Daphnis und Chloe • Longos

Wenn ich so auf die letzten Jahre zurück schaue, dann haben die Bücher vom Manesse Verlag einen signifikanten Anteil an meinem Lesevergnügen. Die Auswahl des Traditionsverlages ist einfach so groß und die Ausgaben zumeist so schick, dass ich ihnen oft den Vorzug gebe. Daphnis und Chloe ist so ein Büchlein, dass ich in der Vorschau für dieses Frühjahr entdeckt habe und das sofort überzeugen konnte. Sowohl von der Aufmachung, als auch vom Inhalt, der eigentlich nicht so meinem Beuteschema entspricht. Aber was heißt das schon, denn ich probiere viel aus und lese gerne in alle Richtungen. Einen Roman, der etwa 1800 Jahre alt ist, kommt dennoch nicht so oft auf meine Leseliste. Dass Daphnis und Chloe kein sperriger alter Text ist und sich äußerst geschmeidig liest, ein wunderbares Setting hat und mentaler Urlaub ist, das hat mich dann aber doch sehr überrascht.

Daphnis und Chloe gemalt von Louise Marie-Jeanne Hersent-Mauduit

Dieser Liebesroman wird der „Bukolische Dichtung“ zugeordnet, also einer Erzählung über Hirten, einem Thema das wohl im 2. Jahrhundert ziemlich angesagt war. Die titelgebenden Figuren, der 15 jährige Daphnis, ein Ziegenhirte und die zwei Jahre jüngere Chloe, eine Schafhirtin, lassen ihre Herde jeden Sommer gemeinsam weiden. Beide werden sehr naiv dargestellt und kommen sich im Verlauf der Erzählung immer näher und verlieben sich ineinander. Ganz im Stile eines Entwicklungsromans, denn die beiden jungen Protagonisten machen ihre ersten Erfahrungen und sind beide ein noch ziemlich unbeschriebenes Blatt. Die Handlung umfasst etwa ein Jahr.

Das Ganze spielt auf der griechischen Insel Lesbos und Longos beschreibt wirklich wunderbar und mit wenigen Sätzen diesen wunderschönen Schauplatz. Das hat etwas von einem alten Gemälde und ist sehr pittoresk, wie Daphnis und Chloe zusammen inmitten der wunderschönen Natur sitzen, sich lieben, dort in der Ferne das weite und blaue Meer, im Schatten alter Eichen, unter den wachsamen Augen der Nymphen, des Pans und natürlich des Gottes Eros, dem griechischen Gott der Liebe, der die viel gezeichnete Gestalt des Amors hat. Das hat alles die Stimmung von warmen Sommernächten und eine ganz dichte Atmosphäre hervorgerufen. Auch Goethe hat seinerzeit von diesem schönen Buch und genau dieser wunderbaren Stimmung geschwärmt, wohl auch in emotionaler Rückschau auf seine Italienreisen.

Der Roman liest sich sehr angenehm, ist weder in Versen noch in lyrischer Form abgefasst, sondern wartet mit ganz gewohnter Prosa auf. Die Lektüre ist also sehr mühelos und die schlichten Sätze passen sehr gut zu den naiven Protagonisten und der reinen und unschuldigen Liebe, die Longos hier darstellt.

Ein Gott, liebe Kinder, ist Eros, jung und schön und geflügelt. Deshalb freut er sich auch an der Jugend, jagt der Schönheit nach und lässt den Seelen Flügel wachsen. Seine Macht ist größer als die des Zeus. Er herrscht über die Elemente, er herrscht über die Gestirne, er herrscht über seine Mitgötter; nicht einmal ihr habt so viel Macht über eure Ziegen und Schafe. (S. 48)

Der Manesse Verlag legt hier eine komplett neue Übersetzung des vielfach ausgezeichneten Übersetzers Kurt Steinmann vor. Dieser hat sich mit seinen Neuübersetzungen von Homers Odyssee und Ilias bereits einen Namen gemacht. Es gibt ja eine ganze Reihe an Übersetzungen dieses Romans. Laut Nachwort hat das Original einen ganz eigenen Rhythmus, der nur bei ein paar wenigen Übersetzungen ins Deutsche übernommen wurde. Ich habe mich beim Lesen gefragt, wie nahe das wohl ans altgriechischem Original heran reicht. Wenn man bedenkt, wie alt der Text ist, dann liest sich diese Ausgabe erstaunlich gut und angenehm. Ich habe mich gefragt, ob das an Kurt Steinmanns Übersetzung liegt und diese mit der kostenlosen Ausgabe des Buches für den Kindle Reader verglichen, die von Friedrich Jacobs 1832 übersetzt wurde und diese wirkt zwar von der Wortwahl etwas altbackener, ist aber genauso leicht zu lesen. Die alten Griechen hatten es schon vor 1800 Jahren einfach drauf und waren mit ihrer freizügigen Unterhaltungsliteratur ihrer Zeit weit voraus.

Über den Autoren Longos ist hingegen nahezu nichts bekannt. Lediglich der Roman und seine Bezüge, sein Stil und die darin enthaltenen Beschreibungen zur Insel Lesbos lassen eine zeitliche Einordnung zum Ende des 2. Jahrhunderts zu. Wer Longos war, wo er gelebt hat und ob Longos überhaupt sein korrekter Name war, ist unbekannt. Scheinbar gibt es nur zwei Abschriften von seinem Buch.

Daphnis und Chloe (Marmor, Louvre) von Jean-Pierre Cortot

Die Geschichte und das Thema war aber scheinbar nicht nur bei Goethe sehr beliebt und hat zahlreiche Adaptionen erlebt. Maurice Ravel hat ein Ballettstück zu dem Roman geschrieben. Rousseau hat die Geschichte zu einer Oper verwurstet (ebenso noch andere Komponisten). Natürlich gibt es Verfilmungen bzw. war Vorlage und Inspiration für das Kino. Und auch die bildenden Künste haben dieses Buch für sich entdeckt.

Als der Manesse Verlag ein Redesign ihrer Klassiker der Weltliteratur vor knapp zwei Jahren angekündigt hat, war ich noch hin- und hergerissen (hier habe ich damals darüber geschrieben). Seitdem hat die Reihe mehrfach Zuwachs bekommen und einige Ausgaben konnten mich von ihrer Gestaltung sehr begeistern. Beispielsweise Das Adelsgut von Turgenjew.

Diese Ausgabe ist auch wieder so richtig gut gelungen. Die Farbkombination aus dem Blau und dem Gelb harmoniert einfach perfekt. Auch hier kommt wieder eine Fadenbindung in dem Blau des Umschlags zum Einsatz und mir gefällt auch der Schutzumschlag richtig gut. Das ganze Buch strahlt diese Mischung aus Liebesroman und Altertümlichkeit aus, wozu besonders die zwei gezeichneten Figuren auf dem Umschlag stark beitragen..

Mit seinen 192 Seiten wirkt es sehr klein und kompakt und ist tatsächlich recht schnell gelesen. Von seiner gesamten Erscheinung gefällt es mir sehr gut. Nur der Leineneinband fehlt mir noch immer seit dem Manesse Relaunch. Aber insgesamt ist es ein hochwertiges und hervorragend verarbeitetes Buch, das sich auch als Geschenk sehr gut eignet.

Fazit: Obwohl dieser Liebesroman schon über 1800 Jahre alt ist, konnte mich die Geschichte, die wunderschöne Landschaft auf der griechischen Insel Lesbos und die schlichte und angenehme Sprache sehr begeistern. Über dem ganzen Buch schwebt ein Hauch von Antike, von lauen Sommernächten, dem Zauber der alten griechischen Mythen und natürlich der naiven und reinen ersten Liebe. Alles eingebettet in der ursprünglichen Natur ist die Lektüre wunderbar um abzuschalten und in eine pittoreske Welt einzutauchen, die an Szenen alter Gemälde erinnert. Dazu trägt auch die gelungene Gestaltung mit dem prächtigen Schutzumschlag und den sehr stimmigen Farben bei. Ein Buch, dass ich nicht das letzte Mal zur Hand genommen habe.

Buchinformation: Daphnis und Chloe • Longos • Manesse Verlag • 192 Seiten • ISBN 9783717524861

4 Kommentare

  1. Hallo Tobi,

    für Romanzen bin ich ja sehr selten zu gewinnen, aber was du über die Stimmung und Landschaft in der Geschichte schreibst, hat mich nun doch neugierig gemacht. Da ich die alten griechischen Geschichten sowieso besser kennenlernen wollte, passt dieses Büchlein momentan auch gut.

    Was die leichte Verständlichkeit betrifft, hatte ich den gleichen Eindruck auch bei Musaios‘ „Hero und Leander“. Wie du dachte ich zunächst, dass das vor allem der Übersetzung zu verdanken wäre. Bei näherer Betrachtung wurde mir dann aber bewusst, dass es auch an der Art des Erzählens lag: die ganze Handlung ist aufs Wesentliche reduziert, es gibt keine langen Beschreibungen oder sonstige Ausschweifungen. Allerdings bleiben dadurch auch die Figuren recht oberflächlich gezeichnet.

    Viele Grüße
    Kathrin

  2. Das Buch habe ich schon vor einiger Zeit mal auf meinem Kindle gelesen. Das ist natürlich nicht so schön wie diese Ausgabe hier. Aber ich fand die Geschichte damals auch sehr lesenswert und bin schon am Überlegen, ob mein Buchregal davon (demnächst) nicht vielleicht auch profitieren soll. 🙂

  3. Ich habe das Buch Anfang dieses Jahres im Rahmen einer Lehrveranstaltung gelesen. Passagen im Original, den Rest in einer etwas älteren deutschen Übersetzung (zweisprachiges Buch). Es ist sehr angenehmes Griechisch, die Kunst liegt in der Einfachheit und im Inhalt. Denn der Roman ist bei weitem nicht simpel, es wurde sehr viel literarisches adaptiert und mit dem Vorwissen der antiken Leser gespielt. So finden sich die Gegenüberstellungen Gott, Mensch und Tier, Stadt und Land, männlich und weiblich hier doch in recht komplizierten Beziehungen wieder. Man kann sich ein Bild von der damaligen Gesellschaft, vor allem aber von ihren Vorstellungen machen.
    Ich werde Daphnis und Chloe mit Sicherheit auch wieder lesen und mir werden noch viel mehr Dinge auffallen, die mir beim ersten Lesen durchs Netz gerutscht sind.
    Ein wirklich tolles Buch

    Herzliche Grüße

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