Der Schimmelreiter • Theodor Storm

Der aufmerksame Leser meines Blogs wird sich wundern: Tatsächlich ist Der Schimmelreiter das erste Buch, das ich auf Lesestunden zweimal rezensiere. Das liegt ganz einfach daran, dass ich um diese schöne Ausgabe vom mare Verlag nicht herum gekommen bin und sie euch einfach zeigen muss. Daher habe ich diese Novelle, die ich vor fünf Jahren das erste Mal gelesen habe, erneut zur Hand genommen. Während ich damals das einfache Hamburger Leseheftchen gewählt habe, ist die Ausgabe jetzt sozusagen das komplette Gegenteil und ein wunderschönes in Leinen gebundenes und sehr bibliophiles Büchlein.

Theodor Storms Novelle ist die klassische Schullektüre und für viele wahrscheinlich eher negativ behaftet. Ich wurde nie geknechtet das Buch in der Schule zu lesen, kann mir aber vorstellen, dass man ordentlich an den Charakteren und der Handlung heruminterpretieren kann. Glücklicherweise muss ich das natürlich nicht und habe das Buch wieder ganz entspannt gelesen.

Die Geschichte handelt von Hauke Haien, der in den Marschen der Nordseeküste aufwächst und vom einfachen Knecht zum Deichgraf avanciert. Es zeigt sich früh seine Begabung für Mathematik und er lebt als eher rational gelagerter Mensch in der sehr archaisch wirkenden Gesellschaft einer landwirtschaftlich geprägten Kultur. An der Nordseeküste direkt am Wattenmeer herrscht Aberglaube und eine einfache bäuerliche Gesinnung. So ist Haukes Leben ganz eng verbunden mit der Natur dieser wunderschönen Küstenregion und sein Schicksal entscheidet sich an seinem Lebensprojekt, einem neuen Deich zur Trockenlegung eines neuen Koogs.

Die Landschaft ist mir von unserem damaligen Nordsee-Urlaub noch lebhaft in Erinnerung. Auch am Hauke-Haien-Koog sind wir damals spazieren gegangen, wobei ja die Handlung von Der Schimmelreiter wohl etwas näher und nördlicher von Husum in der Hattstedtermarsch angesiedelt war. Die Novelle ist sehr eng verbunden mit der Natur der Nordsee und ist durchwirkt mit Beschreibungen des Meeres, der Marsch-Gebiete, den oft sehr heimelig anmutenden Häuschen mit ihren Stuben, der Vögel und dem ganzen Wirken der Nordsee. Die Geschichte ist ganz eng verbunden mit dieser Landschaft und das passt natürlich wieder hervorragend in das Programm des mare Verlags.

„[…]der Wind hatte sich gelegt; in anmutigen Fluge schwebten Möwen und Avosetten über Land und Wasser hin und wieder; von Jevershallig tönte das tausendstimmige Geknorr der Rottgänse, die sich’s noch heute an der Küste der Nordsee wohl sein ließen, und aus den weißen Morgennebeln, welche die weite Marsch bedeckten, stieg allmählich ein goldner Herbsttag und beleuchtete das neue Werk der Menschenhände.“ (S. 176)

Was mir besonders gefällt ist die altertümlich anmutende Sprache, die gerade diese archaische Seite der Menschen dieser Region wunderbar widerspiegelt. Im Anhang befindet sich ein Glossar, das Worte wie Koog, Fenne oder Priel erklärt und damit bekommt das Buch nochmal viel Authentizität. Es entsteht ein sehr deutliches Bild von dieser rauen Natur, in der die Menschen sich mit den Deichen selbst einen Lebensraum geschaffen haben, der vom Meer bestimmt wird und wiederum das Leben der einfachen Landwirte stark geprägt hat.

Mit dabei sind auch einige Gruselelemente, welche aus dem ausgeprägten Aberglauben der Landbewohner resultieren. So beginnt die Geschichte auch mit einem unheimlichen Schimmelreiter und ein unbekannt bleibender Erzähler erfährt in einem warmen und gemütlichen Wirtshaus die Geschichte zu dieser geisterhaften Erscheinung. Die Novelle ist nun nicht super spannend, hat mich aber durchaus gefesselt. Sie ist auf jeden Fall unterhaltsam und liest sich trotz der altbackenen Sprache flüssig und mühelos.

Inhaltlich ist die Novelle tatsächlich ein zeitloser Klassiker, denn die Themen, die Storm hier in Szene setzt, sind auch in diesen Tagen sehr aktuell. Haukes Probleme mit der Gesellschaft, aber auch der Konflikt zwischen Mensch und Natur sind hier ein ganz zentrale Elemente. Und wenn man dem guten Lesch glaubt, dann sieht es, dank dem Klimawandel, auch nicht sonderlich gut aus für die Nordsee-Region. Ich kann durchaus verstehen, warum das Buch als Schullektüre so angesagt ist. An den einzelnen Charakteren kann man natürlich ordentlich rumanalysieren, die haben durchaus Tiefe.

Mir gefällt das Büchlein vom mare Verlag wesentlich besser als das Hamburger Leseheftchen. Letzteres hat zwar auch seinen ganz eigenen Charme, aber neu verpackt, wird das ganze Leseerlebnis natürlich wieder sehr aufgewertet. Das Buch hat einen kleinen Schuber, ein Lesebändchen und wieder einen richtig schönen bedruckten Leineneinband. Gerade dieser schön gestaltete Leineneinband konnte mich dann für das Buch gewinnen, denn in Summe strahlt es das aus, was es ist: Eine wunderschöne Geschichte mit viel Meer. Auch das Papier fühlt sich bei den mare Büchern immer sehr gut an und zusammen mit der Typographie ist es wahrscheinlich die schönste Ausgabe von Der Schimmelreiter, die es zu haben gibt. Auch das Nachwort von Jan Christophersen fand ich wieder sehr informativ und gelungen.

Theodor Storm ist in Husum 1817 zur Welt gekommen und dort auch aufgewachsen. Er kannte also die Region und den Handlungsort von Der Schimmelreiter sehr gut. Die Novelle erschien 1888 und zählt zu seinem Spätwerk. Es ist überliefert, dass er eine ähnliche Geschichte viele Jahre zuvor in einer Zeitschrift seiner Urgroßmutter gelesen hatte. Andere Quellen verraten, dass er ähnliche Erzählungen von der Schwester seines Kindermädchens hörte, die ihm, in der gemütlichen und warmen Stube, immer wieder Geschichten erzählt hatte.

Fazit: Diese neue Ausgabe von Der Schimmelreiter ist durchgängig gelungen. Der bedruckte Leineneinband gefällt mir richtig gut, die Aufmachung ist hochwertig und bibliophil und die Novelle selbst ist auch eine erneute Lektüre durchaus wert. Theodor Storm beschreibt das Meer und die Landschaft der Nordseeküste sehr stimmungsvoll und zeichnet ein authentisches Bild der einfachen Menschen. Der alte Konflikt zwischen Mensch und Natur wird hier in eine schöne unterhaltsame Novelle verpackt. Perfekt für einen entspannten Leseabend oder dank seiner schönen Aufmachung auch als Geschenk hervorragend geeignet.

Buchinformation: Der Schimmelreiter • Theodor Storm • mare Verlag • 256 Seiten • ISBN 9783866486416

2 Kommentare

  1. Ich gehöre zu denen, die dieses Buch in der Schule gelesen haben. Wir haben sogar den Spielfilm gesehen, der damals (1978) gerade herausgekommen war.
    Ich kann mich weder an das Buch, noch an den Film besonders gut erinnern (außer, dass ein Amerikaner die Hauptrolle spielte, worüber sich hier alle furchtbar aufgeregt haben), aber ich bin in dieser Gegend aufgewachsen und besuchte die Theodor Storm Schule in Husum, also war es nur natürlich, dass das Buch im Unterricht gelesen wurde. Gewundert hat mich, dass es vor ca 15 Jahren selbst in Hessen Pflichtlektüre am Gymnasium war — mein Sohn konnte damals so gar nichts damit anfangen. Vielleicht sollte ich ihm diese Mare Ausgabe schenken, wer weiß, mittlerweile hat er evtl einen anderen Zugang zu dem Buch.

  2. Ich liebe den Schimmelreiter ebenfalls; so viele Themen, die da zusammenfallen, ob Inklusion, ob das Individuum im Konflikt/Zusammenarbeit mit der Gesellschaft! Tolles Buch…ganz oben in meinen Lieblingsbüchern…

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