Der betrogene Leser: Wie Patrick Rothfuss die Leser hinters Licht führt

Vor einigen Tagen hat mich eine Email erreicht, die mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ein Leser hat mir bezüglich meiner Buchbesprechung zu Die Musik der Stille von Patrick Rothfuss geschrieben und teilt meine Rezeption. Er ist sehr enttäuscht von dem Fantasy-Romanzyklus aus der Feder von Patrick Rothfuss, die im Jahr 2007 begonnen, aber nie abgeschlossen wurde. Er geht aber noch weiter und sagt, dass er sich betrogen fühlt, dass er Rothfuss für einen Betrüger hält und fordert mich auf, doch andere Leser vor diesen Autoren zu warnen. Ja, ich kann ihn verstehen, ich kann die Frustration nachvollziehen, auch wenn ich sie in der Form nicht teile. Ich habe mich aber gefragt, ob das möglich ist. Kann ein Autor ein Betrüger sein? Kann ein Autor mich mit einem Buch wirklich betrügen? Können Verlage Leser mit ihren Büchern wirklich schaden? Zu ihrem eigenen Vorteil? Ein Thema über das ich hier ein wenig nachdenken möchte.

Patrick Rothfuss ist im englischsprachigen Raum wohl schon vor einigen Jahren in Verruf geraten. Der zweite Band seiner Königsmörder-Chronik erschien 2011 und seitdem hat er immer wieder versprochen weitere Bücher zu veröffentlichen, aber wohl nichts mehr auf die Reihe gebracht. Das hat die Fans frustriert und auch starke Kritik hervorgerufen, denn er hat wohl immer wieder Hoffnungen geweckt und sogar Spenden entgegen genommen und als Gegenleistung weitere Kapitel versprochen, dann aber nie geliefert. Er soll sogar seinem Verlag geschadet haben, wie man online lesen kann. Knapp fünfzehn Jahre hält er also seine Leser und Fans hin und macht gleichzeitig vermutlich viel Geld mit seinen Büchern und auch den zahlreichen Neuauflagen. Immerhin werden seine Bücher von den Verlagen noch immer hervorragend vermarktet. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es eine wunderschöne Prachtausgabe. Nur weiter geht es mit der Geschichte nicht. Sie wird wohl unvollendet bleiben. Und wie mein Leser schreibt, ist es auch unmöglich diesen Fantasy-Zyklus noch zu vollenden. Zu komplex ist er geraten, zu viele Charaktere, zu viele Handlungsstränge, die zusammenzuführen unmöglich erscheint, die bereits in den ersten beiden Bänden schon inkonsistent und zu lose sind. Die Leser investieren viel Zeit und auch Geld in die Bücher und sind enttäuscht dann ein offenes Ende vorzufinden. Ich möchte hier den Autoren der Email zitieren, der hier sehr treffende Worte findet.

Nach demselben Prinzip, wie beim Kettenbrief oder beim Finanzschwindler als Anlageberater wird mit weiteren Andeutungen und verschlossenen Kisten immer wieder neues Aufmerksamkeitskapital aquiriert.[…]Aber in diesem Falle fallen richtig viele Leute drauf rein, auch immer noch. Und versenken wie ich viel Zeit und Geld in etwas, das sich irgendwann als wortgewaltiges Konglomerat von Sinnlosigkeiten entpuppt.

Ich kann das vollkommen verstehen und nachvollziehen. Ich hatte das Gefühl bei Die Musik der Stille. Da hat sich der Autor und auch die Verlage die Tasche gefüllt. Ich sehe es aber auch ein wenig differenzierter. Die ersten Bücher sind wirklich wunderbar, da kommt man als Leser schon auf seine Kosten und wird hervorragend unterhalten. Gerade die schöne Neuauflage mit den gelungenen Illustrationen habe ich sehr genossen. Ja es ist ein offenes Ende und da wird vermutlich nichts mehr herum kommen. Ich habe aus Die Musik der Stille gelernt und bin deutlich misstrauischer. Wenn ein Titel angekündigt wird, dann checke ich ganz genau, was das ist. Oft kann man durchaus ein paar Jahre warten und bekommt so ein Buch dann für ein paar Euro gebraucht. Und ich bin lernfähig. Der Weg der Wünsche von Rothfuss habe ich gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Ich habe gesehen, dass es nur 200 Seiten hat und dass es die nächste Kurzgeschichte ist, um die Leser abzuzocken. Und ein dünnes „Ergänzungsbüchlein“ zu einer sehr guten Reihe war selten ein großer Wurf.

Die Verlage versuchen natürlich aus jedem Buch so viel Gewinn wie möglich herauszuholen. Das sind Unternehmen, wenn sie das nicht machen, dann gehen sie unter. Für einen Betrug gehören also auch immer zwei dazu. Oder wie Traven treffend schreibt: „Zuerst sind die Sklaven da, dann erscheint der Diktator auf der Bildfläche.“. So sehe ich es hier auch. Es braucht auch immer den Leser, der sich auch hinters Licht führen lässt.

Dass unvollendete Bücher funktionieren können, das haben viele Klassiker gezeigt. Und dass es mehr oder weniger talentierte Autoren gibt auch. Ich bin auch überzeugt, dass von Rothfuss nichts mehr Nennenswertes kommen wird. Diese ersten beiden Bücher hat er gut hinbekommen. Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er nach so vielen Jahren noch etwas Solides veröffentlicht? Für mich reiht er sich damit aber auch in die Kategorie zweitklassiger Autoren ein. Ähnlich wie Bernhard Hennen, der mit Die Elfen ein schönes Buch geschrieben hat, der aber definitiv im Mittelfeld unterwegs ist. Im Vergleich mit Premium-Autoren wie Tad Williams können sie die Spannungskurve und die Story nicht kontrollieren und greifen oft zu einfachen erzählerischen Mitteln (z.B. Wissensvorsprung des Lesers, Spiel mit dem Narzissmus des Lesers usw.). Wer einmal einen Fantasyzyklus von Tad Williams gelesen hat, der weiß wie meisterhaft sich auch ein sehr umfangreicher Plot arrangieren und mit einer perfekten Spannungskurve zusammenführen lässt. Oder Balzac, dem großen unerreichten Meister, der auch mit klassischen Erzählstrukturen bricht und dennoch aus so einem Buch ein Meisterwerk macht. Da stirbt der Hauptcharakter nach 1500 Seiten und trotzdem ist das Buch auch die verbleibenden 500 Seiten einfach Genuss pur. Das kann nicht jeder Autor und da steckt auch viel Handwerkskunst darin.

Aus meiner Sicht ist es nicht möglich mit einem Buch betrogen zu werden. Ein Ratgeber, der dann doch keine guten Tipps gibt, oder das Wissen nicht gut vermittelt, unvollständig ist, der falsche Dinge enthält? Ja, auch das gibt es, aber das lässt sich leicht herausfinden, wenn man sich ein bisschen über ein Buch informiert. Ein Buch das zu viel verspricht und dann nicht hält? Ja klar, das gibt es doch tausendfach. Das ist ja die Kunst, das vorher zu erkennen. Da gibt es nichts geschenkt. Man muss hier sein eigenes Gespür entwickeln, die eigenen Strategien entwickeln, um gute Bücher zu finden. Wenn ich in den Bücherladen ums Eck gehe und das erstbeste Buch nehme, das mir die Verkäuferin empfiehlt, ja klar, dann habe ich das Nachsehen. Das ist völlig offensichtlich. Oder wenn ich jedem Marketingslogan eines Verlags Glauben schenke. Aber wir sprechen hier von Bücher, die auch nicht hunderte von Euros kosten. Oft bin ich mir mit der Wahl eines Buches unsicher. Diese kommen auf eine Liste und die hole ich mir dann ein paar Jahre später gebraucht für wenige Euros. Risikomanagement, wie in allen Lebensbereichen.

Gehen wir einen Schritt weiter und nehmen politische Bücher, Literatur über Pseudowissenschaften, Bücher aus zweifelhaften Quellen, gesponsorte Bücher, um bestimmte politische oder religiöse Meinungen zu lancieren, Ratgeber für Geldanlage, Bücher darüber wie man sein Kind erziehen soll, was man denken soll. Eigentlich stecken hier doch immer wirtschaftliche Interessen dahinter. All das findet man auf dem Markt. Ich kann mich an das Buch Jedes Kind kann schlafen lernen erinnern, wo die Strategie empfohlen wurde, den Säugling doch „kontrolliert“ schreien zu lassen. Ich mag nicht wissen, wie viele damit ihrem Kind geschadet haben. Aber auch hier gilt für mich, dass man sich selbst Gedanken machen muss. Das kritische Denken nimmt einen niemand ab. Auch wenn es sehr aus der Mode gekommen ist, den Mut aufzubringen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Um also auf Rothfuss zurückzukommen: Ist er ein Betrüger? Gleichzusetzen mit einem Finanzschwindler, mit einem Verfasser eines Kettenbriefs? Nein, aus meiner Sicht nicht. Die beiden Romane sind wirklich wunderschön und bei Büchern ist für mich immer der Weg das Ziel. Die Lektüre macht einfach Spaß und entführt den Leser auf wunderbare Weise in eine andere Welt. Wer großen Wert auf eine runde Geschichte mit einem guten Ende legt, der kommt nicht darum herum auf den finalen Band einer Reihe zu warten, bevor er sich einen Romanzyklus widmet. Was ich im Regelfall übrigens auch mache. Aber Rothfuss Bücher kann man definitiv empfehlen und wird bei der Lektüre sehr gut unterhalten.

Wie seht ihr das? Liege ich falsch? Habt ihr euch von einem Autoren oder Buch betrogen gefühlt? Habt ihr euch schon so richtig über ein schlechtes Buch geärgert? Wie wählt ihr eure Bücher, um diesem Problem zu entgehen?

13 Kommentare

  1. Schönen guten Morgen!

    Ich hab die Bücher von P. Rothfuss auch gelesen – so ganz begeistern konnten sie mich tatsächlich nicht, wie so viele andere, aber ich fand die Story dennoch gut und hätte sie natürlich auch gerne zu Ende gelesen.
    Dass der Autor für weitere Bücher wirbt oder sogar Geldspenden entgegen genommen hat wusste ich nicht, und interessiert mich tatsächlich ehrlich gesagt auch nicht so… sowas stehe ich skeptisch gegenüber und wer darauf eingeht, naja. ^^

    Jedenfalls ist er ja kein Einzelfall. Es gibt immer wieder Buchreihen, die nicht beendet werden. Mich hat Game of Thrones extrem geärgert, zuerst, grade der letzte Band, der Abschluss, dass dieser fehlt war schon sehr nervig. ABER ich kann es auch verstehen. Diese Geschichte ist nämlich wirklich extrem komplex, der letzte erschienene Band ist schon viele Jahre her und ich kann mir nicht vorstellen, dass George Martin hier nochmal einsteigen kann. Auch weil er zahlreiche andere Projekte zwischenzeitlich geschrieben hat. Natürlich könnte man sagen: dann hätte er auch an GoT weiterschreiben können. Aber Kreativität kann man nicht erzwingen… Deshalb, auch wenn ich natürlich gerne Reihen weiterlesen würde und es so schade ist, kann ich den Autoren nicht wirklich böse sein. Wenn die Ideen fehlen oder der Schreibflow oder wie immer man es nennen will, ist es halt so.

    Liebste Grüße, Aleshanee

    1. Liebe Aleshanee,

      ich sehe das ganz ähnlich. Man hat als Leser keinen Anspruch auf einen kreativen Output von einem Autoren. Bei vielen Reihen weiß man auch, dass das letzte Buch noch nicht erschienen ist. Ich greife dann in der Regel auch nicht zu Büchern von unvollendeten Buchreihen. Bei Rothfuss muss man aber auch sagen, dass die einzelnen Bücher ja schon ganz gut in sich abgeschlossen sind. Da hat man mit einem Buch schon eine Runde Geschichte, auch wenn sie zahlreiche offene Enden hat. Das finde ich immer wichtig.

      Liebe Grüße und vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine Gedanken
      Tobi

  2. Ich musste beim Lesen an G.R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ denken. Er wird ja auch nicht jünger. Werden wir wohl je das Ende der Geschichte aus seiner Feder bekommen? – Und noch ein kleiner Kommentar zu den schreienden Säuglingen. Das geht auf das unsägliche Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer zurück.

    1. Lieber Ben,

      Game of Thrones ist natürlich der Klassiker, was unvollendete Reihen angeht. Andererseits fand ich auch hier die Bücher schon ganz gut und die Lektüre lohnt sich schon. Der Weg ist halt schon auch immer das Ziel.

      Ich kenne das mit dem Kind schreien lassen nur aus dem Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“, der ja schon sehr populär war oder sogar noch ist. Dass diese Vorgehensweise auf ein noch älteres Model zurück geht wundert mich nicht.

      Liebe Grüße
      Tobi

  3. Hallo Tobi,

    ich kenne die Bücher von Patrick Rothfuss nicht und kann mir deshalb kein Urteil über deren Qualität erlauben. Was ich mir vorstellen könnte ist, dass Patrick Rothfuss unter einer Schreibblockade leidet – das ist ein psychisches Phänomen unter dem Autoren, Musiker und in ähnlicher Form auch andere Künstler leiden können und die Situation ist für den Betroffenen selbst am schlimmsten genug und sowas gibt natürlich auch keiner gerne zu, geschweige denn dass er es sich selbst überhaupt eingestehen würde. Jedenfalls deutet es auf sowas hin, wenn immer wieder angekündigt und dann doch nicht geliefert wird bzw. nur wischi-wasche oder qualitativ minderwertiges Material. Schlecht ist natürlich wenn man Geld von Fans einsammelt und dann nichts vernünftiges liefern kann.

    Trotzdem: ich würde einen Menschen nicht einfach pauschal als „Betrüger“ bezeichnen, wenn ich die genauen Hintergründe nicht kenne, ich denke hier schwingt die grosse Enttäuschung mit, die der Verfasser der E-mail in sich trägt und die ich zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen kann. Auch ich war schon – teils extrem – enttäuscht von Nachfolgeromanen einer mehrteilig angesetzten Geschichte. Aber so ist das halt, damit muss man sich abfinden und man kann ja trotzdem die Bücher der Reihe wertschätzen, die man gut fand. Betrogen gefühlt in dem Sinne einem Betrüger aufgesessen zu sein, habe ich mich so also tatsächlich noch nie. Und ich denke das kann man auch nur sein, wenn der Inhalt ein anderer ist, als der angepriesene, wenn die Seiten nur zur Hälfte bedruckt sind oder ähnliche Dinge, die aber dann eher ja auch der Verlag zu verantworten hat.

    1. Lieber Harald,

      ja, das ist sehr wahrscheinlich, dass es so etwas bei Rothfuss ist. Oder auch, dass er viele andere Themen hat und den Fokus auf etwas anderes gerichtet hat. Am Ende ist das auch jeden seine eigene Entscheidung und ein Anspruch auf ein weiteres Buch, das hat man als Leser einfach nicht. Wobei schade ist es schon, weil er ja das Potenzial hat, es aber einfach nicht nutzt.

      Ich Teile Deine Auffassung. ich habe mich auch nie betrogen gefühlt. Ich mein es sind Bücher, da ist man auch auf einem Preisniveau, wo man auch bei einer Enttäuschung das verkraften kann. Und wer da empfindlich ist, für den ist die Bibliothek der beste Ort, dann hat man gar kein Risiko mehr.

      Liebe Grüße
      Tobi

  4. Hallo Tobias,
    vielen Dank für den interessanten Beitrag. Geld für etwas zu nehmen, was dann nicht geliefert wird, ist nicht in Ordnung. Andererseits ist eine Spende freiwillig, Und auch ob ich ein Buch kaufe – und wie viel ich bereit bin, dafür auszugeben ,, können alle selbst entscheiden. Ich fürchte auch, dass die Reihe wohl leider nicht mehr abgeschlossen wird, was sehr schade ist, weil die Bücher wirklich gut sind. Aber es gibt auch Reihen, die aufgrund von tödlichen Unfällen der Autor*innen nicht beendet werden konnten (siehe Olivia Butler) – so etwas kann immer passieren. Ich habe das Gerücht gehört, dass er aufgrund des geplanten weiteren Verlaufs – das Schicksal der weiblichen Hauptfigur – einen Shitstorm fürchtet und deshalb nicht weiter schreibt. Keine Ahnung, ob das stimmt, ich hoffe nicht, denn dann müsste Goethes „Faust“ heute auch schon längst verdammt worden sein. Aber egal, völlig anderes Thema, das ich auf keinen Fall diskutieren möchte.
    Vielleicht ist aber auch das eh nur eine weitere Ausrede Rothfuss‘, um nicht zugeben zu müssen, dass er nicht mehr weiter weiß. Ich habe jedenfalls auch die beiden kurzen Geschichten gerne und mit Gefallen gelesen – wusste aber auch, was mich da erwartet und das es keineswegs die Fortsetzungen sind, sondern nur kleinere Spielereien am Rande.
    Freue mich schon auf Deinen nächsten Post und weitere gute Leseempfehlungen!

    1. Liebe Birgit,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich glaube auch nicht, dass da noch was kommt. Aber eine Fortsetzung würde ich mir auch sofort holen. Schon alleine, um zu sehen, was daraus geworden ist. Ich traue ihm schon zu, nochmal ein echt gutes Buch abzuliefern. Und es hat schon auch Unterhaltungswert. Die Spekulation, dass er einen Shitstorm fürchtet, habe ich noch nicht gelesen. Aber vermutlich trifft das grundsätzlich zu. Um so länger er wartet, um so höher natürlich der Druck nun was ganz Besonderes liefern zu müssen, weil er ja so lange gebraucht hat. Eine Verpflichtung sehe ich aber auch nicht und wie Du schreibst, ein Autor kann auch tragischerweise sterben, bevor das Werk vollendet ist. So wie leider bei Balzac geschehen. Statt 137 Romane hat er nur 91 vollendet. So eine Sauerei. 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

  5. Soweit ich weiß, leidet Rothfuss unter schweren psychischen Problemen. Da halte ich es für absolut nachvollziehbar, dass er jetzt nicht zum Boykott seiner Verlage aufruft (was er ja müsste, wenn er verhindern wollte, dass er mit seiner unfertigen Reihe weiter Geld verdient).

    Von solchen von außen kommenden Problemen – Psyche, Lohnarbeit, Tod – abgesehen, ist eigentlich kein Romanwerk unabschließbar. Es sei denn, es ist von Anfang an so erbärmlich konzipiert, dass es nicht abgeschlossen werden kann. Das scheint ja die Zuschrift nahezulegen. Allerdings sollten halbwegs mündige Lesende das Ganze dann doch auch rechtzeitig zur Seite legen können, statt eine unmögliche Fortsetzung zu fordern. Die Fans der Kingkiller-Reihe scheinen das aber anders zu sehen. Der zweite Teil ist bei Amazon immer noch top bewertet, nur unwesentlich schlechter als der erste. Wer einem Werk, das so schlecht konzipiert ist, dass es nicht abgeschlossen werden kann, solche Bewertungen gibt, hat letztlich selbst schuld.

    Zumindest vom ersten Roman ausgehend glaube ich übrigens nicht, dass die Reihe unter den seltenen Fall „derart schlecht konzipiert“ fällt. Das war eher eine ellenlang ausgewalzte, sehr einfache Geschichte, die durch den heute beliebten Topos „Held erklärt immer wieder, dass er eigentlich gar kein Held ist, während er heldenhafte Dinge tut“ gestreckt wurde.

    Ich gehe prinzipiell durchaus auch davon aus, dass Lesende, solange sie dabei nicht über die Stränge schlagen, einen gewissen ideellen Anspruch darauf haben, dass eine Reihe auch vollendet wird. Allerdings sind es häufig die Fans selbst, die solch eine Eskalation des Erzählens ins letztlich Unabschließbare mit befördern, indem sie ihre Idole darin bestärken, dass die Werke nicht literarisch zu betrachten und zu behandeln seien, sondern als „Welten“, quasi als alternative Wirklichkeitssimulationen, in denen es nicht einfach einmal möglich ist, Zeit zu überspringen und weniger interessante Handlungsblöcke durch dritte Personen – z. B. als Kneipengespräch oder in einem Brief – zusammenzufassen oder durch anderweitige Mittel der erzählerischen Verdichtung zu umgehen. Daran scheitern diese großen Fantasy-Textblöcke gern: an letztlich logistischen Problemen in der Positionierung von Figuren in der Weltensimulation.

    Entsprechend hält sich, auch wenn ich nicht zu den Menschen gehöre, die sagen, “Schreibende können mit ihrem Werk machen, was sie wollen” (das können sie natürlich – das ist die rein praktische und auch die rechtliche Seite –, aber freundlich gegenüber denen, die für die Texte bezahlt haben, ist es tatsächlich nicht), mein Mitleid mit Fans solcher unvollendeten Reihen in Grenzen. Im Fall von ASOIAF hätte man zB durch aufmerksames Lesen im dritten Band, bei sehr aufmerksamem Lesen wahrscheinlich sogar noch früher, feststellen können, dass das in einer Weise eskaliert, die nicht mehr einzufangen ist. Aber Fans bestärken diese Eskalation für gewöhnlich noch mit ihren Detailfragen und der ewigen Suche nach sogenannten Plot-Holes.

    Wer Literatur als Literatur schätzt und nicht in erster Linie als ausufernden Weltenbau, findet genügend herausragende abgeschlossene Werke – sogar auf Wühltischen, in offenen Bücherschränken, gemeinfrei und natürlich in Bibliotheken –, dass man wirklich nicht allzu viel Groll auf Rothfuss oder Martin hegen muss. Unter anderem auch das von dir hier verschmähte “Der Weg der Wünsche” – sicherlich mit Abstand der beste Roman aus der Feder von Patrick Rothfuss. Was keine Kunst ist, es ist der einzige abgeschlossene. Aber die schöne, dichte Erzählung am Rande der großen Reihe ist auch deutlich besser als vieles sonst, was auf den Fantasy-Markt geworfen und meist erst mal reflexartig hochgelobt wird.

    1. Lieber Sören,

      vielen Dank für Deine Gedanken und Deinen Kommentar. Dass Rothfuss mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, hatte ich bisher nicht gelesen. Das hat er wohl einmal bei einem Podcast gesagt.

      Ich denke auch, dass man jede Geschichte zu einem Ende bringen kann. Ich vermute das Problem ist hier eher, die hohe Erwartungshaltung. Wenn er mit dem letzten Buch die Reihe abschließen möchte, dann ist der Anspruch natürlich hoch, um es wirklich zu einem Meisterwerk zu machen. Einen letzten Band zu verbocken ist ja super einfach. Und ich gebe Dir recht: Die Triebfeder von Rothfuss Romane war immer der Narzissmus des Lesers. Der soll sich in die Figur hineinversetzen, dann passiert was, der der Held zieht sich mit einem ausgefeilten Move aus der Situation und das projiziert der Leser dann ein bisschen auch auf sich. Ich würde behaupten, dass das das zentrale Sujet von jeden Roman aus Karl Mays Feder war. Das funktioniert einfach, wie andere billige erzählerische Mittel, die gerade auch in Serien ordentlich ausgelutscht werden. Was aber auch okay ist, das hat ja auch sehr hohen Unterhaltungswert.

      Man muss bei einem Buch die Kirche im Dorf lassen. Ja, eine schön gestaltete Fantasy-Welt, das ist schon was Fesselndes. Aber wenn ich einen Roman oder einen Zyklus zu Ende gelesen habe, dann ist es auch wieder gut. Da steigen natürlich Fans sehr intensiv ein und da kann man es auch einfach nicht mehr allen recht machen.

      Liebe Grüße
      Tobi

  6. Hey Tobi,

    bisher bin ich um die Bücher von Rothfuss herumgekommen. Hier waren es aber nicht die Beschreibungen, die mich abgehalten haben, sondern die Cover, die mich nicht angesprochen haben. Als ich dann später darauf aufmerksam wurde, dass seinen Reihe/n wohl nie zum Abschluss kommen werden, tat es mir auch nicht mehr leid, dass ich den bisher erschienen Werken keine Aufmerksamkeit geschenkt habe.
    Von Martin wartet allerdings noch Das Lied von Eis und Feuer auf dem SuB. Wobei hier fast glaube, dass mich das unfertige Ende der Bücher nicht mehr enttäuschen kann, als das Ende der TV-Serie. 😁^

    Bei unvollendeten Reihen sollten man vielleicht auch immer mal schauen, woran es denn liegen könnte? Vielleicht sind die Schreiberlinge aufgrund von Alter, Krankheit etc. einfach nicht in der Lage ihre Werke zu beenden. In diesem Fall würde ich nicht von „Betrug“ sprechen. Fragwürdig finde ich es allerdings, wenn Autoren Spenden annehmen, die dazu verhelfen sollen, eine Reihe zu beenden, und nach Jahren immer noch nichts passiert ist. Das ist in jedem Fall Betrug in meinen Augen.

    Aus Sicht der Verlage ist es für mich Betrug am Endkonsumenten, wenn Reihen einfach nicht weiter übersetzt werden, obwohl diese in der Originalausgabe beenden sind. Besonders dann, wenn die vorhergehenden Bände alle noch zu erhalten sind und vielleicht auch schon in der 10. Auflage erscheinen. Dann frage ich mich, warum der/die letzte/n Band/Bände nicht auch noch übersetzt werden.

    Cheerio
    RoXXie

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