Kleine Dinge wie diese • Claire Keegan

Die letzten Wochen war ich hier weniger aktiv, habe aber dennoch einiges gelesen und eines der Bücher möchte ich heute vorstellen. Auf dieses Buch wäre ich selbst nicht gekommen, habe es mir aber auf eine Empfehlung hin geholt. Zeitgenössische Literatur ist zumeist eher Mittelklasse, aber ab und zu ist es ganz angenehm, etwas Aktuelleres zu lesen und ein bisschen in andere Genres zu schnuppern. Dieses hübsche und sehr kurze Buch aus der Feder einer irischen Autorin hat sich durchaus sehr interessant angehört. Nachdem es zwischen all den Klassikern ein bisschen aus den Rahmen fällt, möchte ich es hier vorstellen.

Kleine Dinge wie diese handelt von dem Kohlehändler Furlong, der in einem kleinen irischen Ort aufgewachsen ist. Dank einer Witwe, die seine Mutter mit ihm als unehelichen Kind dennoch angestellt hat, wuchs er unter guten Bedingungen auf und konnte so einen zwar kräftezehrenden, aber guten Beruf erlernen. Zusammen mit seiner Frau und fünf Kindern führt er ein einfaches aber gutes Leben. Die Rahmenhandlung spielt 1985 und erzählt, wie Furlong in einem Kloster, das eine Wäscherei betreibt, in Kohleschuppen eine Entdeckung macht, die ihm unweigerlich vor Augen führt, dass dieses gesellschaftlich akzeptierte Kloster ein schreckliches, aber allgemein akzeptiertes Geheimnis birgt.

Der Einstieg in das Buch, das eigentlich eher eine Kurzgeschichte ist, fällt sehr leicht und der Leser wird sehr schnell mit Furlong und seinen Hintergrund vertraut gemacht. Was sofort auffällt ist Keegans Schreibstil. Er ist schlicht, die Sätze einfach und die dargestellten Szenen bestechen gerade durch ihre reduzierte Komposition. Anstelle von langen Beschreibungen fokussiert sie sich sehr und erschafft ein Bild mit wenigen akzentuierten Szenen und Schilderungen. Dabei versucht sie im Leser gezielt Emotionen und Eindrücke zu wecken. Wenn sie beispielsweise das sich kräuselnde Wasser im Weihwasserbecken einer Kirche erwähnt, in das die Besucher ihre Finger tauchen um sich zu bekreuzigen. Oder ausgewählte Details dazu, was an Weihnachten gebacken wird. Das fand ich schon eine Leistung. Ich musste an Stefan Zweig denken, der über seinen Schaffensprozess geschrieben hat, dass die Kunst darin besteht, den geschriebenen Text deutlich zu kürzen und unnötige Sätze zu streichen. Das hat Keegan maximal gemacht. Das ist definitiv bemerkenswert. Ich bin da aber hin und hergerissen. Ich mag es, wenn die Vorstellung scharfe Konturen hat und deutlich vor dem geistigen Auge hervortritt. Gleichzeitig liebe ich schöne lange und melodische Sätze und die bekommt man in diesem Buch gar nicht.

Beim Lesen habe ich mich gefragt, worauf die Autorin hinaus will. Ab der Mitte des Buches wird es klar und zu der Aussage, die das Buch treffen möchte, passt dieser Stil hervorragend. Anders als es bei vielen Novellen der Fall ist, fällt die Pointe hier sehr sanft aus. Anstatt einen lauten Knall, sind es eher sanfte Töne, die am Ende der Lektüre im Leser zurückbleiben. Auch das fand ich sehr angenehm und gut passend zu dem, was Keegan hier zum Ausdruck bringen möchte. Ich würde sagen sowohl vom sprachlichen und erzählerischen Stil, als auch hinsichtlich der Botschaft ist dieses Buch angenehm unaufgeregt.

Im Zentrum des Buches stehen die Machenschaften der Kirche, die, wie man dieser Tage weiß, eine ordentlich kriminelle Organisation ist und über viele Jahrhunderte massiv Kapital aus den Menschen geschlagen hat. Ich finde es schön, wie Keegan das in die Gesellschaft einbettet, die sie hier beschreibt. Wie verwoben dieses Kloster mit dem Alltag der Menschen ist, wie die Menschen ihren Vorteil aus den unternehmerischen Aktivitäten der Nonnen ziehen und billigend in Kauf nehmen, dass dieses System auf Elend errichtet ist. Und das ist ein Thema, das aktueller ist denn je. In unserer Gesellschaft werden jeden Tag auf exakt diese Weise die Augen verschlossen, während es dem eigenen Vorteil dient. So sind sie, die Menschen. Und so findet sich jeder auch selbst in den sanften Protagonisten Furlong. Sehr gelungen ist auch, wie Keegan mit der Beschreibung einzelner Gedanken und Eindrücke Furlongs, in denen sich der Leser selbst wieder findet, genau diese Verbundenheit herstellt.

Claire Keegan wurde 1999 mit Antarctica, einer Kurzgeschichtensammlung bekannt und hat seitdem einige Bücher veröffentlich, die auch mehrfach ausgezeichnet wurden. Sie wurde 1968 in Ostrirland geboren, hat Politikwissenschaften, aber auch kreatives Schreiben studiert. Das merkt man dem geschliffenen Stil durchaus an. Kleine Dinge wie diese wurde sogar verfilmt und kam vor einem Jahr in die Kinos.

Das kleine gebundene Buch, mit Fadenheftung, Leineneinband und Lesebändchen gefällt mir ausnehmend gut. Ich war von der hohen Qualität sehr überrascht. Ich hab es gerne in die Hand genommen und es fühlt sich trotz seiner wenigen Seiten angenehm wertig an. Das trifft man nicht mehr so oft in dieser Form an. Auch die Krähe auf dem bedruckten Leineneinband passt hervorragend und greift eines der vielen Bilder auf, die Keegan im Buch nutzt, um diesen Ort und dem, was dahinter liegt, ein Gesicht zu geben. Wirklich sehr gelungen.

Auf Arte.tv gibt es wieder eine wenn auch kurze doch wunderbare Dokumentation über Claire Keegans Werk: https://www.arte.tv/de/videos/118699-001-A/claire-keegan-eine-stimme-gegen-die-ungerechtigkeit/

Fazit: Kleine Dinge wie diese ist ein angenehm unaufgeregtes Buch, das mit seiner reduzierten Ausgestaltung, seinen akzentuierten Bildern und einer einfühlsam erzählten Geschichte besticht. Es ist kein Meisterwerk, es ist keine spannende Story, die den Leser fesselt, es sind die sanften Zwischentöne, erzeugt aus sorgfältig gewählten Szenen und Momenten, die dem Buch seinen Reiz und seine Atmosphäre geben. Eine angenehme Lektüre, die durchaus empfehlenswert ist, vermutlich aber nicht lange in mir nachhallen wird. Dazu ist sie dann doch zu kurz und wenig pointiert gewesen. Das Buch selbst ist sehr schön und hochwertig. Wem Klappentext und Aufmachung ansprechen, kann ich es uneingeschränkt empfehlen.

Buchinformation: Kleine Dinge wie diese • Claire Keegan • Steidl Verlag • 112 Seiten • ISBN 9783969990650

1 Kommentar

  1. Lieber Tobi, was für ein schönes Buch Du da rezensiert hast!
    Und hohen Respekt, wie gekonnt Du den Schreibstil der Keegan beschreibst. Schon der hat mir das Buch zum Vergnügen gemacht. Eine Sprache, die Bilder malt. Das hast Du sehr treffend geschildert, danke dafür!
    Für mich hebt sich »Small things like these« aus mehreren Gründen aus der Gegenwartsliteratur heraus. Es widmet sich alltäglichen Dingen in geradezu kontemplativer´Weise. Es zeigt einen Menschen, der genau beobachtet und sehr achtsam mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen umgeht. Der Kunden beliefert, auch wenn sie die letzte Rechnung noch nicht bezahlen konnten. Und der denkt: »»… he found himself asking was there any point in beeing alive without helping one another?«
    Unübertroffen die Nacht vor Weihnachten, Furlong sitzt in der Küche, horcht auf die Geräusche der Umwelt, das Rascheln der Kohle im Herd, sitzen, bis die Sterne verblassen, Achtsamkeit pur!
    Für mich ragt die Keegan aus dem Literaturalltag deutlich heraus, was auch in ihren anderen Werken deutlich wird:
    https://mittelhaus.com/2023/02/19/claire-e-small-things-like-these/
    Entschuldige die Länge des Beitrags und nochmal danke für Deine schöne Rezension eines für mich tollen Buchs!

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