Frankenstein • Mary Shelley

Nachdem ich in meinem Beitrag über den Manesse Relaunch schon einen Blick auf die Neuauflage des Klassikers Frankenstein von Mary Shelly riskieren konnte, möchte ich euch diesmal eine ausführliche Rezension zu dem Roman geben. Der Titel ist ja gemeinhin bekannt und ich kannte diese Gruselgeschichte primär aus Film und Fernsehen, wo sie einem in Auszügen immer mal wieder begegnet. Zumeist als schlechte Adaption und sehr klischeehaft in Zeichentrickfilmen oder ähnlich infantilen Formaten. Die Erzählung aus dem Jahre 1818 hat aber durchaus mehr zu bieten und wirft moralische Fragen auf, die auch nach mehr als zweihundert Jahren durchaus noch Relevanz haben.

Die Erzählung beginnt mit einigen Briefen, die der junge Engländer Walton an seine Schwester schreibt. Er möchte als Polarforscher in die Geschichte eingehen und auf seinem Weg durchs Nordpolarmeer rettet er er Victor Frankenstein von einer Eisscholle. Dieser erzählt seine Lebensgeschichte und schildert aus der Ich-Perspektive seine Familienverhältnisse, wie er das berühmte Monster erschaffen hat und den Verlauf seines darauf folgenden dramatischen Abenteuers bis hin dazu, dass er nun eine geheimnisvolle Gestalt bis zum Nordpol verfolgt. Die eigentliche Handlung ist also sozusagen nochmal verpackt in einem Rahmen, der nur ganz am Anfang und Ende in Erscheinung tritt.

Shelley legt dabei ein sehr angenehmes Tempo vor und unterhält mit einem gut lesbaren Stil, der mit einfachen Sätzen und einer angenehmen Erzählweise besticht. Gut nachvollziehbar und mit einer aktuell anmutenden Sprache erfährt der Leser sehr genau die Gefühlswelt von Frankenstein, taucht aber auch durch Briefe und der Erzählung Anderer in die Gedankenwelt der Figuren ein. Der Roman ist spannend und unterhaltsam und man fragt sich beim Lesen, wie es wohl weiter gehen wird und wie das Ganze wohl endet. Eine Ahnung hat man bereits ganz zu Beginn schon, da der Anfang der Geschichte mit Walton schon ein paar Hinweise gibt. Durch die Rahmenhandlung mit Walton, aber auch dadurch, dass Frankenstein, aber auch die anderen Figuren immer nur rückblickend berichten, entsteht eine gewisse Distanz. Obwohl man also beim Lesen mitfühlt, fängt man dadurch unwillkürlich an zu bewerten und betrachtet die Entscheidungen der Figuren in einem größeren Kontext. Das gibt dem Buch seinen Reiz und ist wohl ein Grund, wieso es so viel Erfolg hatte.

Natürlich ist das Erschaffen von künstlichem Leben durch Frankenstein und das Schicksal des Wesens, welches sich der Kontrolle seines Schöpfers entzieht, der Kern der Geschichte. Ganz anders wie ich vermutet hatte, ist der Roman weniger eine Gruselgeschichte, sondern beleuchtet vielmehr einen moralischen Konflikt, der gerade dann zum Tragen kommt, wenn der Mensch in die Geschicke der Natur und dem Leben eingreift. Ein Thema, das in Zeiten von Genmanipulation, Künstlicher Intelligenz, big data oder deep learning nicht an Aktualität eingebüßt hat. Sehr schön fand ich die Art und Weise, wie die Entscheidungen von Frankenstein, als auch die des Monsters sich jeweils im Kontrahenten wieder gefunden haben. Jeder spiegelt moralisch seinen Gegenpart wieder und gleichzeitig auch den Menschen selbst. Damit versucht Shelley auch stellenweise abstrahierend die Gesellschaft und den Menschen selbst zu porträtieren. Etwas, das in vielen Klassikern der Fall ist und viele auch gerade dazu gemacht hat.

Sehr gespannt war ich darauf, den Schaffungsprozess des Monsters zu verfolgen. In Filmen wird das immer als ein technischer Prozess dargestellt. Zumeist wird eine Maschine irgendwie mit menschlichem Gewebe versehen und bekommt dann ein Gehirn eingepflanzt und flutsch, fertig ist das Frankenstein-Monster. In alten Filmen ein großes menschenähnliches Wesen mit eckigen Kopf und nähten, heute wäre es wohl irgendein Terminator-Verschnitt, ein Mikroprozessor mit menschlichen Gewebe gemixt. Ich hab mir das Monster mir immer irgendwie als einen Mix aus Hulk mit dem Fleischkleid von Lady Gaga vorgestellt. Tatsächlich bleibt Shelley hier völlig vage und gibt keinerlei Hinweis darauf, wie das Monster beschaffen ist. Sie stattet es mit einer gewissen, dem Menschen überlegenen Leistungsfähigkeit aus, schreibt von gelber Haut und einem fürchterlichen Aussehen, aber alles andere lässt sie offen. Das ist eine bemerkenswerte Leistung. Sie fokussiert sich primär auf Frankensteins Innenleben, wie er sich dabei fühlt, sein Bestreben etwas Großes zu vollbringen und die entbehrungsreiche Arbeit bis zu seinem Ziel. Kein Wort von irgendwelchen Details, Maschinen oder auch nur einer Schraube. Auf der einen Seite fand ich das wirklich eine sehr große Leistung. Etwas zu beschreiben, ohne es tatsächlich zu beschreiben. Details auszulassen, ohne dass es beim Lesen stört. Gleichzeitig ist das aber auch die große Schwäche des Buches. Wirklich plausibel wird die Erzählung dadurch nicht. Aber angesichts der Zeit, in der das Buch verfasst wurde, ist das, was Shelley hier heraufbeschwört durchaus gelungen und sollte natürlich auch in diesem Kontext betrachtet werden.

Die Erzählung wird ja immer als Gruselgeschichte gesehen und auch die Autorin hat in ihrem Vorwort einer Neuauflage in den 1830er Jahren deutlich geschrieben, dass es eine solche sein soll. Ich habe mich allerdings zu keinem Zeitpunkt gegruselt und fand sie zwar spannend, aber nicht im Ansatz nervenaufreibend oder unheimlich. Aber wahrscheinlich war das zum damaligen Zeitpunkt anders, wo die Idee eines ferngesteuerten Monstrums wohl noch ziemlich neu war. Das Thema und das ganze Setup wurde ja mittlerweile tausendfach kopiert und adaptiert und das oft so schlecht, dass es dadurch schon ins Lächerliche gezogen wurde.

Sehr schön fand ich auch die Beschreibung der Natur. Und obwohl von den Protagonisten die verschiedensten Orte besucht werden, bleibt Shelley bei allen größeren Städten sehr vage und beschreibt kaum das Aussehen dieser. Anders aber die Landschaft von einigen entscheidenden Orten. Beispielsweise eines Schweizer Gletschers oder der Orkney Inseln. Natürlich kommt auch das klassische Gewitter mit Blitz und dadurch beleuchteten Monster vor. Insgesamt kann man sich trotz der oft fehlenden Beschreibungen des Settings alles irgendwie erstaunlich gut vorstellen. Kopfkino ist hier also durchaus gegeben.

Sehr interessant fand ich die Entstehungsgeschichte zu dem Buch. 1816 verbrachte sie den Sommer am Genfersee (in Genf spielt auch ein großer Teil der Geschichte) bei Lord Byron. Zusammen mit seinem Leibarzt John Polidori, Ihrer Stiefschwester Claire Clairmont und ihrem künftigen Ehemann Percey Shelley. Aufgrund des verregneten Sommers saßen sie oft im Haus und irgendwann fiel ihnen ein Buch mit Gespenstergeschichten in die Hände. Daraufhin beschlossen sie, dass jeder eine Schauergeschichte schreiben sollte. Marys Geschichte ist Frankenstein.

Zum Aussehen des Buches habe ich ja schon einen eigenen Beitrag geschrieben. Nach der Lektüre muss ich sagen, dass die Aufmachung des Buches tatsächlich so gar nicht zum Inhalt passt. Die Hand erinnert mich eher an einen Affen und mit einem solchen hat das Monster so gar keine Ähnlichkeit. Auch die Schrauben im Vorsatzpapier greifen den Inhalt nicht wirklich auf und das Pink passt nicht zu einer Gruselgeschichte. Ohne Umschlag ist es mit dem schwarzen Pappeinband zwar durchaus passend aber eben auch eher schlicht. Ich hätte dem Ganzen wohl auch einen etwas düsteren Touch verpasst.

Fazit: Frankenstein ist eine unterhaltsame und spannende Geschichte, welche sich sehr flüssig liest und als wenig gruselige Schauergeschichte verpackt, moralische Fragestellungen aufwirft, welche auch in dieser Zeit noch uneingeschränkte Aktualität besitzen. Das Schicksal des erschaffenen Monsters und seines Schöpfers über die verschiedenen Schauplätze zu verfolgen, in die Gedankenwelt eines sehr vage umrissenen Wesens einzutauchen und dadurch die Natur des Menschen zu beleuchten, ist Shelley sehr gut gelungen. Insgesamt hat mich die Erzählung aber auch nicht vollständig begeistert und die Handlung hat keine größeren Überraschungen geboten. Der Blick auf die menschlichen Abgründe ist dann doch zu zaghaft und wenig umfassend. Ein lesenswerter Roman bei dem man, wie bei vielen Klassikern, nichts falsch macht, der mich aber auch nicht geflasht hat.

Buchinformation: Frankenstein oder Der moderne Prometheus • Mary Shelley • Manesse Verlag • 465 Seiten • ISBN 9783717523703

7 Kommentare

  1. Ich find die Urfassung auch deutlich besser als die später religiös aufgeladene Version.
    Aber das Cover Deiner Ausgabe ist Elfenwerk!
    Auf meiner dtv-Ausgabe ist Boris Karloff als Frankensteins Geschöpf, zwar nicht super kreativ, aber nicht pink.

    Und ich hatte mich damals sehr in Mary Shelley verliebt. Was für eine Biographie!

  2. Hi Tobi,

    eine schwierige Besprechung, nicht wahr? Ich hab bei Frankenstein immer Boris Karloff im Kopf, das bin ich auch beim Buch lesen nicht los geworden. Das Frankenstein-Thema ist halt insbesonders filmisch ziemlich verbrannt. Der Name Frankenstein wurdeja auch für die japanischen Alt-Godzilla-Filme hergenommen, zumindest in der deutschen „Übersetzung“, obwohl das mit Frankenstein, nichts, aber auch garnichts zu tun hatte. Ein bisschen kist esja wohl auch so bei Stokers Dracula Buch, auch da ist die Figur Dracula wohl erheblich durch die Filme mit Christopher Lee geprägt.
    Eine nette Adaption der konventionellen Figur Frankenstein findet sich übrigens in dem Animationsfilm Hotel Transsilvanien – da ist es eine nette und liebenswerte Figur und der einer der besten Freunde von Graf Dracula. Hat mit dem Roman natürlich rein gar nichts zu tun 🙂
    Schlimm finde ich den Umschlag, das Pink schreit einen ja geradezu an. Da kann ich einen Trumpf des eBooks ausspielen: da kann ich das Cover einfach austauschen 🙂

    //Huebi

    PS ich hab jetzt auch Affinity Photo auf dem Rechner und es hat Ruckzuck Photoshop Elements ersetzt.

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