Die Geschichte einer Reise • Gaito Gasdanow
Aufmerksame Leser dieses Blogs wissen bereits, dass ich die Bücher des Autoren Gaito Gasdanow liebe und dass ich jedes seiner Werke sofort lese. Der Hanser Verlag hat mit Das Phantom des Alexander Wolf im Jahr 2012 den Anfang gemacht und das Buch neu übersetzt veröffentlicht. Vier weitere Bücher von ihm folgten über die Jahre, aber einige Erzählungen von ihm wurden nie ins Deutsche übertragen und waren somit für mich leider auch nicht zugänglich. Vor zwei Jahren stieß ich dann auf Die Pilger, welche erstaunlicherweise nicht im Hanser Verlag, sondern im Book on Demand Verlag erschienen ist. Wie sich herausgestellt hat, wurde das Buch von Jürgen Barck übertragen, einem Übersetzer, der die vergessenen Werke Gasdanows in Eigenregie übersetzt. Die Pilger und Erwachen habe ich schon auf Lesestunden besprochen, beides Bücher, die Gasdanows Spätwerk zuzuordnen sind. Nun hat Jürgen Barck das Buch Die Geschichte einer Reise neu und erstmalig ins Deutsche übertragen. Und weil ich alle Bücher von Gasdanow verschlungen und geliebt habe, möchte ich euch auch dieses Buch nicht vorenthalten, denn auch diesmal erwartet den Leser ein besonderer Lesegenuss.
In der Erzählung steht Wolodja im Mittelpunkt, ein junger aus Russland stammender Mann, welcher über Konstantinopel nach Paris reist. Dort lebt sein Bruder, bei dem er unterkommt und im Paris um die 20er Jahre einen kurzen Zeitabschnitt seines Lebens verbringt. Anders als in den anderen Büchern Gasdanows wechselt die Perspektive aber auch für einige Passagen zu Arthur, einem Engländer und der Leser erfährt etwas über dessen Liebesgeschichte.
Ich finde es wirklich schwer, dieses Buch zu besprechen, denn es hat keine klare Linie. Der rote Faden ist natürlich Wolodja, ausgehend davon, wie er Konstantinopel auf einem Schiff verlässt und auch in Paris sind es Wolodjas Gedanken, die den Leser durch die Geschichte führen. Allerdings schweift der Erzähler oft ab und berichtet episodenhaft von verschiedenen Menschen. So erwarten den Leser zahlreiche Nebenfiguren, wie beispielsweise eine Lehrerin des Protagonisten, einen russisch-stämmigen Architekten oder Odette, eine leichtlebige wohlhabende Frau. Das ist einfach Gasdanows Stil, nicht die eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, sondern in Fragmenten, Episoden und kurzen Anekdoten von den einzelnen Menschen zu berichten, die alle ein Teil der Reise seines Protagonisten sind. Sehr stark war das auch schon in Nächtliche Wege so und in diesem Buch ist die Erzählweise auch wieder sehr ähnlich.
Ich habe immer Gasdanows Sprache geliebt, seine Sätze, die so viel Tiefe haben, die oft nur andeuten und mit einer wunderbaren, sorgsam gewählten und fließenden Sprachmelodie, den Leser fesseln und in die ungewöhnliche Gedankenwelt seiner Figuren eintauchen lassen. Das ist auch in diesem Buch wieder der Fall. Während Die Pilger und Erwachen Romane aus Gasdanows späteren literarischen Schaffen waren, ist Die Geschichte einer Reise hingegen der zweite Roman aus seiner Feder und diesen Unterschied merkt man ganz deutlich. Während Gasdanow in Erwachen den Fokus seiner Figuren auf ihr Zusammenleben und Miteinander gelegt hat, so ist es in seinem Frühwerk die Verlassenheit, die Heimatlosigkeit und Orientierungslosigkeit, die der Leser ganz stark spürt und die ein zentraler Ausdruck dieser Geschichten ist. Das wird auch in diesem Buch wieder sehr deutlich und so ist Wolodja verträumt, gefühlt streunt er nur durch Paris, trifft andere Menschen, um diese zu beobachten und erinnert sich an seine Reise und Vergangenheit. Hier findet der Leser Gasdanow selbst wieder, der nach dem Bürgerkrieg aus Russland ebenfalls, wie Wolodja über Konstantinopel nach Paris geflohen ist. Nur dass sein Start in der Stadt nicht so leicht war, wie in dem Roman geschildert, sondern von Entbehrungen und harter Arbeit geprägt war. Das es Gasdanows Wesen ist, seine Gedanken, die man in dem Buch findet, dass es seine Verlorenheit ist, das spürt man als Leser. Viel zu echt sind die Überlegungen, viel zu subjektiv und angefüllt mit Erlebnissen, Gefühlen und ganz charakteristischen Wesenszügen, als dass sie erfunden sein könnten, auch wenn sie nun Teil einer Geschichte sind.
Was findet der Leser also in diesem Roman? Ein sehr subjektives Portrait zahlreicher Figuren, die auf Wolodjas Lebensweg hingestreut liegen und die in ihrer Gesamtheit und besonders aus seinem Blickwinkel beschrieben ein komplexes Bild der Hauptfigur geben. Und ein zartes Bild von der Liebe und den Frauen, erfüllt und unerfüllt, durchdrungen mit einer Sehnsucht, die meist nur ganz leicht zwischen den Zeilen zu fühlen ist.
Die blühende Jugend Victorias erinnerte Wolodja gleich an seine Gymnasiastenjahre, an Lady Hamilton, Dina und an lange, romantische Träume, an eine ganze Welt – der Musik, der Frauen, sich langsam ausbreitender, blauer Wellen eines fernen, imaginären Meeres. (S. 122)
Mit einem diffusen Gefühl hat mich das Buch zurück gelassen. Es ist immer der Blick auf eine sublime Gedankenwelt, wenn man ein Buch von Gasdanow in die Hand nimmt. Gerade das Einbeziehen aller Sinneseindrücke, wie Gerüche, Geräusche, den Eindruck, den Menschen mit ihrer Erscheinung auslösen, zusammen mit der fließenden Sprache, haben einen Sog, dem man sich als Leser hingibt und am Ende hat man nicht die eine Essenz, die eine Geschichte erlebt, sondern zahlreiche Eindrücke bekommen, die eben diffus nachhallen.
Die Ausgabe selbst finde ich wieder sehr gelungen. Ich muss sagen, es ist einfach eindrucksvoll, was Jürgen Barck hier im Alleingang leistet. Die Übersetzung liest sich sehr gut, man findet sofort Gasdanows Stil wieder und auch die Sätze haben die gewohnte Intonation, der ganz eigenen Sprache und Wirkung, die allen Büchern Gasdanows anhaftet. Im Anhang sind Anmerkungen, die ebenfalls hervorragend sind und wie das Nachwort einige Hintergrundinformationen geben. Mit dem Lesebändchen, dem aufgedruckten Schriftzug direkt auf dem Buch und insbesondere auch der wunderbar gewählten Typographie ist das Buch auf hohem Verlagsniveau. Ich kann Jürgen Barck nur danken, dass er diese Bücher übersetzt, die ich sonst wahrscheinlich nie lesen könnte und die mir doch so viele angenehme Lesestunden bereitet haben, dass ich sie ungern missen möchte.
Fazit: Erneut hat Jürgen Barck mit der ersten deutschsprachigen Übersetzung von Die Geschichte einer Reise ein Buch von Gaito Gasdanow dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Dem Leser erwartet eine Erzählung, die ganz typisch für Gasdanow ist, mit den tiefen Gedanken, der Verlorenheit, der Heimatlosigkeit und einer unbestimmten Suche, welche allen Figuren Gasdanows eigen ist. Die wunderbare feine Sprache und ein feinsinniger Blick auf zahlreiche Menschen, welcher episodenhaft aus vielen Fragmenten zusammengesetzt, bieten dem Leser ein Bild der Gedankenwelt des Protagonisten und Autoren. Genau das macht auch dieses Buch wieder sehr lesenswert. Die Übersetzung liest sich sehr gut und gibt den typischen Stil Gasdanows wieder und auch die Ausstattung ist hervorragend. Ein Buch das wieder rundum gelungen ist, das ich schnell verschlungen habe und nur empfehlen kann.
Buchinformation: Die Geschichte einer Reise • Gaito Gasdanow • BoD • 188 Seiten • ISBN 9783754354131
Danke, Tobi, für die schöne Empfehlung. Von Gasdanow liegt mir zu Hause nur „Das Phantom des Alexander Wolf“ vor; in der dtv-Ausgabe hatte ich es rein zufällig mal von einem Mängelexemplartisch mitgenommen und war dann ebenso wie Du begeistert von seinem Stil, der mich irgendwie an Franz Kafka, dem ja mit Recht die „reinste Prosa“ überhaupt nachgesagt wird, erinnert hat: Unprätentiöse, schnörkellose Sätze, fließend, klar und schlüssig. Und Gasdanow vermag – ebenso wie Kafka -, für uns scheinbar Banales, Alltägliches und Gewöhnliches so aufmerksam und detailliert zu betrachten und zu beschreiben, dass wir erst durch seine Augen das Besondere, das Schöne, das Wundersame, aber auch das Absurde – sei es an einer Sache, einer Persönlichkeit oder an einer Situation – erkennen können. Und er versteht es, Emotionen wiederzugeben und dabei zu berühren, ohne uns dabei mit schwulstig-barockem Pathos zu ersticken.
In diesem Zusammenhang bin ich neulich auf eine Buchempfehlung zu der Frage gestoßen, die uns Bücherfreund:innen wohl alle bewegt: Was macht eigentlich gute Literatur aus? In Thomas Stangl/ Anne Weber: Über gute und böse Literatur, Korrespondenz über das Schreiben. Matthes & Seitz, wird dabei von Anne Weber eine interessante These aufgestellt: „Vielleicht besteht das Wagnis (…) darin, im Erzählen von Emotionen bis ans Äußerste zu gehen, also bis kurz vor den Scheidepunkt zu gehen, wo Gefühl in Sentimentalität abrutscht? Bis an die Grenze zur schlechten Literatur?“
Gaito Gasdanow kommt m.E. diesem Äußersten sehr nahe und ist jedenfalls im „Alexander Wolf“ nicht ansatzweise in die Gefahr gekommen, forciert, übertrieben sentimental oder gar eigene Befindlichkeiten übersteigernd zu wirken.
Auch wenn er meinen Lieblingsautor Franz Kafka nicht erreichen kann, mag ich Gasdanows ähnlichen Stil. Und ich werde mir nun – dank Deiner Anregung – auch die anderen Werke von ihm besorgen.
Danke für deine Rezension. Auch ich habe das Buch bereits zur Hälfte zumindest durch und muss sagen, dass es auch mir schwerfällt, darüber eine Rezension zu verfassen. Schön, dass es dir gelungen ist. 🙂