Yellowface • Rebecca F. Kuang
Yellowface ist ganz unerwartet bei mir im Briefkasten gelandet. Verpackt in einer schön gestalteten Box und nachdem ich in einer Phase bin, wo ich etwas unstet in meinem Leseverhalten bin, kam dieses Buch genau zur richtigen Zeit. Von Kuang habe ich bereits Babel gelesen, das für mich zwar kein Jahrhundertroman war, ich allerdings doch als unterhaltsam und lesenswert in Erinnerung habe. Yellowface hätte ich mir vom Klappentext her nicht ausgesucht, denn so wie es vermarktet wird, hat es eine ganz klare Zielgruppe, zu der ich sicher nicht zähle. Dennoch habe ich es zur Hand genommen, einfach weil es gut tut, auch immer mal wieder mit den Gewohnheiten zu brechen und literarisch ein bisschen was zu probieren. Worum geht es in Yellowface und hat sich meine unerwartete Lektüre gelohnt? Hier erfahrt ihr es.
Die Protagonistin June Hayward ist eher lose mit Athena befreundet, einer ehemaligen Kommilitonin aus ihrer Studienzeit an einer Eliteuniversität. Beide wollen erfolgreiche Autorinnen werden und während Athena Erfolge feiert, blickt June mit Neid und zugleich Bewunderung auf ihre Freundin. Auch wenn ihre Verbindung eher lose ist, verbringen sie Zeit zusammen und durch einen Unfall stirbt Athena vor Junes Augen. Trotz des Schocks entwendet June das neueste, soeben fertiggestellte Manuskript von Athena, überarbeitet es und veröffentlicht es schließlich unter eigenem Namen. Natürlich kommt es, wie es kommen muss: June kommt in einen Strudel aus Ereignissen, um dieses Buch, das irgendwie ihres, aber doch auch ein gestohlenes Werk von Athena ist.
Warum hätte ich vom ersten Blick her nicht nach dem Buch gegriffen? Es geht darin um Cancel-Culture, um Rassismus, um kulturelle Aneignung, um Diversität und all die Themen, die derzeit einfach übermäßig präsent sind. Nichts, womit ich mich dann noch in literarischer Form zusätzlich beschäftigen möchte, besonders nachdem diese Themen hierzulande ausschließlich polemisierend und ohne jegliche Differenzierung diskutiert werden. Auch der Plot erscheint mir abgedroschen, eine Autorin stiehlt ein fremdes Werk und veröffentlicht es unter eigenem Namen und das Spannungselement ist die Frage, ob es auffliegt. Drittes Argument gegen das Buch: Bücher in denen Bücher, die Verlagswelt, kuschelige Bücherläden oder das Schreiben eine Hauptrolle spielen, sind eigentlich immer für die Tonne. Das liegt aus meiner Sicht daran, dass Autoren ja dann über ihr eigenes tägliches Geschäft schreiben und ferner könnte das hinsichtlich Kreativität nicht sein.
Yellowface hat dann durchaus meine Vorbehalte bestätigt. Der Plot selbst ist eher lahm, wenig einfallsreich und wenn ich mir die gesamte Geschichte anschaue, mit dem Ende, dann ist es nichts, woran ich mich längere Zeit erinnern werde. Es fehlt jegliche Aussagekraft. Tatsächlich ist das Buch spannend und es macht sehr Spaß es zu lesen, allerdings ungefähr auf der Ebene einer seichten Serie, die man sich Abends zur Entspannung reinzieht.
Kuang stellt in dem Buch die Verlagswelt sehr überzogen dar, was natürlich der Steigerung der Spannung dient. Alles ist übermäßig kommerziell und der literarische Erfolg wird hier mit einem Momentum beschrieben, den eher Popstars erleben, da die Bücherwelt einfach viel behäbiger ist. Das sorgt aber auch für Spannung und Tempo, ich habe es als fesselnd empfunden, zu lesen, wie June Erfolg hat, wie sie auf Twitter ihren Aufstieg verfolgt, wie kommerziell aber gleichzeitig die Verlagswelt ist. Von vornherein platziert der Verlag ihr Buch über die ungerecht behandelten chinesischen Wanderarbeiter des ersten Weltkriegs als Bestseller. Die ganze Literaturszene wird dargestellt, als ob es nur um den kurzfristigen Erfolg geht, das Scheffeln von viel Geld, gepaart mit Oberflächlichkeit, gierigen Literaturagenten, Rooftoppartys mit Cocktails mit den Lektoren und dem Verlagsmarketing. Ohne tieferen Einblick in die Verlagswelt, sind die kommerziellen Absichten klar, allerdings so extrem geht es natürlich nicht einmal in der USA zu, dafür ist das ganze Geschäft zu träge. Eine gewisse Kritik ist natürlich gerechtfertigt, wenn man sich so anschaut, was für Bücher verlegt werden, dann ist oft klar, dass es genau so ist, wie Kuang in ihrem Buch beschreibt. Da werden von den Verlagen ganz stark Trends bedient, in Deutschland natürlich die Themen, für die man hier, ausgehend von der verzehrt wahrgenommenen deutschen moralischen Überlegenheit, permanent die Keule schwingt, mögen sie nun von so imminenter Wichtigkeit sein, wie sie die Masse wahrnimmt, oder völlig bedeutungslos sein. Sobald ein Markt da ist, gibt es Bücher dazu. Diese überzogene Darstellung der Verlagswelt macht aber natürlich auch den Unterhaltungswert des Buches aus.
Der zweite große Protagonist der Geschichte ist Twitter. Junes primäre Quelle dafür, ob sie nun gerade bei der Öffentlichkeit in Gnade oder Ungnade ist, zieht sie eigentlich primär aus den Twitter-Beiträgen der Menschen. Da geht es auf und ab, sie liest die guten Kommentare, aber auch Verrisse. Und ihre größten Kritiker sind natürlich in Social Media unterwegs, seien es Blogs, Instagram oder allen voran Twitter. Aber es zieht natürlich beim Lesen schon, mit der Protagonistin den nächsten Twitter-Shitstorm zu erleben. Die dort beschriebene Popularität von Büchern auf Twitter ist schon sehr übertrieben. Man merkt aber auch, dass die Autorin intensiv Social Media nutzt und da überrascht nicht, dass sie knapp 100.000 Follower bei Twitter/X hat. Ich denke in weniger intensiven Form, hat sie selbst schon verschiedene Hochs und Tiefs auf Social Media erlebt. Hier schöpft sie sicher aus eigenen Erfahrungen. So wie sich June in dem Buch verhält, sind es genau die bekannten Probleme und Verhaltensmuster bei der Nutzung von Social Media. Besonders viel Tiefe bekommt das Buch dadurch natürlich nicht. Kuang stellt das aber schon insgesamt sehr gut dar, so geht es zu, in den Sozialen Netzen, das hat die Autorin wirklich sehr gut eingefangen.
Sprachlich ist das Buch ein kompletter Reinfall. Es gibt keine poetischen oder schönen Sätze. Alles ist in völliger Alltagssprache verfasst, mit Wörtern, die einfach in keinem Buch stehen sollen. Hier ein Beispiel:
„Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße. Athena hielt all ihre Ideen in diesen dämlichen Moleskine-Notzizbüchern fest.“ (S. 63)
Die einfache und alltägliche Sprache liest sich wie ein langer Erlebnisbericht, der genau so auf Facebook stehen könnte. Diese einfachen Sätze sorgen natürlich für eine große Nähe zur Protagonistin und wenn man selbst viel in Social Media unterwegs ist, dann wird man sie als authentisch empfinden und dieses Umfeld darin sofort wiederfinden. Hier schließt sich auch der Kreis: Wer findet so eine Cancel-Cultur-kulturelle-Aneignung-Rassismuss-Diversitäts-Geschichte spannend? Die Menschen, die diese Themen permanent durchhecheln und das sind Social Media Nutzer, allen voran Twitter/X Nutzer.
Wer nun in den schlichten Alltagssätzen herumwatet, findet in dem Buch aber noch eine Steigerung dessen: Es wird durchgängig gegendert, was beim Lesen nur schwer zu ertragen ist. Auch in diesem Punkt natürlich eine klare Ausrichtung auf die sensibilisierte Zielgruppe. Es ist der erste gegenderte Roman, den ich gelesen habe und ich war kurz davor, beim ersten „*innen“ das Buch einfach wieder beiseite zu legen. Für den Browser gibt es ja Erweiterungen, die das Gegender wieder entfernen, aber bei einem Buch geht sowas ja leider nicht. Beim Lesen ist mir auch aufgefallen, dass das Gendern auch eine Übertreibung ist, nur in die andere Richtung. Nachdem jedes gegenderte Wort mit einem „innen“ endet, liest man also eher die weibliche Variante. Autor*Innen wird beim schnellen Lesen (und das Buch liest man aufgrund seiner einfachen Sprache wirklich sehr schnell) zu einem Autorinnen. Gerechter wäre es, einen Text zu mischen, also im gerechten Wechsel „Autoren“ und dann „Autorinnen“ zu schreiben.
Werden nun die Themen wie kulturelle Aneignung oder das „Canceln“ thematisch aufgearbeitet oder näher beleuchtet? Aus meiner Sicht nicht. Es werden die üblichen Vorurteile und die Gegenargumente durchgehechelt, Neues erfährt der Leser nicht, hier ist nichts von Gehalt zu diesem Thema zu finden.
Vom Umfang habe ich das Buch als zu lange empfunden. Es wird schon alles ziemlich ausgeschmückt, ich würde sagen, dass man ohne große Verluste die Geschichte um ein viertel oder gar ein drittel hätte eindampfen können, ohne dass irgendetwas Nennenswertes dabei verloren gegangen wäre.
Bis hier liest sich das alles vielleicht wie ein Verriss, aber ich möchte an der Stelle auch nochmal betonen, dass die Lektüre wirklich unterhaltsam war, man wollte beim Lesen dann schon wissen, was bei der ganzen Sache am Ende raus kommt (leider dann nur eine platte Pointe ohne jegliche Aussagekraft). Auch die ganzen Spannungselemente sind Kuang sehr gut gelungen. Die übertriebene Verlagswelt, wie Social Media auf June wirkt und wie man als Leser ihr in Echtzeit ihr über die Schulter schaut, wenn der nächste Shitstorm über sie schwappt, die alltägliche Sprache, die schon dem entspricht, was man gerade im Netz auch so antrifft, die Hater, deren Identität sie aufdecken möchte, all die Elemente ziehen einen als Leser durch das Buch und man merkt, dass sie sich mit dem Handwerk des Schreibens gut beschäftigt hat. Ab Mitte des Buches, wenn es stellenweise an Tempo verliert, bringt sie am Ende der Kapitel immer wieder Cliffhanger, das hatte schon sehr den Stil von Serien, was ich als ganz nettes und stimmiges Element empfunden habe.
Kuang, die in China geboren ist und mit vier Jahren in die USA kam, hat bereits mehrere Bücher geschrieben und war zuletzt mit Babel sehr erfolgreich. Wenn ich Yellowface mit Babel vergleiche, dann war Babel deutlich einfallsreicher und hatte deutlich mehr Tiefe als dieses Buch, dass mir eher als ein Buch erscheint, dass aus kommerziellen Gründen veröffentlicht wurde. Das Buch wird auch aus Marketing-Sicht ganz schön gepusht: Das knallige gelbe Design, die Themen, die behandelt werden, der bedruckte Buchschnitt, der gerade bei jüngeren Leserinnen derzeit sehr beliebt ist, dann natürlich die Bekanntheit von Kuang, die mit Babel einen internationalen Erfolg hatte, das ist alles schon sehr durchoptimiert.
Mir gefällt die Aufmachung von dem Buch schon ganz gut. Der gelbe Umschlag ist zwar eher schlicht, aber zusammen mit dem bedruckten Buchschnitt, der Farbgebung, dem schwarzen Lesebändchen und auch dem Vorsatzpapier, gefällt es mir schon sehr gut. Richtig gelungen finde ich den Buchdeckel, der mit dem Titel von Junes Buch bedruckt ist, wobei der Name von Athena durchgestrichen und mit dem von Junes Pseudonym ersetzt wurde. So ein gestalterisches Element, der den Inhalt von dem Buch aufgreift, finde ich sehr gelungen. Überhaupt macht der Eichborn Verlag bei der Buchgestaltung sehr viel richtig, was mir sowohl bei Washington Black, als auch bei Babel sehr gut gefallen hat.
Fazit: Yellowface ist ein Buch, das mich nur mäßig überzeugen konnte. Der Plot selbst ist eher gewöhnlich, die Sprache sehr alltäglich und wenig poetisch, die Kernthemen, wie die Darstellung des Literaturbetriebs, Cancel-Culture, kulturelle Aneignung und Rassismus, sind für mich abgedroschen und einfach zu präsent. Die Geschichte wird sehr spannend erzählt und es ist schon fesselnd das Buch und ich hab es auch gerne gelesen, gerade weil es immer ein leichtes Spannungselement gibt, sich dabei aber ohne jeglichen Anspruch lesen lässt. Irgendwie wollte ich doch wissen, wie es ausgeht, auch wenn ich dann schlussendlich vom Plot doch eher enttäuscht war. Wer ein gutes Buch von Kuang lesen will, sollte lieber zu Babel greifen. Wer einfach entspannen und abschalten möchte, eine anspruchslose Strandlektüre sucht, oder gerne einen kleinen übertriebenen Blick auf Social Media werfen möchte, für den ist das Buch eine gute Wahl.
Guten Morgen Tobias
Mit großem Interesse habe ich deine Rezension gelesen. Da ich deinen Lesegeschmack schon länger verfolge, wundert es mich nicht, dass dich die Geschichte nicht komplett (bis gar nicht) überzeugen konnte. Ich selbst bin dem Hype um das Buch aufgesessen und habe es mir gekauft. Da Babel auch noch ungelesen bei mir im Regal steht, freue ich mich nun darauf. Trotz deiner Kritikpunkte freue ich mich jedoch nun auf Yellowface. Das Thema ist genau meins. Die Sprache ohne poetische Sätze mal richtig erholsam. Diesbezüglich habe ich manchmal das Gefühl, in einigen Büchern versucht man krampfhaft poetische Sätze hinzuknallen. Das kommerzielle in der Geschichte von Kuang klingt für mich überzeugend. Der Buchhandel und die Verlage kämpfen um gute Verkäufe. Für mich nachvollziehbar. Wer kämpft heutzutage nicht? Ausgefallene Buchschnitte und Cover sollen den Kaufanreiz erhöhen. Schade ist nur, dass die Individualität auf weiten Strecken damit verloren geht. Wobei ich dir zustimme. Das ist bei diesem Buch sehr gut gelungen.
Danke für die differenzierte Besprechung.
Einen schönen Sonntag,
Gisela
Lieber Tobi, danke für Deine Rezension.
Bei dem Hype, der um dieses Buch entfacht wurde, bin ich automatisch skeptisch geworden. Deine Rezension hat nun meine Vermutungen bestätigt. Ein weiteres Buch, viel zu schade, um damit Lebenszeit zu vergeuden. Herzlichen Dank für den damit möglichen Zeitgewinn.
Michael