker tätig. Er heiratete Florence Balcombe, wohl eine sehr hübsche Frau, um die sich auch Oscar Wilde bemüht haben soll. Er traf auch Mark Twain und Walt Whitman, seinem Lieblingsdichter. Er war also in ganz guter Gesellschaft, erlebte aber seinen großen Erfolg mit Dracula nicht mehr.

The Watter’s Mou’, so heißt die Erzählung im Original, erschien 1895 und spielt in Cruden Bay, einem kleinen Ort nördlich von Aberdeenshire in Schottland. Dort hat es Stoker einmal zum Wandern hin verschlagen und er hat sich so in diesen Ort verliebt, so dass er schon ein Jahr später zurückkehrte und dort nahezu regelmäßig seinen jährlichen Urlaub verbrachte. Wenn man nach Bilder aus dieser Ecke googelt, dann kann ich das gut verstehen, also das sieht dort schon sehr schön aus.

Das Nachwort ist wieder sehr gelungen und erzählt interessante Fakten aus Stokers Leben und der Entstehung dieser Erzählung. Die Übersetzung ist von Alexander Pechmann, der bereits zahlreiche mare Klassiker ins Deutsche übertragen hat. Das ist wie gewohnt alles grundsolide und perfekt.

Die Aufmachung gefällt mir wieder sehr gut. Der bedruckte Leineneinband sieht sehr schick aus und passt mit diesem einzelnen kleinen Boot und dem vom Wasser umspülten Felsen im Vordergrund einfach hervorragend zum Inhalt. Leider fehlt eine Fadenbindung, was angesichts des weichen Papiers, des schönen Leineneinbands und des farblich gut passenden Lesebändchens durchaus verschmerzbar ist. Besonders gut gefällt mir auch die Schriftart, die sehr schön mit den serifenlosen Kapitelüberschriften kontrastiert.

Fazit: Wer die besondere Stimmung des Meeres liebt, wer schöne Bücher schätzt und einer kurzen, runden und gelungenen Geschichte nicht abgeneigt ist, für den ist dieses Buch perfekt. Alleine die atmosphärisch dichte Darstellung der stürmischen Nordsee ist ein Genuss. Stoker versteht es, in einem poetischen und zugleich klaren Stil, eine fesselnden Geschichte zu erzählen. Optisch ist das Buch wieder wunderschön und der bedruckte Leineneinband mit dem hervorragend gewählten Motiv runden das Gesamtbild perfekt ab. Mir hat das Büchlein richtig gut gefallen und ich finde es sehr empfehlenswert. Leider reicht diese genussvolle aber kurze Lektüre nur für einen Abend.

Buchinformation: Der Zorn des Meeres • Bram Stoker • mare Verlag • 173 Seiten • ISBN 9783866486133

2 Kommentare

  1. Dracula steht hier im Bücherregal und wurde in den letzten 50 Jahren mehrmals von mir gelesen. Darauf war mein Wissen über Bram Stoker reduziert. Vielen Dank nun für diesen Tipp, der mir den Blick auf Stokers Werk erweitert.

  2. Habe mir nach deiner Buchbesprechung den „Zorn des Meeres“ gekauft und war und bin von der Buchkunst dieses kleinen Bandes begeistert – Papier, Layout, Satz, Einband, Lesebändchen und sogar der Schuber sind einfach wunderbar! Und die kleine Geschichte ist originell, spannend mit gekonnt immer weiter ansteigendem Spannungsbogen, ausführlichen Naturschilderungen, die nie langweilig sind. Der Schluss hat mich überrascht, ich hatte einen anderen erwartet – auch das hat mir gut gefallen.
    Fazit: Ein toller Tipp! DER ZORN DES MEERES ist absolut zu empfehlen! Übrigens auch ein hervorragendes Geschenk für Bücherfreunde!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert