Das Adelsgut • Iwan Turgenjew

Seit meiner Lektüre von Krieg und Frieden habe ich mich dem ein oder anderen seichten Liebesroman hingegeben. Gleichzeitig hat das dicke Meisterwerk von Tolstoi meine Lust auf weitere Romane dieser Zeit und aus russischer Feder geweckt, so dass ich doch wieder ziemlich schnell zu den Russen zurückgekehrt bin. Daraus ist ein kleiner Manesse-Russen-Marathon geworden und ich habe zahlreiche Romane russischer Autoren gelesen, die im Manesse Verlag erschienen sind. Einige sind leider schon vergriffen, aber Das Adelsgut von Iwan Turgenjew, dass ich euch hier vorstellen möchte, ist erst neu erschienen.

In der Herbstvorschau ist mit Das Adelsgut sofort ins Auge gestochen. Seit Manesse vergangenes Jahr seine bekannte Reihe der Klassiker der Weltliteratur eine neue Buchgestaltung gegönnt hat (ich hatte darüber gebloggt), ist es das zweite Buch im neuen Gewand, das bei mir Einzug findet. Und von der Gestaltung ist es einfach sehr gelungen, wie man an den Fotos in diesem Beitrag sofort sehen kann. Zusammen mit meiner momentanen Affinität zu den großen russischen Autoren war klar, dass ich das Buch haben muss.

Von Turgenjew habe ich schon das ein oder andere gelesen und für mich fällt er in die Kategorie Tolstoi: Mit dem typischen russischen Hintergrund und Flair schreibt er angenehm lesbare und tiefsinnige Romane. Mir gefällt es, mit welcher Liebe diese Autoren (allen voran Gogol) über die schöne Landschaft Russlands schreiben, über die Steppe, über die stimmungsvollen kleinen Birkenwäldchen und die einsamen Gehöfte aus Holz, die sich archaisch und pittoresk in die Landschaft einfügen, als wären sie da schon immer gestanden. Auf genau so ein Adelsgut trifft der Leser, wenn er Fjodor zu dem verschlafenen und nicht bewirtschafteten Wassiljewskoje begleitet.

Fjodor steht im Mittelpunkt des Romans, der 1858 erschien. Er ist Anfang 30 und kehrt nach längerem Aufenthalt im Ausland nach Russland zurück. Seine Ehe ist gescheitert und so sucht er in seiner alten Heimat die alten Traditionen und ein zurückgezogenes Leben in der Natur. Auf einem Landsitz von Verwandten lernt er Lisa kennen und es kommt wie es kommen muss.

Von der Geschichte her ist der Roman wohl eher gewöhnlich, hat nichts Neuartiges oder Überraschendes. Der Zauber liegt tatsächlich in der gesamten Komposition. Den Figuren, der Landschaft und Natur, der Art, wie sich die Charaktere begegnen, zusammen mit einer geradlinigen und klaren Sprache. Das liest sich alles sehr geschmeidig und Turgenjews Sätze haben mich recht schnell beim Lesen fortgetragen und entführt.

Turgenjew hat eine direkte Art zu schreiben und schildert unverwandt seine Figuren und stellt sie ganz im Stile des Realismus mit all ihren Wesenszügen dar, ohne dem Leser etwas zu verheimlichen oder zu verbergen. Das fand ich sehr angenehm zu lesen, denn ähnlich wie bei den späteren naturalistisch angehauchten Autoren liegt es beim Leser selbst, sich Gedanken zu machen und aus den Charakteren die Ursache für ihr Handeln zu finden. Dabei macht er auch immer wieder Einschübe und erzählt vom Werdegang und familiären Hintergrund der einzelnen Figuren. Das ist ein Stilmittel, das mir schon oft begegnet ist und das immer grenzwertig ist. Balzac macht das ja ganz intensiv und schreibt oft ganz entspannt, dass eine kurze Erklärung zu einer der Personen notwendig ist, um die Geschichte zu verstehen. Und dann schreibt er 100 Seiten eine komplett neue Story in dem eigentlichen Roman. Aber Balzac bekommt da auch immer die Kurve, bei Ein Lebensbeginn macht er das ja einige Male in einer Geschichte und das funktioniert einfach und am Ende gibt es einen genialen großen clash. Bei Das Adelsgut funktioniert das auch ganz gut und hält sich vom Umfang in Grenzen, aber man muss schon aufpassen, denn es kommen besonders zu Beginn einige russische Namen vor (über mehrere Generationen hinweg), das erfordert an einigen wenigen Stellen durchaus Konzentration. Wobei ich insgesamt die Lektüre durchaus entspannend fand und nicht vergleichbar ist mit beispielsweise Krieg und Frieden, wo natürlich wesentlich mehr Figuren ihren Auftritt haben.

Die Protagonisten fand ich durchweg sehr glaubhaft und man merkt, dass Turgenjew echte Menschen und wahrscheinlich auch sich selbst als Vorbild hatte. Als Leser bekommt man einen sehr guten Eindruck von der Persönlichkeit der Protagonisten und hat ein klares Bild davon, wie die einzelnen Figuren ticken. In diesem Kontext fand ich den Spannungsverlauf aber auch das Ende sehr gelungen. Ein etwas plötzlicheres Ende und weniger Erklärungen und man hätte ein Maupassant-Finale, etwas ausladender und ausführlicher und man hätte ein Tolstoi-Finale gehabt. Das Turgenjew-Finale liegt irgendwo auf angenehme Art und Weise dazwischen.

Das namensgebende Adelsgut wird gar nicht so oft erwähnt und spielt vordergründig gar keine so große Rolle. Oder genauer gesagt sind es zwei Adelsgüter, die im Zusammenspiel die Charaktere sehr schön widerspiegeln und eine Metapher für deren Persönlichkeiten sind. Das oben erwähnte Wassiljewskoje  fand ich sehr schön dargestellt, wie es da einsam zwischen der russischen Steppe und den einsamen Wäldchen gelegen ist, in einem Dornröschenschlaf, aus dem es dann von Fjodor geweckt wird. Und damit ist dieses harmonische und einsame Stückchen Land ein Spiegel von Fjodors Seele, wobei Turgenjew gekonnt sowohl dessen Erziehung und Kindheit, als auch die jüngeren Geschehnisse des Romans mit einbezieht.

Am Ende stößt Turgenjew aber in das gleiche Horn wie Tolstoi und preist Rousseaus „Zurück zur Natur“. Das Ideal ist ein klug geführter landwirtschaftlicher Betrieb, in denen der Adelsherr auf seine freigelassenen Bauern achtet, sie hegt und pflegt, ihnen ihren niederen Stand entsprechend ein einfaches und gutes Leben ermöglicht. Wobei der Adelsherr und Frau selbst ein tugendhaftes, möglichst selbstloses und religiöses Leben führen. Das war so wohl damals ein Trend und liest sich in Romanen immer irgendwie sehr malerisch.

Die Ausgabe selbst gefällt mir, wie oben schon angedeutet, sehr gut. Die Umschlaggestaltung sieht schick aus und passt mit den Blättern und gleichzeitig winterlich wirkenden Ästen sehr gut. Die Farbkombination ist hervorragend gewählt. Das Gelb sieht richtig schön aus und der Einband hat eine feine Struktur, die sich sehr gut anfühlt und den fehlenden Leineneinband gut verbirgt und dabei trotzdem sehr wertig wirkt. Das Gelb und dieser Grünton kontrastieren wunderbar, das ist eine Farbkombination, die könnte man sofort bedenkenlos für eine Webseite einsetzen, das harmoniert sehr gut. Die farbige, in dem gleichen Grün des Umschlags gehaltenen Fadenbindung finde ich sehr schick, das gefällt mir richtig gut. Es gibt viel zu wenig gefärbte Fadenbindungen. Das macht sich ausnehmend gut, ebenso wie das Vorsatzpapier, das ebenfalls in einem schönen kräftigen Gelb die Strukturen vom Umschlag aufgreift und das hellgelbe Lesebändchen. Die Buchgestaltung ist hier zusammenfassend sehr gelungen.

Das Nachwort fand ich sehr informativ und man erfährt ein wenig über Turgenjews Leben, das sich auch irgendwie abenteuerlich anhört. So ist er seiner Muse, einer verheirateten französischen Operndiva hinterhergereist und hat mit ihr und ihrem Mann zeitweise zusammen gelebt. Er hatte scheinbar durchaus ein bewegtes Leben und darüber könnte man wahrscheinlich schon ein Buch schreiben. Aber das war beispielsweise bei Tolstoi oder Puschkin ja nicht anders. Dem Buch sind auch üppig Anmerkungen beigefügt. Insgesamt ist das Büchlein mindestens auf dem gleichen Niveau wie die Hanser Klassiker, die auch immer mit üppigen Beiwerk daher kommen.

Fazit: Iwan Turgenjew hat mit Das Adelsgut einen wunderbaren Roman geschrieben. Eine Geschichte mit dem typisch russischen Flair, mit hervorragend ausgestalteten Charakteren und mit einer Story, die sehr authentisch wirkt. Wer Tolstoi mag, der wird auch an diesem Buch seinen Gefallen finden. Der Manesse Verlag hat hier eine sehr schöne Ausgabe vorgelegt, die mich alleine schon von den Farben sehr begeistern konnte. Aber auch die zahlreichen Anmerkungen und die gesamte Aufmachung ist im Premiumbereich angesiedelt. Ein tolles Buch, dass mich motiviert mich auch in naher Zukunft weiter den Russen hinzugeben.

Buchinformation: Das Adelsgut • Iwan Turgenjew • Manesse • 384 Seiten • ISBN 9783717524489

2 Kommentare

  1. Hey Tobi,

    vielleicht weißt du es ja schon, aber bei Insel ist jetzt von Ursula Keller eine Doppelbiographie von Turgenjew und seiner Operndiva erschienenen. Habe eine Rezension gelesen, die ganz spannend klang.

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