Mademoiselle de Maupin • Théophile Gautier

Die letzten Monate bin ich hinsichtlich meiner Literaturauswahl auf sehr sicheren Pfaden gewandelt. Primär habe ich gut abgehangene Klassiker gelesen, wo vornherein recht klar war, dass ich hier kaum daneben greifen kann. Das Programm des Manesse Verlag ist für genau solche hochwertigen Bücher ein unerschöpflicher Quell. Ist das Buch dann auch noch von einem Romantiker aus dem Kreise Victor Hugos, dann ist natürlich meine Neugierde geweckt. Der Klappentext, der hier auch Freizügigkeit verspricht hat mich dann vollends überzeugt. Das Buch hört sich wieder nach einer richtig rasanten Geschichte ganz im Stile der Franzosen dieser Zeit an.

Das Buch beginnt erst einmal mit einem 70 Seitigen Vorwort, in dem Gautier ordentlich über die Sitten seiner Zeit schimpft und eine Lanze für Freizügigkeit und die Lustbarkeiten bricht. Auch die Zeitungen und das Feuilleton nimmt er sich vor und prangert sie sehr ausführlich, manchmal auf platte, manchmal auf unterhaltsame Weise an. Insgesamt war das Vorwort eher langatmig, hat aber dann meine Spannung auf die eigentliche Geschichte durchaus erhöht. Wenn der Autor so etwas voranstellt, dann muss da ja was kommen.

Mademoiselle de Maupin von Theophile Gautier

Die Geschichte beginnt dann als Briefroman. Einem Erzählstil den das Buch nahezu dauerhaft beibehält. Lediglich ein paar wenige Kapitel weichen davon ab und sind aus auktorialer Perspektive verfasst. Zu Beginn berichtet der junger Edelmann D’Albert einem guten Freund über sein Leben, das primär aus der Suche nach einer perfekten Geliebten besteht. Die Beschreibung von D’Alberts Wünsche und Vorstellungen, sein Lebenswandel, seine innere Einstellung zur Liebe, zur Schönheit und zu den Künsten wird sehr ausführlich ausgebreitet. Dabei geht Gautier sehr ins Detail und es wird schnell klar, dass der Autor hier mit der Stimme seines Protagonisten über eigene Sichtweisen berichtet. Wirklich sympatisch wirkt der junge Edelmann nicht, der eigentlich den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als sich Mrs. Perfect als Ideal auszumalen und dann zu beklagen, dass die Gute nicht von selbst vorbei kommt und sich ihm an den Hals wirft. Das Bild der perfekten Frau, dass er sich zusammenspinnt, entspricht dem dieser Zeit, aber wenn man das aus heutiger Perspektive liest, dann macht einen das D’Albert sehr unsympatisch. Das ist wahrscheinlich auch gewollt und ganz bewusst provokant. Reich sollte sie sein, weil arme Frauen für ihn nie schön sein können, herausgeputzt, wie eine Statue perfekt, ohne körperlichen Makel und natürlich in schicken Klamotten.

Das zentrale Thema des Romans ist die Liebe, die Schönheit, die Ästhetik und die Rolle der Geschlechter mit ihren Vorzügen und Nachteilen. Dabei bleibt Gautier immer beim Greifbaren, immer an der Oberfläche und als Leser war mir keine der Figuren auch nur im Ansatz sympatisch. Ich habe mit keinem gefühlt, mich mit keinem identifiziert, denn alle Figuren haben etwas Oberflächliches. Die inneren Konflikte D’Alberts haben etwas Dekadentes. Anders hingegen habe ich die Beweggründe von Mademoiselle de Maupin wahrgenommen, die erst recht spät im Buch auftaucht und mit deren Briefe das Buch erst spannend wurde. Hier setzt Gautier auf Verkleidung, was in vielen Romanen schon hervorragend funktioniert hat. Es kommt zu einer verwirrenden Dreiecksbeziehung, in der die Geschlechterrollen hinterfragt werden, in der aber auch homosexuelle Tendenzen und oft auch ein sehr desillusionierter und berechnender Blick auf die Schönheit, Liebe und das Körperliche ein zentrales Sujet sind. Die Anmerkung aus dem Nachwort, dass Flauberts später erschienenes Madame Bovary wesentlich höhere Wellen als dieses Buch geschlagen hat, ist tatsächlich bemerkenswert.

Der Text lässt sich sehr angenehm lesen, hat viele Anspielungen auf Mythen, Literatur und Texte und Gautier verbindet seine Figuren mit Shakespeares Wie es euch gefällt, was ich als sehr geschickt komponiert empfunden habe, denn die Figuren in Shakespeares Stück finden tatsächlich ihr Pendant in Gautiers Geschichte und vice versa. Gleichzeitig ist das Buch aber auch so richtig im Stil der Romantik. Das gefällt mir an vielen Stellen sehr gut, aber an sehr vielen Stellen habe ich das auch als zu geschwätzig, zu ausführlich, zu übertrieben empfunden. Da war ich beim Lesen immer hin und her gerissen. Eine Passage, die mir beispielsweise sehr gut gefallen hat, die so richtig aufgedreht und übertrieben ist, will ich hier als Beispiel einmal anführen:

„O Rosalinde! Ich liebe Sie, ich bete Sie an; warum gibt es keinen stärkeren Ausdruck dafür! Ich habe immer nur Sie geliebt, immer nur Sie angebetet; ich werfe mich vor Ihnen nieder, ich vergehe von Ihnen, und ich möchte die ganze Schöpfung zwingen, sich vor meinem Idol niederzuknien; Sie sind für mich mehr als die ganze Natur, mehr als ich, mehr als Gott; es wundert mich tatsächlich, dass Gott nicht vom Himmel herabsteigt, um Ihr Sklave zu werden. Wo Sie nicht sind, ist alles öde, alles tot, alles dunkel; Sie alleine bevölkern für mich die Welt; Sie sind das Leben, die Sonne – Sie sind alles.“ (S. 480)

Ich frage mich, ob man mit so einem Liebesbrief heute noch Erfolg haben könnte. Stil hatte das, ohne Frage. Gleichzeitig hat Gautier viele gute Gedanken und Bonmots in seinen Ausführungen verstreut, die sehr unterhaltsam sind.

„[…]denn der Stolz verlässt ein Herz in dem Augenblick, in dem die Liebe dort Einzug hält[…]“ (S. 469)

Aber gerade diese Sprache ist es, die damals wie heute viel gelobt wird und das Nachwort zitiert einen Kritiker, der in dem Buch die ganze Pracht der schönen französischen Sprache wiederfindet. Verglichen mit anderen Autoren dieser Zeit, wie beispielsweise den Realisten, habe ich die sprachliche Qualität als bemerkenswert empfunden. Aber mir hat doch ein Kontext gefehlt, in dem so etwas richtig wirken kann. Wenn ich an Balzac denke, dann hat er an den ganz großen Fragen der Gesellschaft und des menschlichen Innenlebens gerührt. Da wirken dann solche Sätze ganz anders auf mich, besonders wenn ich mich in die Figuren richtig hineinversetzen und einfühlen kann. In Gautiers Wirkungskreis waren allerdings durchaus die ganz großen Autoren wie Victor Hugo und Honoré de Balzac vertreten, die sein Talent erkannten und schätzten.

Wer ist nun Mademoiselle de Maupin? Sie war eine historische Gestalt, Julie d’Aubigny (verheiratet Maupin), die um 1700 herum gelebet hat, und mit ihren Fechtmeister durchgebrannt ist. Sie hatte offensichtlich ein recht rasantes Leben, Duelle gefochten, war in Männerkleidung unterwegs, wurde verurteilt, ist nach Brüssel geflohen, wurde die Geliebte vom Grafen Albert von Bayern und hat noch so einiges erlebt. Scheinbar hat das Erwartungen geweckt hier einen Abenteuerroman im Stile Dumas vorzufinden, was das Buch nun definitiv nicht erfüllt. Aber angelehnt an die historische Maupin hat Gautiers seine Heldin durchaus, auch wenn der Fokus nicht auf Abenteuer und Skandale liegt.

Mademoiselle de Maupin von Theophile Gautier

Die Ausgabe im Manesse Verlag kann sich ebenfalls wieder sehen lassen. Mit zahlreichen Anmerkungen und einem ganz interessanten Nachwort ist hier alles da was man sich wünscht. Die Aufmachung mit dem lilarosa Leineneinband passt einfach perfekt zum Inhalt. Hier bekommt man ein kompaktes und schönes Buch, das ich alleine haptisch gerne in die Hand genommen habe.

Fazit: Die Lektüre von Mademoiselle de Maupin lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Die poetischen Sätze und die Geschichte haben mir sehr gut gefallen. Die Elemente der Verkleidung und die Verwirrung in dieser Dreiecksbeziehung sind ab der Hälfte des Buches sehr unterhaltsam und die Story nimmt im letzten Drittel ganz gut Fahrt auf. Die oberflächlich wirkenden Figuren, der oft sehr geschwätzige und ausführliche Stil und die starke Fokussierung auf körperliche Schönheit, weg von den großen gesellschaftlichen und menschlichen Fragen, haben mich aber immer wieder gestört. Als so richtig realistisch habe ich die Figuren nicht empfunden. Dennoch kann ich die Lektüre durchaus empfehlen, denn Gautier hat hier viele Gedanken und wunderschöne Sätze in eine spannende Liebesgeschichte verpackt.

Buchinformation: Mademoiselle de Maupin • Théophile Gautier • Manesse Verlag • 704 Seiten • ISBN 9783717522645

5 Kommentare

  1. Hallo Tobi,

    immer wieder spannend, zu entdecken, was für bekannte und weniger bekannte Klassiker du uns hier vorstellst.

    Deine Kritikpunkte kann ich sehr gut verstehen und der Schwerpunkt auf Äußerlichkeiten und andere Oberflächlichkeiten des Lebens hätte mich nie zum Kauf bewogen. Der Hinweis auf die Anspielungen zum Shakespeare-Stück weckte dann aber doch mein Interesse, das Buch im Hinterkopf zu behalten und mir die Leseprobe zu Gemüte zu führen.

    Ich glaube fast, dank dir wird der Verlag noch so manches Buch mehr verkaufen – so viele Verlagsschätze, wie du hier präsentierst. 😉

    Viele Grüße
    Kathrin

    1. Liebe Kathrin,

      wahrscheinlich ist mein Urteil zu streng und ich hab die ganzen Feinheiten in den Ausführungen von D’Albert einfach nicht wahrgenommen. Natürlich ist der Stil des Buches schon sehr schön. Verglichen mit beispielsweise „Auferstehung“ (weil das grad aktuell ist), hat mich dieses Buch recht unberührt zurückgelassen.

      Der Manesse Verlag hat schon sehr geniale Bücher im Programm. Meine Liste ist auch noch lange, was ich mir noch von dem Verlag kaufen will. Das hätten die auch echt verdient, wenn sie ordentlich was verdienen. Das sind schon schöne Schätze 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

    1. Liebe Petra,

      hmmm, das ist echt schwer einzuschätzen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es dir bei der Lektüre ähnlich gehen würde: Schöne Sätze aber von den Charakteren und Story her etwas zu wenig. Sich bin ich mir aber nicht. Also verlass dich lieber nicht auf mich, ich lieg bei mir ja schon immer wieder daneben 😉

      Heute habe ich übrigens mir deine Lesung aus Deinem neuen Buch angehört. Hört sich ja sehr interessant an und du hättest echt die Stimme um das als Hörbuch vorzulesen. Sehr angenehm! Auf jeden Fall ist meine Wunschliste gewachsen und bald ist mal wieder Zeit für eine große Bestellung 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

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