Somorra • Christian & Florian Sußner

Dieses Jahr habe ich wieder Spielbücher für mich entdeckt und in den vergangenen Monaten immer wieder einige davon gelesen. Eines davon war Das Feuer des Mondes, von Christian und Florian Sußner, das ich auch hier genauer vorgestellt habe. Nun haben die Autoren ein neues Spielbuch veröffentlicht und ich konnte nicht widerstehen, denn es hat nicht das klassische Fantasy Setting, sondern spielt diesmal in einer dystopischen Großstadt. Es gibt nicht viele Spielbücher, die neu erscheinen und nur sehr selten kommt eines mit neuen Elementen, wie in diesem Fall eine Urban Fantasy Welt. Ausgehend von Das Feuer des Mondes wusste ich, dass mich hier neue Spielmechaniken erwarten, was meine Neugierde nur noch mehr geweckt hat.

In Somorra schlüpft man in die Rolle einer jungen Polizistin, die Opfer eines Komplotts wird und von ihrem korrupten Polizeichef gezwungen wird, bei einem krummen Geschäft mit zu machen. Sie selbst ist integer, kämpft für Gerechtigkeit und Ordnung und wehrt sich bisher erfolgreich dagegen in den kriminellen Sumpf der Stadt Somorra hinab gezogen zu werden. Die Großstadt Somorra entpuppt sich als ein düsterer und verkommener Ort, bei dem die korrupte Polizei, angeführt von „Der Richter“ aus dem Justizviertel, und den Bewohnern der Altstadt unter dem „Schwarzer Jakob“ sich gegenüber stehen und die Stadt beherrschen. Zudem gibt es noch mafiöse Strukturen, an deren Spitze der „Chinese“ steht. Sehr schnell wird der Leser in ein Abenteuer gezogen, bei dem es um Leben und Tod geht und natürlich auch um die Herkunft und das Schicksal der Heldin, in dessen Rolle er schlüpft.

Natürlich kommt nun die obligatorische Erklärung, was den Spielbücher sind (für alle, die meine anderen Beiträge zu solchen noch nicht gelesen haben). Über das ein oder andere Spielbuch habe ich bereits geschrieben. In den 80er Jahren gab es einen kurzen Trend zu Abenteuer-Spielbücher. Das sind Bücher, die nicht normal linear gelesen werden, sondern in Sektionen unterteilt sind. Der Leser schlüpft in die Rolle des Protagonisten, startet mit der ersten Sektion und hat dann die Möglichkeit sich zu entscheiden, wie die Geschichte weitergehen soll und was er selbst als Hauptfigur machen soll. Auf diese Weise liest jeder das Buch anders und erlebt ein ganz eigenes Abenteuer, wobei zumeist auch Regeln gelten, Kämpfe ausgewürfelt werden, Gegenstände gesammelt und auf einem Aktionsblatt vermerkt werden müssen. Spielbücher sind also, wie der Name sagt, Bücher, die gespielt werden und meist mit einem schönen Fantasy Setting aufwarten. Eine nerdige Angelegenheit, aber ich habe diese Bücher in meiner Kindheit und Jugend geliebt und wie ich dieser Tage feststelle, sind diese Bücher einfach immernoch sehr unterhaltsam und ein Vergnügen zu lesen.

Was auch immer du in Somorra machst, bleibt in Somorra, und Somorra sackt deine Seele gleich mit ein. (S. 417)

Wie schon erwähnt, fand ich bei dem Spielbuch das für das Genre ungewöhnliche Setting spannend und es hält tatsächlich was es verspricht und bietet mit Somorra eine Stadt, die wie ein bedrohliches und von Kriminalität durchdrängtes New York der 40er und 50er Jahre wirkt. Angereichert mit einem Hauch von Rapture aus Bioshock, denn auch hier gibt es seltsam mutierte Wesen, die „Denkwürdige“ genannt werden, im Verlauf aber nur selten einen Auftritt haben. Im Zentrum steht die korrupte Polizei, von der man durch die Altstadt und das Justizviertel verfolgt wird. Ein wenig erinnert die Stimmung auch an ein Film noir Gangsterstreifen. Mir hat das sehr gut gefallen und diese ungewöhnliche Kulisse sorgt zu einem guten Teil dafür, dass das Buch an keiner Stelle langweilig wird. Mir gefällt auch die Wortschöpfung Somorra, die auf Sodom und Gomorra anspielt und passenderweise ist die Stadt auch ein ordentlicher Sündenpfuhl.

Genauso wie bei Das Feuer des Mondes wartet auch Somorra wieder mit neuen Spielbuchelementen auf, die mir wieder richtig gut gefallen haben. Es gibt wieder ein Aktionsblatt, das man am besten hier herunterlädt und sich ausdruckt, damit man nicht in das schöne Buch kritzeln muss. Das füllt sich allerdings nicht, wie bei anderen Spielbüchern, mit zahlreichen Gegenständen, sondern hat Codewörter, die festhalten, welche Gegenstände man hat und welche Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen wurden. Ich fand das super, denn das stärkt die Auswirkung von dem, was man in Somorra treibt und führt diese über einen längeren Zeitraum bis zum Finale mit. Dabei ist einem Codewort nicht eine einzelne Sektion zugeordnet, sondern je nachdem, für was man sich entscheidet, ändert sich dieses. Informatikerfreundlich ausgedrückt: Hinter jedem Codewort steht ein einzelner Zustandsautomat. Mit diesem Mechanismus liegt dieses Spielbuch im Trend, denn auch bei vielen Computerspielen wird der Spieler durch Entscheidungen in die Story gezogen. Selbst dann, wenn sie eine nur untergeordnete Auswirkung hat, entsteht so das Gefühl, Teil der Geschichte zu werden.

Ein zweites wirklich gelungenes Spielelement ist die Drogensucht, der man schon sehr früh anheim fällt. Diese Drogensucht führt dazu, dass man immer wieder einen Trip hat. Diese führen den Leser dann in besondere Sektionen und er kann sich aus diesen Drogenrausch nur durch Rätsel lösen, die alle von der Schwierigkeit her sehr fair sind. Dieses inhaltliche Element der Drogensucht und der verrückten Visionen mit Rätsel zu kombinieren, fühlt sich beim Lesen sehr gut an und fügt sich wunderbar in die Story ein. Kämpfe mit Gegner oder Monster gibt es in dem Buch nicht, was ich sehr angenehm fand, denn diese Drogensucht ist ein perfekter Ersatz dafür.

Natürlich sind das nicht alle spielerischen Mechanismen. Es gibt beispielsweise einen Abschnitt, bei dem der Leser die Stadt erkunden kann, aber nur begrenzt Zeit hat und nur einen Teil der Abschnitte anspringen kann. Oder es gibt Gegenmittel für die Drogensucht. Die Kombination all dieser Regeln, die nur sehr wenig Erklärung benötigen, sorgen dafür, dass es nicht langweilig wird und das Buch durchgängig unterhaltsam und wenig vorhersagbar bleibt. Der Einstieg in das Buch gelingt also ohne größere Probleme und das Lesen einer ausführlichen Anleitung entfällt. Auch dieses Buch ist also perfekt für Einsteiger in die Welt der Spielbücher geeignet.

Somorra ist auch ziemlich gefährlich und es gibt (laut Einleitung) 83 Abschnitte, bei denen das Abenteuer sofort enden kann. Das gibt es auch bei anderen Spielbücher, allerdings nur selten mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit. Ich mag das gar nicht, denn es ist wenig realistisch, dass man als Leser dann das Buch tatsächlich komplett von vorne nochmal liest. Besonders dann, wenn dieses Ende ganz unvorhersehbar kommt. In Somorra ist das aber glücklicherweise nochmal abgeschwächt und im letzten Abschnitt ist eine Tabelle, die einen zum vorhergehenden Abschnitt zurück führt. Sozusagen der Light-Modus von dem ich auch fleißig Gebrauch gemacht habe.

Hat man dann das Buch durchgespielt, wird anhand einiger Faktoren ein Ranking berechnet. Da zählt ein Grundwert für das jeweilige Ende, aber auch die Tode mit hinein. Wie auch bei Computerspiele stink ich bei sowas natürlich wieder ziemlich ab und bin gerade einmal auf 35 Punkte (von über 120 Punkten) gekommen und bin nur ein „Schlitzohr“. Das erhöht den Wiederspielwert natürlich, wobei mir die Story schon eher linear vorgekommen ist.

Von der Spieldauer ist es sehr angenehm und lässt sich an einem Abend schön durchspielen. Die Geschichte selbst fand ich, zusammen mit den Spielmechaniken gelungen, durchgängig unterhaltsam, ist aber auch nicht außergewöhnlich oder tiefgründig. Für jugendliche ist das Buch perfekt geeignet, denn mit der Interaktion, die ein Spielbuch bietet, dem unterhaltsamen Abenteuer und diesem schönen Setting, kann man damit bestimmt den ein oder anderen Teenie hinter dem Ofen vorlocken. Wer also seinen Sprössling zum Lesen motivieren will, ist mit dem Buch auf jeden Fall gut beraten.

Von der Aufmachung ist das Buch im typischen Abenteuerspielbuchstil. Als Taschenbuch, dass sich angenehm durchblättern lässt, mit kleinen Abbildungen (Vignetten) zwischen den Abschnitten und auch größeren Illustrationen. Die kleinen Vignetten sind allerdings eher dünn gesät. Die großformatigen Illustrationen haben mir sehr gut gefallen und passen sehr gut zum Stil des Buches. Das ein oder andere zusätzliche Bild wäre schon gut gewesen. Die Illustrationen ganz zu Beginn des Buches, hätte ich eher in das Buch eingestreut, die stehen etwas verloren so am Anfang. Ebenso die Portrait-Abbildungen von drei ausgewählten Charakteren, die ich hervorragend fand.

Fazit: Erneut legen Christian und Florian Sußner mit Somorra ein wunderbares Spielbuch vor, das an jeder Stelle unterhaltsam ist, mit erfrischend neuen Spielmechaniken aufwartet und mit der dystopischen mit Film Noir angehauchte Stadt Somorra eine schöne neue Kulisse bietet. Der Leser bekommt eine Story geboten, die zwar nicht außergewöhnlich ist, aber eine runde Geschichte bietet, die mir sehr gut gefallen hat. Gerade für jugendliche Leser ist das Buch perfekt geeignet und wer ein Weihnachtsgeschenk sucht, mit dem sich der Nachwuchs zum Lesen bewegen lässt, der macht mit Somorra sicher nichts falsch. Und wer Spielbücher mag, oder sie aus den 80ern kennt und wieder Lust darauf verspürt ein schönes Abenteuer zu erleben, der kann mit Somorra einen entspannten und schönen Abend verbringen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und es kommt nun in meine Sammlung an Abenteuerspielbücher.

Buchinformation: Somorra • Christian und Florian Sußner • Mantikore Verlag • 560 Seiten • ISBN 9783961880898

6 Kommentare

  1. Lieber Tobi,

    eine tolle Besprechung! Ich habe ja noch nie ein Spielbuch gelesen, aber deine Beiträge dazu immer sehr gern verfolgt. „Somorra“ könnte nun tatsächlich mein eigener Einstieg in die Welt der Spielbücher sein – dein Beitrag macht jedenfalls sehr neugierig darauf, die Geschichte selbst zu erleben. Und für so gelungene Illustrationen bin ich eh immer zu begeistern. 🙂 Daher danke für deinen Tipp!

    Viele Grüße und einen schönen Sonntag!
    Kathrin

    1. Liebe Kathrin,

      als Vielleserin, die auch gerne mal ein gepflegtes Game zockt, sind ja Spielbücher total was für Dich. „Somorra“ ist halt mal nicht dieses abgehangene Fantasy-Setting und das kann ich gut verstehen, dass sowas dann mehr lockt als klassisches RPG. Über Deine Eindrücke musst Du unbedingt dann schreiben, da bin ich gespannt, wie Dir das gefällt.

      Liebe Grüße
      Tobi

  2. Hallo Tobi!
    Als Kind war ich auch ein großer Freund dieser SPielbücher! Es gab da eine Reihe, bei der man immer etwas freirubbeln musste, um zum nächsten Schritt zu gelangen, das ist mir sehr positiv im Gedächtnis geblieben. Leider hatte ich die Bücher meistens aus der Bibliothek ausgeliehen und wie das mitunter so ist, waren schon alle Felder freigerubbelt 😀
    Dein Beitrag hat mich wieder daran erinnert, wie cool ich eignetlich solche interaktiven Bücher finde und werde mir diesen und den Mond-Tipp direkt einmal notieren. ♥

    Liebe Grüße!
    Gabriela

    1. Liebe Gabriela,

      die Stadtbücherei war bei mir damals auch der Quell für Spielbücher und da war es genauso, dass alle Bücher voll gekritzelt waren. Wobei das bei einem klassischen Spielbuch kein Problem war. Bücher zum freirubbeln kenne ich nicht, also das hört sich auch ganz interessant an. Ich bin immer fasziniert, was man mit Bücher alles machen kann. Beispielsweise wenn ich an „Das Schiff des Theseus“ denke, sowas ist einfach super.

      Mit „Somorra“ und „Das Feuer des Mondes“ bist Du schnell wieder in der Spielebuchwelt, die sind beide super.

      Liebe Grüße
      Tobi

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