Hotel Florida • Amanda Vaill
Vor einiger Zeit habe ich auf Twitter danach gefragt, ob es eine Aktion für die ganzen armen Buchblogger gibt, die nicht zur Frankfurter Buchmesse fahren. Da hätte ich mit vielen Antworten gerechnet, aber nicht damit, dass der Klett-Cotta Verlag meinen Aufschrei erhört. Heiner Wittmann, ein Literaturwissenschaftler hat sich bei mir gemeldet, was mich besonders gefreut hat, denn er ist ein echter Kenner der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Praktisch mein Favorit unter den Genres (ja, für mich ist das schon ein eigenes Genre geworden). Seinen Vorschlag für ein zwar thematisch sehr gut passendes Buch habe ich allerdings ausgeschlagen, denn ich habe schon vor einiger Zeit ein Auge auf ein anderes, sehr interessantes Buch aus dem Klett-Cotta Verlag geworfen. Hotel Florida von Amanda Vaill ist zwar vom Hintergrund woanders angesiedelt, aber wenn ich so auf die Klassiker zurück blicke, die ich in letzter Zeit gelesen habe, dann passt dieses Buch hervorragend. Die Elenden von Victor Hugo war so ein Buch, das den Kampf um die Republik Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich als historischen Rahmen hat. Aber auch andere Bücher aus dieser Zeit, die ich hier nicht rezensiert habe, greifen den Wandel Europas hin zu demokratischen Staaten auf und hier reiht sich Hotel Florida hervorragend ein.
Die Geschichte handelt während des spanischen Bürgerkriegs, der von Juli 1936 bis April 1939 ausbrach und in Spanien den Höhepunkt eines Konfliktes bildete, der ganz Europa im Griff hatte: Dem Konflikt zwischen dem aufkeimenden Faschismus und dem gegenüberstehenden Kommunismus. In diesem Buch wird, genauso wie bei den französischen Autoren deutlich, wie die Gesellschaften zwischen den alten, konservativen und durch die Monarchie geprägten Strukturen auf die demokratischen Strömungen treffen, wie sich verändernde Ideologien und Weltbilder ganze Völker in einem Veränderungsprozess wiederfinden. Einem Prozess, der mit der französischen Revolution ihren Anfang nahm und bis in unsere Zeit hinein reicht.
Das Buch beginnt mit einer Chronologie der Geschehnissen von 1931 bis 1939 und rafft die wichtigsten politischen Ereignisse dieser Zeit, die sich in Spanien und der Welt zugetragen haben zusammen. Darauf folgend gibt es eine Übersicht über die wichtigsten Personen, die zwar hilfreich ist, aber nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Dann geht die Geschichte los und sie führt nach und nach alle prominenten Figuren ein, die es im Verlauf der Geschichte nach Spanien, hinein in den Bürgerkrieg verschlägt. Der Leser lernt die Fotografen Robert Capa und Gerda Taro, die Journalistin Martha Gellhorn, die Journalistin Ilsa Kulcsar, den Mitarbeiter der Zensurbehörde Arturo Barea und den Autor Ernest Hemingway kennen. Ausgehend von den verschiedensten Orten auf dieser Welt führt Vaill in die Hintergrundgeschichte dieser Personen ein.
Sie schildert die politischen Entwicklungen sehr präzise, gut nachvollziehbar und mit einer Klarheit, die ich auf eigenartige Weise erstaunlich unterhaltsam fand. Erstaunlich deshalb, weil sie auf die üblichen Mittel zum Erzeugen von Spannung verzichtet. Der Leser schlüpft nicht in die Figuren, sondern erfährt alles von einer gewissen Distanz. Vaill rafft die Hintergrundgeschichte der Personen zum Teil recht stark, gibt aber dann doch wieder Einblicke in Details, beispielsweise in die Beziehung zwischen Gerada und Capas Mutter. Insgesamt hat sie aber einen sehr sachlichen Stil und das Buch ist eigentlich nichts anderes als eine Dokumentation des spanischen Bürgerkriegs aus Sicht von international bekannten Intellektuellen.
Sehr spannend fand ich es über Robert Capa zu lesen, auf dessen Fotografien ich schon vor Jahren gestoßen bin. Man erfährt wie sein berühmten Foto The Falling Soldier entstand, das er von einem spanischen Republikaner in dem Moment seines Todes aufgenommen hat. Vaill lässt dabei auch nicht unerwähnt, dass die Authentizität des Fotos angezweifelt wurde. Die Autorin beschreibt immer wieder Fotos, die Capa und seine Gefährtin Gerda Taro auf ihrer Reise zu den kriegerischen Brennpunkten des spanischen Bürgerkriegs aufnehmen und man kommt nicht darum herum im Internet nach den Fotos zu recherchieren. Einige der Fotografien sind in der Mitte des Buches zu finden.
Natürlich beschreibt Vaill auch die Entwicklungen im Leben von Martha Gellhorn, Ilsa Kulcsar, Arturo Barea und Ernest Hemingway sehr genau und in ihrem dokumentarischen Stil packt sie wahnsinnig viel Details, Namen und Begebenheiten in ihren Text, so dass ich davon den roten Faden, aber nicht diese vielen Fakten und Informationen zum Rahmen dieser Entwicklungen behalten habe. Es würde schon eine sehr genaue Lektüre erfordern, um wirklich alle diese Details zu erfassen und dafür ist diese Erzählung historischer Abläufe nicht fesselnd genug. Das Buch ist keineswegs langweilig, die Orte und Geschehnisse erscheinen vor dem geistigen Auge und man kann sich das im Krieg liegende Madrid mit seinem Hotel Florida sehr gut vorstellen. Auch die persönliche Entwicklung der einzelnen Personen kann die Autorin vermitteln, allerdings fühlt man nicht mit ihnen, schlüpft nicht in diese hinein, sondern betrachtet sie wie ein Außenstehender. Eine sehr starke Ausdruckskraft bekommt das Buch durch die sachliche Beschreibung der militärischen Kriegshandlungen. Dadurch, wie beispielsweise Flüchtlinge von den Nationalisten gnadenlos gejagt und getötet werden, dass bei der Einnahme einer Stadt einfach mal dreitausend Menschen zusammengetrieben und erschossen werden. Durch ihren nüchternen Erzählstil wirken solche Episoden nur noch stärker.
Schließlich legten drei Geschwader der schwerfälligen Junkers 52-Bomber die Stadt in Schutt und Asche – mit einer Technik, die die Legion Condor erstmals wenige Wochen zuvor an republikanischen Stellungen im Umkreis von Oviedo, gut dreihundert Kilometer westlich von Guernica, erprobt hatte, und in der gezielt Menschen tötende Splitterbomben und Brandbomben zum Einsatz kamen. Kühe und Schafe rasten panisch, brennend durch die Straßen; ganze Familien wurden ausgelöscht, als ihre Häuser über ihnen zusammenbrachen; Menschen mit schwersten Verbrennungen taumelten zwischen den brennenden Gebäuden umher. Am nächsten Morgen war Guernica nur noch eine verkohlte Hülle. (S. 236)
Sehr schön wird deutlich, wie in einem Bürgerkrieg alle Parteien ihr wahres Gesicht zeigen. Während die Nationalisten mit Unterstützung der faschistischen Regime von Deutschland und Italien gegen die Republikaner mit aller Grausamkeit vorgehen, ist auch die demokratische Regierung nicht gerade zimperlich. Propaganda, Hinrichtungen von vermeintlichen politischen Gegnern und Entscheidungen über das Volk hinweg, wie beispielsweise den Abtransport des Goldes der Regierung nach Moskau um in Gegenzug militärische Unterstützung zu erhalten. Die Palette ist lange und steht dem der Gegenfront, der Rebellen, die ganze Dörfer mittels Brandbomben (ganz ähnliche Bomben sollten später von den Alliierten gegen Dresden zum Einsatz kommen) ganz gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sind, in nichts nach.
Aber auch die Hauptfiguren der Geschichte kommen aus meiner Sicht nicht gut weg. Obwohl Hemingway, oder auch die Journalisten Martha Gellhorn oder Ilsa Kulcsar, und nicht zuletzt auch Robert Capa und Gerda Tora sich für die Republik und demokratische Ideale aussprechen, sich selbst in Gefahr bringen um journalistisch tätig zu sein und aus der Kriegsregion zu berichten, so haben sie doch alle ein hohes Maß an Eigeninteressen. Alle großen Persönlichkeiten in diesem Buch ziehen persönlichen Profit aus dem Krieg und setzen sich zwar Gefahren aus, tun dies aber nicht ausschließlich für eine gute Sache, sondern mit einem starken Fokus um selbst Karriere zu machen und Berühmtheit zu erlangen. Besonders Hemingway erscheint in dieser Lektüre als nur wenig sympatisch (zumindest meinem Empfinden nach). Martha nutzt die niedrigen Preise für Luxuswaren im unter Beschuss stehenden Madrid noch für eine geschmeidige Shoppingtour, bevor sie wieder ins sichere Paris abdampft. Dieser vielschichtige Blick auf diese hochrangigen Intellektuellen macht dieses Buch sehr glaubhaft und es wird doch klar, dass jeder sein Kreuz zu tragen hatte und jeglicher Ehrgeiz bezahlt werden musste, so wie das in der Wirklichkeit eben ist.
Hemingway treibt ein Dokumentationsfilm nach Madrid, Capa und Gerda die Jagd nach ausdrucksstarken Motiven, Ilsa will ihr ideologisches Ideal verwirklichen, Martha journalistisch Karriere machen und auch Barea folgt einem patriotischen Ideal, der Wunsch etwas zum Positiven zu bewegen. Das Hotel Florida ist ein Schlüsselort, ein Zentrum in Madrid, das immer wieder auftaucht, in dem die Protagonisten immer wieder verweilen und das eine Zwischenstation, ein Rückzugsort ist, in dem unter Beschuss stehenden Madrid. Dort wird philosophiert, diskutiert, getrunken und es findet ein gesellschaftlicher Austausch zwischen außenstehenden Intellektuellen und Journalisten statt, die dennoch mittendrin sind, im Krieg, im Kampf um politische Vorstellungen und der Suche nach einem neuen Europa.
Es wird deutlich, dass zu dieser Zeit viele Ideologien konkurriert haben und ein gesellschaftlicher Wandel stattfand, der nicht linear abgelaufen ist. Die Überzeugung, selbst die politische Wahrheit zu kennen, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst und wird hier von allen Protagonisten vertreten. „Es ist nicht am Menschen zu entscheiden, was gerecht und was ungerecht ist. Die Menschen haben sich immer geirrt und werden sich irren, und zwar nie mehr, als wenn es darum geht, was sie für gerecht und ungerecht halten.“. Das konstatiert Andrej Bolkonski gegen Ende von Krieg und Frieden, ein Resumee, dass mir an mehreren Stellen immer wieder unwillkürlich eingefallen ist.
Capa war nach Spanien gekommen, um die Wahrheit festzuhalten – um die wahrheitsgetreuesten, besten Bilder zu machen, Bilder, die zeigen sollten, wie das spanische Volk für seine Ideale kämpfte, Bilder, für die er jedes persönliche Risiko auf sich nehmen wollte. (S. 90)
So sachlich dieses Buch auch erst einmal erscheint, durchsetzt mit den Episoden zum Liebesleben und der Gefühlswelt der Darsteller, aber auch mit der unterschwelligen Kritik, ergibt sich dennoch ein recht emotionales Gesamtbild der Charaktere, aber auch der fatalen Folgen, die kriegerische Auseinandersetzungen haben. Ein Blick in die Vergangenheit gewährt auch immer einen in die Gegenwart und Zukunft und so stößt man immer wieder auf die drängenden Fragen, die auch in unserer Zeit ein großes Thema sind. Ob es um das Verständnis von Demokratie, von Freiheit, von Wahrheit, Propaganda oder um das Thema Flüchtlinge geht: All diese Dinge waren und sind ein Teil der Gesellschaften dieser Welt.
Am nächsten Tag öffnete Frankreich die Grenze für die spanischen Flüchtlinge […] einem Rinnsal, das sich zu einer Flut von 400 000 auswachsen sollte[…]. (S. 430)
Fazit: Amanda Vaill legt hier ein sehr interessantes Buch über den spanischen Bürgerkrieg der 30er Jahre vor und schildert in einem dokumentarischen Stil die politischen Entwicklungen, den Kampf der verschiedenen politischen Ideologien in Europa aus der Sicht der international berühmten Intellektuellen. Auch wenn sie die Stärken und Schwächen der bekannten Journalisten, Autoren und Fotografen vielschichtig portraitiert, hat mich das Buch nicht gepackt. Es ist zwar interessant, aber nicht spannend und auch nicht mitreißend. Vaill liefert wahnsinnig viele Details, Informationen, von dem politischen Weltgeschehen, bis hin zu den künstlerischen Leistungen der Protagonisten und erzeugt ein realistisches und greifbares Bild von dem grausamen Krieg und den Menschen, die darin am Rande und im Zentrum wandeln und vergehen. In diesem Buch steckt wahnsinnig viel Recherche und man merkt, dass die Autorin sich auskennt und mit dem Thema intensiv befasst hat. Hotel Florida ist ein Sachbuch, das als Film einer der herausragend guten Reportagen von arte entsprechen würde. Ich habe bei der Lektüre viel gelernt, viel erfahren und einen Teil der Geschichte Europas kennengelernt, der mir vorher völlig unbekannt war.
Buchinformation: Hotel Florida: Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg • Amanda Vaill • Klett-Cotta • 512 Seiten • ISBN 9783608949155
Hallo Tobias,
das klingt wirklich interessant; danke für die Vorstellung! Kennst Du “Das Narrenschiff“ von Porter?
https://notizhefte.wordpress.com/2015/06/01/eine-atlantikuberquerung-das-narrenschiff-von-katherine-anne-porter/
Könnte Dir gefallen. Liebe Grüße
Norman
Lieber Norman,
das Narrenschiff sagt mir nichts. Vom Inhalt hätte ich es eher mit Maupassants kritischen Blick auf die Gesellschaft in Verbindung gebracht. Hört sich ganz interessant an. Ich mag Bücher, wo kritisch und auch etwas zynisch auf die Gesellschaft geblickt wird.
Liebe Grüße
Tobi
Nein, nein Tobi , Du bist nicht am Geschmack Deiner Leser vorbei (Twitter-Vermutung), die sind nur faul und schreiben nicht immer was. Die lesen das aber schon. Gemessen an mir hast Du unendlich viele Kommentatoren, mach Dir keinen Kopf. Ich habe den Beitrag sehr aufmerksam gelesen und habe mir das Buch direkt für meine Mutter (zu Weihnachten) vorgemerkt. Meine Eltern gehör(t)en ja der Hemingway-Hype-Generation an, mein Gott, wenn ich mich da so an literarische Gespräche in meiner Kindheit erinnere….da ging nix über Hemingway. Ich denke, der Mann hat an seinem Image hart gearbeitet und hat es extremst gepflegt…umso schöner, wenn dieses Buch da evtl. so manches gerade rückt. Vielleicht lese ich es ja sogar selber mal. Danke fürs Vorstellen.
Liebe Devona,
vielen Dank für deine Worte und das Zerstreuen meiner Vermutung. Mir geht es da ähnlich, ich lese immer recht viel, aber kommentiere dann doch eher selten. Entweder, weil man nichts zu sagen hat, oder weil man sich nicht die Ruhe nimmt, was ich immer zu vermeiden versuche.
Von Hemingway habe ich nur „Der alte Mann und das Meer“ gelesen, das fand ich aber sehr enttäuschend und damit ist Hemingway von meiner Liste komplett verschwunden. Der Darstellung in diesem Buch nach, gibt es aktuell auch irgendwie keinen Anlass was zu holen 😉 Aber cool, dass es mal einen Hype um ihn gab. Du musst mir Bescheid geben, wie deine Eltern über das Buch urteilen und wie ihre Wahrnehmung dazu ist.
Liebe Grüße
Tobi