Das Schicksal der Salome • Gaito Gasdanow
Ein Buch von Gaito Gasdanow in Händen zu halten, ist einfach immer wieder eine Freude. Man weiß bereits vor der Lektüre, dass es höchster Lesegenuss wird. Diesmal handelt es sich um einen frisch erschienenen Erzählband, mit zehn erstmals ins Deutsche übersetzte Kurgeschichten. Wer diese Geschichten liest, wer in sie eintaucht und Gasdanows wunderbarer Erzählstimme lauscht, wer sich diesem Lesefluss hingibt, der wird sehr belohnt. Was man hier in Händen hält, ist Weltliteratur auf höchstem Niveau. Wenn ihr besondere und schwer zu entdeckende Literatur liebt, dann lest unbedingt diesen Beitrag. Einen besseren Buchtipp könnt ihr nicht bekommen.
Ich habe auf diesem Blog ja schon zahlreiche Bücher von Gasdanow besprochen. Er gehört für mich zu den Autoren, von denen ich nicht genug bekommen kann. Ich finde einfach zu viel von meinem eigenen Denken in seinen Texten. Es ist seine distanzierte Art, auf die Menschen um sich herum zu blicken, der feine Blick auf kleinste emotionale Empfindungen, die er mit einer melodischen Stimme in dem Leser erweckt. Und so ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich an einem ruhigen Abend in einem seiner Bücher blättere und einzelne Episoden oder Geschichten von ihm lese.
Einige der bekannten Bücher Gasdanows erschienen im Hanser Verlag. Auf meiner Suche nach Mehr, war dann aber lange Zeit nichts zu finden, bis plötzlich ein Roman von ihm im BoD Verlag erschien. Wie sich herausgestellt hatte, wurden sie in kompletter Eigenregie von Jürgen Barck übersetzt, der in sehr sorgfältiger und hingebungsvoller Arbeit, die bisher noch nie ins Deutsche übersetzten Texte von Gasdanow neu übertrug. Es folgten einige weitere Romane seines Früh- und Spätwerks. Und nun hat er dieses Buch Das Schicksal der Salome veröffentlicht und ich hatte das große Glück und die große Ehre es schon vor seinem Erscheinen in Händen zu halten. Ich habe die Geschichten gelesen und war völlig begeistert davon, was ich hier zu lesen bekommen hatte. Das sind nicht einfach irgendwelche Geschichten, das ist die ganz große Weltliteratur, das ist auf einem so hohen Niveau, dass es nicht sein kann, dass diese Texte bisher unentdeckt geblieben waren.
Nahezu alle Erzählungen umfassen außergewöhnliche, romantische und fesselnde Liebesgeschichten. Es sind die unkonventionellen Frauenfiguren, die im stimmungsvollen Paris der 30er bis 60er Jahre angesiedelt sind, die den Reiz dieser Erzählungen ausmachen. Verfasst mit der eindringlichen Stimme Gasdanows, aus der Perspektive eines Erzählers, der nicht so recht Teil der Gesellschaft ist, der eine gewisse Einsamkeit, eine Verlorenheit ausstrahlt und damit diese sehr echt wirkenden, aber mit Makel behafteten und dennoch sehr anziehenden Frauen einhüllt, in einen feinen Hauch des Unmöglichen. Diese Stimmung findet man in der Literatur nicht so oft und noch immer faszinieren mich diese feinen, langen und kunstvollen Sätzen, die immer einem Gedankengang folgen, der in mir dann auch stets von Emotionen begleitet wird und die Sehnsucht weckt, nach diesem Unbestimmten, das auch Gasdanow nur vage greifbar macht und das dennoch zweifellos da ist, auch wenn man es nie vollständig in Worte fassen könnte.
Am besten hat mir Die Narbe gefallen. Alleine für diese eine Geschichte lohnt es sich, das Buch zu kaufen. Natascha, die Protagonistin ist einfach faszinierend und der Plot, der sich um sie entspinnt, ist unglaublich fesselnd. Mit Gasdanows feiner Sprache ist das einfach ein Lesevergnügen. Ich habe die Geschichte schon mehrfach gelesen und sie verliert einfach nichts von ihrem Reiz. Das Schicksal der Salome ist eine Geschichte, die mir ebenso ans Herz gewachsen ist und die ich gleichermaßen verschlungen habe. Darin geht es um einen Künstler und eine sehr kapriziöse Frau. Auch hier hat die Geschichte und auch das Ende einen besonderen Tiefgang, der mich auch nach der Lektüre noch beschäftigt hat. Olga ist ebenso eine Geschichte, die eine ganz faszinierende Frau porträtiert und Gasdanows eigene Unstetigkeit und Heimatlosigkeit widerspiegelt. Genau das ist das zentrale Thema dieses Buches: Liebesgeschichten zwischen ganz ungewöhnlichen Menschen. In Das Wassergefängnis steht Mademoiselle Tito im Mittelpunkt und deren künstlerischer Salon. In dem Buch sind aber selbstverständlich auch Kurzgeschichten zu finden, die ein anderes Sujet haben. Die Briefe des Iwanows beispielsweise, eine Erzählung, die eine wirklich schöne und überraschende Wendung hat. Das Verschwinden von Ricardi fand ich auch sehr außergewöhnlich.
Ich habe alle zehn Geschichten verschlungen und teilweise mehrfach gelesen. Von der Sprache ist hier alles sehr perfekt, so wie man das von Gasdanow kennt und man kommt beim Lesen einfach wieder in diesen Lesefluss, der einen nicht mehr loslässt. Jürgen Barck hat die Texte in hervorragender Qualität übersetzt und man merkt beim Lesen, mit welcher Sorgfalt diese Geschichten ins Deutsche übertragen wurden. Besonders weil man diesen typischen Stil von Gasdanow sofort wieder erkennt und wahrnimmt und das ist schon eine Leistung, das in eine andere Sprache zu transferieren.
Ich hatte tatsächlich die Ehre, das Vorwort für dieses Buch schreiben zu dürfen. An der Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön an Jürgen Barck. Das ist mir auch nicht schwer gefallen, denn die Geschichten sind einfach ein Lesegenuss und darauf einzustimmen war nicht sehr schwer.
Von der Buchgestaltung ist das Buch ebenfalls sehr gut gelungen. Besonders das Bild auf dem Umschlag trifft es einfach hervorragend, das ist einfach gut gewählt. Genau so stelle ich mir eine Natascha oder Olga vor, immer auf Reisen, rastlos und mit diesem bereits wieder in die Ferne gerichteten Gesichtsausdruck. Mit dem roten Lesebändchen und dem dazu farblich passenden Einband sieht es sehr stimmig aus. An die Prachtausgaben kommt es natürlich nicht ran, aber vom ganzen Rahmen her ist es ein sehr schönes Buch, das man gerne in die Hand nimmt.
Für mich ist noch immer unverständlich, warum sich kein Verlag diese Bücher ins Programm holt. Klar, Gasdanow ist noch immer eine Nische, aber seine Geschichten haben eine so hohe Qualität, sie sind voller Tiefgang, sie werden mit so viel Feingefühl erzählt und haben sehr echte und faszinierende Figuren, dass es doch jedes Verlags-Portfolio deutlich aufwerten würde. Zumal die Übersetzung wirklich feinste Qualität ist, was man besonders dann merkt, wenn man sich die oft komplexen Sätze genauer betrachtet oder diese Sprachmelodie wahrnimmt, die man auch in anderen Übersetzungen findet. Es ist einfach ein großer Gewinn, dass Jürgen Barck das macht und damit einer deutschen Leserschaft diese wunderbaren Texte erstmals zugänglich macht.
Fazit: Das Schicksal der Salome ist eine großartige Sammlung von Gasdanows Erzählungen. Mit den faszinierenden Frauenfiguren, der wunderbaren feinen und fließenden Sprache, den oft überraschenden Wendungen und mit seiner ganz eigenen Stimmung, ist das Buch einfach Weltliteratur auf höchstem Niveau. Ideal um Gasdanow kennenzulernen und perfekt für jeden, der Gasdanows Bücher bereits zu schätzen weiß. Der Übersetzung und Buchgestaltung sieht man die Sorgfalt und Hingabe an und man bekommt hier ein stimmiges Buch, das auch als Geschenk gut geeignet ist. Eine absolute Buchempfehlung, nicht nur, weil das Vorwort aus meiner Feder stammt.
Buchinformation: Das Schicksal der Salome • Gaito Gasdanow • BoD Verlag • Übersetzer: Jürgen Barck • 260 Seiten • ISBN 9783758367373 • Leseprobe
Sauber – gratuliere, Tobi! Ein von Dir geschriebenes Vorwort wäre Anreiz endlich mal einen Gasdanow zu lesen, den Du mir in Deinen bisherigen Rezensionen ohnehin schon schmackhaft machen konntest.