Eine Dame von Welt • Henry James

Nachdem Henry James am 28. Februar seinen 100. Todestag hatte, bin ich nun einige Male über seine Bücher gestolpert und auch seine Novelle Eine Dame von Welt hat sich als Lektüre geradezu aufgedrängt. Mittlerweile habe ich einige Bücher von ihm gelesen und auch bereits Die Gesandten rezensiert. Sein Stil ist unverwechselbar und so war ich sehr auf diese neue Ausgabe aus dem Aufbau Verlag gespannt, den ich bisher noch nicht so auf dem Schirm hatte.

Die kurze Novelle umfasst nur 133 Seiten, ist also schnell gelesen und ideal für jeden, der eine Kostprobe von Henry James haben möchte und sich nicht gleich in ein umfassendes Schwergewicht wie Die Gesandten vertiefen möchte. Die Handlung ist schnell umrissen: Mrs. Headway, eine wohlhabende Amerikanerin möchte in die gehobene Gesellschaft aufgenommen werden und reist dazu in die schöne alte Welt. Allerdings ist ihre Vergangenheit nicht ganz ohne Tadel und so ist sie von der Fürsprache ihrer Landsleuten abhängig. Hier rennt die mit viel Schneid ausgestattete Amerikanerin aber nicht gerade offene Türen ein, steht aber auch nicht völlig auf verlorenen Posten.

Henry James hat einen ganz eigenen Stil und eine ganz individuelle Art seine Erzählungen aufzubauen und voranzutreiben. Mit einer klaren Sprache, benennt er alles ganz offen, verheimlicht dem Leser nichts und baut seine Charaktere und ihre Beziehungen zueinander Stück für Stück auf. Der Leser lernt die einzelnen Akteure kennen und wird so in ihre Art zu denken und zu handeln eingeführt, ohne dass James hier groß um den heißen Brei herum redet oder mit Worten zu sparsam wird. Obwohl mich seine Bücher nie so richtig packen, ich mich nie richtig mit seinen Charakteren verbunden fühle, ist es doch immer eine beständige Form der Unterhaltung, die mich durch seine Geschichten zieht und es ist die Vielseitigkeit der Dialoge, die seine Bücher lesenswert machen. Es entsteht immer eine Gesellschaft und ein kleines Netz aus menschlichen Beziehungen, was immer sehr authentisch wirkt.

Eine Dame von Welt von Henry James

Zu dem Sujet dieses Buches wurde James von Dumas dem Jüngeren inspiriert, der mit seiner Komödie Le Demi-Monde ein ganz ähnliches Thema aufgegriffen hat. Allerdings hat James die Geschichte nicht einfach übernommen, sondern an sein verändertes Umfeld angepasst. Für ihn steht die unterschiedliche Sichtweise der amerikanischen und englischen Gesellschaft im Fokus, die auch in Die Gesandten eine große Rolle spielt. James selbst ist in der Welt viel herum gekommen und hat während seines Studiums in New York, London, Paris und Genf gelebt und ist somit als gebürtiger Amerikaner durchaus mit den kulturellen Unterschieden konfrontiert worden. Dass er sich mit diesen Unterschieden gedanklich stark beschäftigt hat und ihre Feinheiten kennt, das beweißt er auch in dieser Novelle wieder mit viel Feingefühl. Es wird immer wieder deutlich, wie unterschiedlich die englische und amerikanische Aristokratie tickt und wie verschieden die Maßstäbe sind, die dort angesetzt werden.

In diesen Rahmen wird, genauso wie in Le Demi-Monde das moralische Problem einer „gefallenen“ Frau und ihre gesellschaftliche Akzeptanz thematisiert. Aber wie das für die französischen Autoren typisch war, wurde dort die Moral der Geschichte laut scheppernd durch die Erzählung gepeitscht, während James weder mahnend den Finger hebt, noch auf der Moralaposten-Welle dahin reitet. Beim Lesen schwingt die Frage eher im Hintergrund mit und im Fokus stehen vielmehr die Akteure und wie sie reagieren. James macht das sehr geschickt, indem es keinen einzelnen Protagonisten gibt, sondern mehrere Personen in ihrem Denken und Handeln vorgestellt und ausgeführt werden. Denkt man dann über die Geschichte nach, dann kommt sie eben doch auf, die Frage nach dem moralischen Verständnis der englischen und amerikanischen Gesellschaft dieser Zeit. Hinsichtlich dieser Fragestellung hat mir dieses Buch sehr gut gefallen und es lässt einiges an Raum um über die einzelnen Personen und ihre Art zu Handeln auch im Nachgang ein wenig nachzudenken.

Angefügt an die Novelle ist noch ein Essay von Henry James zu finden, das den Titel Gelegentlich Paris trägt und die kulturellen Unterschiede der englischen und französischen Gesellschaft betrachtet. An dieser bemerkt man, wie James diese Fragen beschäftigt haben und damit passt der Essay sehr gut in dieses Bändchen. Sehr gut ist auch das Nachwort von Alexander Pechmann, der hier wieder mit viel Sachverstand und sehr gut gerafft die Geschichte mit dem Leben von Henry James in Verbindung bringt, was sehr informativ und interessant ist.

Eine Dame von Welt von Henry James

Optisch gefällt mir das Büchlein richtig gut. Es ist schön handlich und klein, gleichzeitig wirkt es mit seinem kräftig gelben Leineneinband und dem dazu farblich passen abgestimmten dunkelgrünen Vorsatzpapier und dem gelben Lesebändchen edel und außergewöhnlich. Betrachtet man lediglich das Cover als Bild, wirkt es eher schnöde, erst wenn man das Buch in die Hand nimmt, oder wie in diesem Beitrag als Foto sieht, merkt man, dass hier der Verlag schon mit einiger Hingabe zu Werke gegangen ist. Für mich ist das sicher ein Grund, den Aufbau Verlag genauer im Auge zu behalten. Ich hoffe, dass sie auf den Zug der schick gemachten Klassikerneuauflagen aufspringen.

Fazit: Mit Eine Dame von Welt legt Henry James eine sehr schöne Novelle vor, die so ganz typisch für seinen Schreibstil ist und einen hervorragenden Einblick in seine Art zu schreiben und seine gelungenen Dialoge gibt. Sehr schön führt er den Leser in eine kleine Gesellschaft verschiedener Akteure ein, spiegelt ihr Denken und Handeln wieder und bringt dies in einen kulturellen Kontext, der einen kleinen Einblick in die Denkweise der Aristokratie des 19. Jahrhunderts in England und Amerika gibt. Ohne groß mit der Moralkeule zu schwingen bleibt genug Interpretationsspielraum, um der Geschichte trotz ihrer Kürze Tiefe zu geben. Richtig gepackt und viel Empathie habe ich mit den Figuren allerdings nicht verspürt und so wahrt James doch immer eine für ihn ganz typische Distanz. Die Nähe zu den Figuren, die beispielsweise sein Vorbild Dumas sehr geschickt erzeugt, fehlt mir in allen von James Büchern doch ein wenig. Das Büchlein ist optisch und von der Verarbeitung ein echter Leckerbissen und wird immer einen festen Platz in meinem Bücherregal haben.

Buchinformation: Eine Dame von Welt • Henry James • Aufbau Verlag • 176 Seiten • ISBN 9783351036348

5 Kommentare

  1. Lieber Tobi,

    offenbar haben wir parallel gelesen : ) Ich hatte ja noch keine großen Lektüreerfahrungen mit James gemacht, der Wunderbrunnen ist wirklich arg schräg. Aber auf der Liste der Wiederaufgelegten sind noch einige Titel, die mich reizen, z. B. Wie alles kam und Benvolio (Erzählungen, schön bei Manesse), Überfahrt mit Dame (noch ne Salonerzählung, auch beim Aufbau) … Mal sehen, wie es weiter geht : )

    Liebe Grüße
    Petra

    1. Liebe Petra,

      cool, nicht schlecht. Sowas musste mal passieren, denn du hast ja genauso einen guten Geschmack wie ich 😉 „Überfahrt mit Dame“ hab ich noch gar nicht gesehen. Also das werd ich mir auch noch holen, das ist ja genauso aufgemacht, wie „Eine Dame von Welt“. Ich mag so kurzweilige Geschichten. Vor allem, wenn sie von einem guten Autoren sind, der einen ganz individuellen Stil hat und dabei so unterhaltsam ist. Und dann eben noch als so optisch ansprechendes Büchlein.

      Liebe Grüße
      Tobi

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