Niemandsland • Adwin de Kluyver

Dieses Buch wäre mir beinahe entgangen, aber nachdem ich es entdeckt hatte, war mir sofort klar, dass ich es lesen möchte. Ein Buch über die Antarktis, das verschiedene Anekdoten und Geschichten über diesen abgelegenen und faszinierenden Kontinent sammelt. Ich musste sofort an einige spannende Bücher über Polarreisen denken und das Buch hat sich so angehört, als wäre es voll mit genau solchen Geschichten. Mich hat das wunderschön gestaltete und mit Abbildungen versehene Buch dann total überrascht.
Der niederländische Historiker Adwin de Kluyver war fasziniert von der Antarktis und bereiste, nach anfänglichen Schwierigkeiten eine geeignete Reisemöglichkeit zu finden, den eisigen Kontinent. Während er seine eigene Fahrt auf dem Segelschiff Europa beschreibt, folgt er in seiner Erzählung der Spur des japanischen Antarktisfahrers Nobu Shirase. Der scheiterte mit dem Versuch den Südpol zu erreichen, wobei ihm Amundsen zuvor kam, der wesentlich professioneller unterwegs war. Kluyvers Reisenotizen und der Blick auf Shirases Antarktisfahrt sind der Rahmen des Buches und sind eine Art roter Faden, an dem der Leser zahlreiche Anekdoten und Erzählungen findet. Und diese Geschichten haben mich total begeistert. Es sind ganz unterschiedliche Themen, die ganz verschiedene Facetten der Antarktis beleuchten. Jede der Geschichten ist aber interessant, manchmal sehr spannend, dann wieder unterhaltsam und man erfährt dabei Dinge, die man vorher noch nicht wusste und die einfach faszinierend sind.

Kluyver schreibt über Amundsens Expedition zum Südpol. Der Fokus liegt aber auf den Hunden und wie erbarmungslos Amundsen mit den Tieren umgegangen ist und wie entscheidend sie für den Erfolg der Expedition waren. Er schreibt über Scott, einen zweiten Polreisenden, der mit der Reise zum Südpol leider keinen Erfolg hatte. Zentrales Element dieser Geschichte ist aber dessen Frau, wie sie damit umgegangen ist und wie sich das schließlich auf ihr Schicksal ausgewirkt hat. Eine andere Geschichte handelt von der Entdeckung der Magellanstraße im 16. Jahrhundert, ein Kapitel berichtet von John Cleeves Symmes, der an eine hohle Erde glaubte. Ein weiteres Kapitel ist den Albatrossen gewidmet, eines handelt von einem Forscher, der das Verhalten der Pinguine erforscht und dabei Erstaunliches entdeckt hat. In dem Buch geht es auch darum, wie die Nationen ihre Ansprüche auf die Antarktis erhoben haben, um die erste Frau auf einer Antarktis Expedition, eine literarische Utopie über den südlichsten Kontinent und noch einige andere wirklich faszinierenden Geschichten. Das Spektrum ist weit, angenehm abwechslungsreich, nie langweilig, oft pointiert und immer liegt in dem Erzählten eine Aussage, die über das Geschriebene hinaus geht. Und natürlich ist die Antarktis allgegenwärtig und man spürt einfach die Stimmung, die starke Ausstrahlung, die diesem abgelegenen Ort anhaftet.

Ich fand einfach alle Geschichten wunderbar. Jede hat ihren eigenen Stil, ihre eigenen Pointe, jede ist spannend zu lesen und ich konnte das Buch irgendwann nicht mehr aus der Hand legen. Die Faszination für diesen abgelegenen und menschenfeindlichen Ort springt einfach auf den Leser über und man stellt sich vor, wie man selbst dort der Einsamkeit ausgesetzt ist. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es dort sein muss und kann nachempfinden, was die Menschen in diese Region getrieben hat. Durch die wechselnden Themen wird es an keiner Stelle langweilig. Die Beschreibung der Expedition von Amundsen habe ich verschlungen, das ist so fesselnd wie eine der richtig gut gemachten Dokumentation im Fernsehen. An einigen Stellen war ich auch echt überrascht und hab Einiges gelernt. Das Verhalten von Pinguinen beispielsweise, das sich in mancher Hinsicht erstaunlich mit dem der Menschen deckt (Verhaltensweisen, von denen ich angenommen hatte, dass sie exklusiv menschlich sind). Oder wenn man liest, dass ein Albatros in 24 Stunden bis zu 1800 Kilometer weit fliegen kann. Dass er seine Flügel einrasten und extrem weite Distanzen ohne Flügelschlag zurücklegen kann. Und dann verbindet de Kluyver dieses Tier mit den Dichtern Wordsworth und Coleridge und spannt in einer einzigen Geschichte den Bogen zum Untergang der Endurance im Jahr 1915. Das ist einfach wunderbar zu lesen, das ist ganz großes Kino und hat mich sehr in den Bann gezogen und auch nicht mehr losgelassen.

In dem Buch findet der Leser zahlreiche Abbildungen. Einmal die Karte von der Region von der die jeweilige Geschichte handelt. Dann findet man auch immer wieder Fotos von Kluyvers Reise, aber auch historische Fotos und Abbildungen von den Personen, um die es in den einzelnen Kapiteln geht. Das lockert die Lektüre angenehm auf und man kann sich das Erzählte noch besser vorstellen. Das ist schon sehr stimmig. Die Fotos von Kluyvers eigener Reise hätte ich mir in Farbe gewünscht, da hat mich das Schwarz-Weiß ein bisschen gestört. Wobei es wiederum bei manchen Fotos wieder richtig gut aussieht, beispielsweise wenn man ein Bild von dem Segelschiff Europa inmitten der Eisberge sieht.

Das Buch selbst ist einfach wieder wunderschön. Der bedruckte Leineneinband gefällt mir richtig gut. Auch das Lesebändchen mit dem passenden Blau sieht wieder sehr gut aus. Papier, Druck und typografische Gestaltung ist ebenfalls in einer sehr hohen Qualität. Das Buch liegt angenehm gut in der Hand und wirkt sehr wertig. Als Geschenk ist es perfekt geeignet. Von der Buchgestaltung macht dem mare Verlag aber halt auch niemand etwas vor. Die Bücher sind nicht nur wunderschön, sie sind auch immer sehr hochwertig verarbeitet.

Tatsächlich habe ich mich während der Lektüre dabei ertappt, wie ich mir immer wieder Videos von der Antarktis angeschaut habe. Auf YouTube findet man einige Drohnenflüge über der Antarktis in 4K und das sieht schon genial aus. Ich hab mich auch ertappt, wie ich die geplanten Reisen der MS Cape Race mir angeschaut habe. Die fährt natürlich nicht in die Antarktis, aber durch das Gewässer der nördlichen Polarregionen. Das wäre schon ein Traum, sowas mal zu erleben. Mit meinen Büchern war ich schon so oft an all diesen Orten. Und auch diesmal habe ich mir einige weitere Bücher über Polarexpeditionen bestellt. Darunter Der stille Held von Michael Smith. Das Buch habe ich lange umkreist, aber jetzt hab ich einfach so extrem Lust auf weitere Polarabenteuer, dass ich es haben muss.
Fazit: Manchmal holt man sich ein Buch und erwartet etwas Unterhaltsames zur Zerstreuung und wird dann völlig in den Bann gezogen und kann es nicht mehr aus der Hand legen. So ist es mir mit Niemandsland gegangen. Einfach ein wunderbares Buch, das mit seinen zahlreichen sehr unterschiedlichen Geschichten und Anekdoten spannend, unterhaltsam, lehrreich und faszinierend ist. Amundsens Hunde, die Vorstellung einer hohlen Erde, Gedichte über die Arktis, Albatrosse, die Erforschung von Pinguinen, die erste Frau in der Antarktis, die Rahmenhandlung von Nobu Shirases Polarfahrt, Kluyvers eigene Eindrücke und zahlreiche weitere Geschichten, machen dieses Buch zu einer extrem fesselnden aber auch zugleich wunderbar leichten Lektüre. Die Fotos und Illustrationen, die Karten und nicht zuletzt die ganze wunderschöne gelungene und wertige Aufmachung machen das Buch zu einem absoluten Geheimtipp. Ein großartiges Buch, das ich in kürzester Zeit verschlungen habe und das seinen Platz in meinem Bücherregal für immer sicher hat.
Buchinformation: Niemandsland • Adwin de Kluyver • mare Verlag • 368 Seiten • ISBN 9783866487093