Wie Computerspiele meinen Umgang mit Büchern beeinflussen

Aktuell kommen bei mir Bücher viel zu kurz. Das liegt zum einen daran, dass ich noch immer voll im Homeoffice bin und meine schöne Lesezeit in der S-Bahn komplett weg fällt, zum anderen an meinem neuen Gaming-Rechner, der mir Anfang des Jahres ein Tor in die Welt aktueller Computerspiele geöffnet hat. Zudem habe ich mir eine VR Brille zugelegt und insgesamt gibt es da so viel zu entdecken, dass Bücher erst einmal das Nachsehen haben. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, wie das zusammen passt: Alte Klassiker zu lesen, in Geschichten einzutauchen, die in den letzten Jahrhunderten geschrieben wurden und gleichzeitig die aktuellsten Games zu zocken. Was passiert hier, dass sowohl diese alten Texte aus der Zeit vor bzw. am Beginn der Industrialisierung mich komplett fesseln, aber auch gleichzeitig Unterhaltungsformen vom ganz anderen Ende dieses Prozesses mich vereinnahmen. Dem will ich ein wenig auf den Grund gehen.

Ich glaube es ist ein Fehler, wenn man nun Bücher und Spiele direkt miteinander vergleicht. So wie Filme einen eigenen kulturellen Rahmen haben, ist das auch für Bücher und Spiele der Fall und jede Gegenüberstellung hat hier zwangsläufig ihre Lücken und führt dazu, dass man Äpfel mit Birnen gleichsetzen würde. Auch wenn Computerspiele die Gesellschaft schon sehr durchdrungen haben, haftet ihnen ein eher zweifelhafter Ruf an. Wenn man nun erzählt, dass man gerne liest, findet das eigentlich immer Anerkennung. Selbst wenn es oberflächliche Schundromane sind, lesen ist eigentlich immer okay. Bei Spielen sieht das anders aus, das hat dann doch den Ruf von infantiler Zeitverschwendung. Computerspiele sind voll gepackt mit visuellen Elementen, während Bücher mit so ganz unspektakulären Text daher kommen, überhaupt nicht effekthascherisch sind, still und ruhig. Gibt es da überhaupt Gemeinsamkeiten? Kann so etwas völlig anderes wie Computerspiele überhaupt das Leseerlebnis beeinflussen?

Den naheliegendsten Einfluss bekommt die Literaturwelt bereits zu spüren: Computerspiele fressen Zeit. Und das ist auch bei mir stark zu spüren, wenn ich eben in den letzten Wochen den virtuellen Welten den Vorzug gegeben habe. Bei mir ist das nicht von Dauer, denn irgendwann nützen sich die verschiedenen Spielmechaniken ab, was bei Büchern nicht der Fall ist. „Das schönste Spiel wird einmal zu viel“ ist hier durchaus eine tragfähige Regel. Trotzdem locken mich gut gemachte und schöne Games immer wieder vom Buch weg.

Jeder sucht bei Spielen ja etwas anderes, bei mir merke ich aber dann doch, dass es die gleichen Grundprinzipien sind, die bei mir ziehen. Ich lege bei Spielen großen Wert auf eine gute Story und eine fein ausgestaltete Welt. So suche ich in den virtuellen Welten also automatisch das, was mir auch in Büchern sehr wichtig ist. Und es gibt richtig gute Spiele, die sich hinsichtlich ihrer narrativen Struktur und ihrem inhaltlichen Tiefgang durchaus mit Büchern messen können. Bioshock Infinite beispielsweise hat eine sehr geniale Geschichte, die mich auch noch lange nach dem eigentlichen Spieleerlebnis beschäftigt hat. Videogames folgen dabei einem ganz eigenen Weg. Sehr schön fand ich da beispielsweise den Indititel Firewatch, wo man mit der zweiten Hauptfigur ausschließlich über ein Funkgerät kommuniziert und so nach und nach eine emotionale Bindung aufbaut, die von den zuvor getroffenen Entscheidungen abhängt. Oder Xenoblade Chronicles 2 für die Nintendo Switch erschafft in zahlreichen Spielstunden eine wunderbar ausgestaltete Welt, die besonders durch ihren Einfallsreichtum den Spieler lange an die Konsole fesselt. Sehr packend fand ich Hellblade Senua’s Sacrifice, wo man in die Rolle einer Keltin schlüpft, die an psychotischen Störungen leidet. Dabei hört der Spieler im Hintergrund mehrere Stimmen, die versuchen Einfluss zu nehmen und mit zunehmenden Spielverlauf ist man sich nicht sicher, was real ist und was der labilen Psyche der Protagonistin entspringt. Das sind nur wenige Beispiele dafür, dass Spiele, genauso wie Bücher, eine großartige Geschichte erzählen können.

Bei vielen aktuellen Büchern merke ich, wie stark die Eindrücke aus Videospielen die Autoren beeinflussen. Da finden sich immer wieder Elemente, die von ihrer visuellen Ausgestaltung stark an Spiele erinnern. Vielleicht liegt das auch an mir und die Autoren haben damit nichts am Hut. Gwenaels Monokel in Die Spiegelreisende von Dabos fand ich hier sehr kennzeichnend. Während die Welt eine Illusion ist, wird mit dem Monokel dieses Trugbild kurzzeitig aufgehoben und so leuchtet das Monokel ähnlich dem Lichtkegel einer Taschenlampe durch die Welt und zeigt deren wahres Gesicht. Oder die verschiedenen Fertigkeiten der Familien in der selbigen Romanreihe erinnern stark an Klassen in Online-Rollenspielen. Auch bei Tad Williams neueren Romanen sind mir solche Elemente immer wieder aufgefallen. Das Bild, das hier vor meinem geistigen Auge entsteht ist hier auf jeden Fall von Computerspielen geprägt und gibt Büchern eine klare Struktur und beeinflusst meine Vorstellung. Wobei ich mir nicht so sicher bin ob das gut oder schlecht ist.

Computerspiele inspirieren mich aber auch immer wieder zu einem bestimmten Thema ein Buch zu lesen. Nach Bioshock Infinite beispielsweise musste ich unbedingt ein Buch über Multiversen lesen. Nachdem ich die Monkey Island Reihe liebe, kam ich auch nicht um Tim Powers Roman In fremderen Gezeiten herum, das für den führenden Entwickler Ron Gilbert eine wichtige Inspirationsquelle war. Nach dem Zocken von schön gemachten Rollenspielen komme ich auch nicht umhin, zu richtig guten Fantasy-Romanen zu greifen. Richtig tolle und fesselnde Spiele gibt es aber auch nicht so zahlreich und so greife ich dann auch oft zum Buch, wenn ich ein richtig tolles Abenteuer erleben möchte. In Summe bringen mich Computerspiele auch immer wieder zum Lesen.

Ich habe auch schon echt viele Stunden in schön gemachten Open World Spielen wie The Witcher 3, Horizon Zero Dawn oder Zelda Breath of the Wild verbracht. Da gibt es einige Games, die zudem ein sehr gutes Storytelling haben und mich richtig in ihre Welt und Geschichte gesaugt haben. Auch die Emotionen der Figuren werden da oft sehr gut transportiert. Aber es fehlt dann doch der Innenblick, der tiefe Einblick in die Gedankenwelt der einzelnen Akteure. Das ist für mich bei Büchern nochmal ein anderer Level und wenn ich beispielsweise an die Romane von Gasdanow denke, oder an die Figuren, die Henry James zum Leben erweckt, dann schwingen da so viele sublime Zwischentöne mit, die ich bisher bei keinem Spiel auch nur im Ansatz so erlebt habe. Das Verlangen nach genau diesen intellektuellen tiefen Blick auf Charaktere treibt mich dann doch immer schnell in die Welt der Bücher. Das habe ich so noch nirgends anders gefunden.

Nachdem neben Familie und Job die Zeit bei mir stark begrenzt ist, muss ich doch ziemlich haushalten. Damit ich also zu einem gepflegten Spiel greife, muss das schon ein richtig guter Titel sein. Daddeln zum Zeitvertreib ist bei mir nicht drinnen. Wenn man hohe Qualitätsmaßstäbe ansetzt, dann entstehen bei mir immer wieder längere Zeiträume, in denen man gamingtechnisch auf dem Trockenen sitzt. Das ist auch gut so und dann macht es einfach viel mehr Sinn ein schönes Buch zu lesen, denn den Effekt gibt es in der Welt der Literatur nicht, da ist auf dem Stapel ungelesener Bücher eigentlich immer ein Prachttitel der lockt und auf dem man so richtig Lust hat.

Wenn man ein Spiel zockt, dann ist man nicht passiv, sondern muss interagieren, kann selbst beeinflussen, wie man die Geschichte erlebt, wie man die Welt entdeckt und auch wenn es oft nur eine Illusion ist, so ist genau dieses Gefühl der Freiheit sehr kennzeichnend. Gerade dieses spielerische Entdecken und die Empfindungen dabei, deren Ursprung sich sicherlich in der eigenen Kindheit finden, haben ihren eigenen Reiz. Da haben Spiele wiederum Büchern etwas voraus. Im Gegenzug gibt es aber Momente, wo ich genau das Gegenteil suche, wo gerade die vordergründig schlichte und ruhige Einfachheit von Büchern sehr angenehm ist. Kein Display, das mich anleuchtet, kein Treiber der aktualisiert werden muss, kein Akku das geladen sein muss. Da sind Bücher oft eine Oase der medialen Ruhe. Und hier schließt sich auch der Kreis, denn gerade wenn man Klassiker liest, stellt man fest, dass es nicht die großen Effekte sind, die man hier findet, sondern die vielen Feinheiten und kleinen Details. Was mich dann fasziniert und mir gefällt, sind gerade die Beschreibungen von Reaktionen, von Gedanken, von all dem, das nicht offensichtlich ist, von wilden Sprüngen in Zeitebenen und den verschiedensten Handlungsorten. Und dem riesigen Raum dessen, was nicht beschrieben wird, durch die Phantasie des Lesers gefüllt wird und eine ganze Welt bedeuten kann. Gerade dieser Unterschied fällt mir beim Lesen immer wieder auf und das genieße ich dann aufgrund meiner Erfahrungen mit Computerspielen oft ganz bewusst.

Wer in den Fantasy-Abteilungen etwas stöbert, der findet auch zu einigen Computerspielen Bücher. Besonders für die bekannten und etablierten Triple-A Titel scheint hier ein gewisses Interesse zu bestehen. Ich habe einmal ein solches Buch getestet und es war so gruselig schlecht, dass ich nie wieder zu einem „Buch zum Spiel“ gegriffen habe. Für mich passt das auch irgendwie nicht zusammen. Das sind dann doch getrennte Welten und ich finde es auch langweilige beispielsweise ein Spiel in der Welt von Herr der Ringe zu zocken. Also was das angeht, haben Spiele gar keinen Impact auf meine Bücherauswahl.

Fazit: Computerspiele beeinflussen mein Leseerlebnis subtil aber für mich durchaus spürbar. Durch den Kontrast hinsichtlich der Reizüberflutung gegenüber der Ruhe, die das Lesen mit sich bringt, nehme ich beides bewusster wahr. Spiele inspirieren mich dazu mehr über verschiedene Themen zu lesen. Gleichzeitig ist es aber auch schön, ein gelesenes Setting visuell und mit all den grafischen Finessen eines Spiels zu erleben. Ich denke da beispielsweise an Assassins Creed Unity, das zwar einen begrenzt realistischen, aber dennoch atmosphärisch dichten Einblick in das revolutionäre Paris gibt, dass mir nach vielen tausend Seiten französischer Klassiker sehr vertraut geworden ist. Der offensichtlichste Einfluss ist die Zeit, die sich Bücher mit Computerspielen teilen müssen und das ein oder andere richtig schön gemachte Spiel lockt mich dann doch für einige Stunden von den literarischen Gefilden weg. In Summe genieße ich bei beiden Medienarten das, was ich als ganz wesentlich empfinde: Das Abtauchen in eine andere Welt und das Erleben einer fesselnden Geschichte.

Wie ist das bei euch? Zockt ihr auch gerne Spiele? Wie beeinflussen die verschiedenen Medienarten euer Leseverhalten?

3 Kommentare

  1. Ich zocke sehr gerne, am liebsten (Open World) RPGs, aber auch spiele mit begrenzten Welten. Darunter Assassin’s Creed, Greed Fall, WoW, Skyrim, Kingsdoms of Amalur….
    Und ja, wenn ich zocke, leser ich sehr viel weniger. Aber ich schätze den Kontrast: bei dem einen kann ich interaktiv Dinge entdecken, aber vieles ist visuell vorgeben, bei dem anderen hat meine Fantasie mehr zu tun, dafür ist es ruhiger und gelenkter.
    Aber am Ende geht es auch für mich bei beiden Medien um das Abtauchen in andere Welten und Erleben von Geschichten.

    1. Liebe Jasmin,

      also wenn ich Deine Bücherauswahl auf deinem Blog so ansehe, dann bist Du ja gut in der Fantasy-Welt unterwegs, da passen ja die von Dir beschriebenen Games ja hervorragend. Aber sehr cool, also das ist sehr sympathisch, das ist eine Auswahl, die ich schon auch echt gut finde. Und ich sehe das ganz ähnlich wie Du das beschreibst, Games sind angenehm interaktiv und visuell ein Vergnügen, Bücher sind ruhiger und entspannter.

      Liebe Grüße
      Tobi

  2. Ach lieber Tobi,
    in deinen Zeilen erkenne ich mich ganz gut wieder. 🙂 Ich sehe mich eher als Gelegenheitsspieler, aber mir geht es im Großen und Ganzen ähnlich. Die komplexen Welten und v.A. die Möglichkeit die frei zu erforschen und in das Geschehen einzugreifen kriegen mich immer wieder. Einige der Spiele, die du hier erwähnst oder die ich oben auf dem Foto gesehen habe, spiele ich auch oder habe sie zumindest gespielt. GRIS, Firewatch, Breath of the Wild – Dear Esther kann ich auch sehr empfehlen. An BioShock 2 bin ich gerade dran. Aber du nennst auch mein „Hauptproblem“ mit Computerspielen, nämlich dass häufig der narrative Unterbau fehlt, die Charaktere und Motive flach bleiben. Durch die Ressourcenschlacht (in technischer Hinsicht) scheinen dort andere Aspekte manchmal etwas zu kurz zu kommen. Deswegen treibt es mich doch immer noch öfter zu den Büchern als zu den Spielen. Aber in jedem Fall ist beides Eskapismus, der in diesem Jahr auch besonders gelegen kommt …
    Viele Grüße

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