Das Quartett der Liebenden • Carlos Franz

Die letzten Wochen habe ich eher selten zum Buch gegriffen. Im Leben gibt es verschiedene Phasen und in die Gegenwärtige passt für mich eher Musik und weniger Geschriebenes. Ganz ohne Literatur geht es natürlich nicht und so habe ich in letzter Zeit immer wieder an Das Quartett der Liebenden von Carlos Franz gelesen. Gerade der lange Zeitraum und auch die Musik, der ich dabei immer gelauscht habe, hat es für mich zu einem speziellen und auch rührenden Leseerlebnis gemacht. Der Roman ist in seiner gesamten Form ein angenehm gewöhnliches und gleichzeitig unkonventionelles Buch, das ich euch heute näher vorstellen möchte.

Der Inhalt des Buches ist schnell erzählt. Es geht darin um den Augsburger Maler Moritz Rugendas, der auf der Suche nach Motiven Südamerika bereist und dabei auch in den Genuss einiger Liebschaften kommt. In Chile begegnet er der schönen Carmen Arriagada, mit der er eine Liaison beginnt. Auch Charles Darwin befindet sich zu dieser Zeit in Valparaíso und es kommt zu einer klassischen Dreiecksgeschichte. Der Roman stellt zwei unterschiedliche Menschen gegenüber: Den leidenschaftlichen Maler, der sich ganz den Gefühlen hingibt und im Gegenzug den nüchternen und wissenschaftlich denkenden Darwin, der einen sehr rationalen Blick auf das Gefühl der Liebe hat.

Mich hat der Stil von Carlos Franz schnell in den Bann gezogen. Alleine schon die Erzählperspektive fand ich sehr einfallsreich und gelungen. Er schreibt in Du-Form und so liest sich das Buch, als ob die schöne Carmen rückwirkend die Geschichte ihrem geliebten Maler Rugendas erzählen würde. Was dann auch tatsächlich der Fall ist. Als Leser hat man also das Gefühl, dass die ganzen Geschehnisse schon vergangen sind und so trägt der Roman, von der ersten Seite an, den Schwermut schöner aber vergangener Tage in sich. Darüber hinaus gewährt Franz einen sehr einfühlsamen Blick auf das Innenleben seines Protagonisten. Es fällt einem sehr leicht, zusammen mit Rugendas die Liebe und das Geschehen zu erleben. Auch wenn der eigentliche Plot nun nicht außergewöhnlich ist, konnte mich dieser hohe emotionale Wert während der ganzen Lektüre fesseln.

Als Kulisse dient das wunderschöne Lateinamerika, mit all seinen Reizen und seiner ursprüngliche Natur, das zu diesen Zeiten auch schon von Alexander von Humboldt bereist wurde. Tatsächlich wurde Rugendas kurzzeitig von diesem engagiert, wobei der Maler detailgetreue Abbildungen der Regionen wiedergegeben hat, die Humboldt schließlich in seine wissenschaftlichen Werke aufgenommen hat. Der Roman beginnt aber genau da, wo sich Rugendas von Humboldt, und seiner Forderung nach einer realistischen Kunst, abgewendet hat, um seinen ganz eigenen Stil zu entwickeln. Auf jeden Fall gelingt es Carlos Franz hervorragend, diese Kulisse in Szene zu setzen. Mir haben die eingeflochtenen Beschreibungen der wunderschönen Natur sehr gefallen.

Ein ockerfarbenes Licht überschwemmte die ungeheure Weite des Tals. Der Rio Aconcagua schlängelte sich zum Pazifik hin, dick und rötlich wie ein Lavastrom. Unterdessen ging der Himmel langsam in ein dunkles Indigo über, durchzogen von kupferfarbenen Streifen und von den ersten Sternen gepunktet. (S. 370)

Zentrales Element ist die Liebesgeschichte zwischen Rugendas und Carmen, sowie dann auch Darwin, der dann im Laufe der Geschichte ebenfalls zu einen Liebhaber der wunderschönen Südamerikanerin wird. Dabei spielt der Konflikt zwischen der sinnlichen Leidenschaft und den nüchternen Wissenschaftler immer wieder eine Rolle. Gerade Carmen fand ich sehr schön dargestellt, wobei Carlos Franz dabei auch sehr intime Szenen darstellt. Da war ich oft hin- und hergerissen, ob das in der Ausführlichkeit notwendig gewesen wäre. Im späteren Verlauf wurde für mich klar, dass genau dieser detaillierte Blick durchaus seine Berechtigung hat. Dadurch wird dieser zentrale Konflikt zwischen den unterschiedlichen Männern, aber auch die Leidenschaft Rugendas so richtig deutlich. Auch der deutsche Titel „Das Quartett der Liebenden“ wird zum Ende hin klar und fand ich sehr gelungen gewählt.

Besonders die Dialoge habe ich als sehr gut empfunden. Ob es das von Carmen inszenierte Streitgespräch betrifft, das Darwin und Rugendas vor der gehobenen Gesellschaft führen. Oder auch die Begegnungen zwischen Rugendas und Carmen: Die Gespräche konnten mich sehr fesseln, weil sie nur bedingt vorhersehbar sind und dabei die ganz individuellen Züge der Charaktere zum Ausdruck kommen. Gerade Carmens Reaktionen sind oft unvorhersehbar. Auch die Szenen, die Rugendas im Verlauf für sich durchlebt, werden sehr schön dargestellt, sind gut nachvollziehbar und bringen die einzelnen Figuren sehr gut voran. Ich habe Carlos Franz die Entscheidungen und Gedanken seiner Charaktere abgekauft, für mich haben sie sich echt angefühlt. Eine Ausnahme bildet hier das Ende, da merkt man dann doch wieder, dass es einfach eine erdachte Geschichte ist. Aber das kann man verzeihen, denn es macht das Buch zu einer runden Sache und gibt ihm einen angenehmen emotionalen Ausklang, der mich berührt zurückgelassen hat.

Im Nachwort weißt Carlos Franz darauf hin, dass die Geschichte reine Fiktion ist. Die Charaktere gab es wirklich und auch Moritz Rugendas hatte tatsächlich eine Affäre mit Carmen. Diese hat er auch proträtiert, wobei sie auf dem Bild nicht der Beschreibung von Carlos Franz gerecht wird. Da wird sie als absolute Rakete beschrieben und ist optisch der Knaller. Klar, da muss man dem historischen Kontext gerecht werden. Balzacs Frauen hab ich mir auch immer als super attraktiv vorgestellt, schaut man sich dann aber Fotografien und Bilder aus dieser Zeit an, dann war das Schönheitsideal natürlich ein anderes.

Moritz Rugendas Werdegang im Buch scheint auch sehr nah an der Realität zu sein. So sind sozusagen die Details seiner Liaison mit Carmen, sowie die Begegnung mit Darwin rein fiktiv. Eigentlich mag ich das nicht besonders gerne, wenn eine fiktive Geschichte mit historischen Figuren konstruiert und Realität und Erdachtes gemischt werden. Aber in dem Buch ist das schon sehr klar erkennbar. Auch die Liebesaffäre zwischen Rugendas und Carmen hat einen echten Hintergrund. Nach seiner Abreise aus Chile hatten sie noch 16 Jahre lang einen regen Briefaustausch, wobei es sich hier um Liebesbriefe handelte. Diese wurden auch veröffentlicht und so gilt Carmen Arriagada als eine der ersten Schriftstellerinnen Chiles, wobei sie als gebildet und politisch sehr informiert galt. Leider habe ich keine deutsche Ausgabe der Liebesbriefe gefunden. Das wäre schon auch interessant die einmal zu lesen.

Die Ausgabe der Büchergilde finde ich sehr gelungen. Sie hat sogar eine Fadenbindung und das Format des Buches fühlt sich sehr gut an. Auch das etwas kürzere Umschlagpapier finde ich sehr hübsch. Ob die Abbildung auf dem Cover auch von Rugendas gezeichnet ist, habe ich nicht herausgefunden. Auf jeden Fall sieht sie sehr nach den Zeichnungen aus, die ich von ihm gefunden habe. Insgesamt ein schön gestaltetes kleines Buch, das ich sehr gerne in die Hand genommen habe.

Fazit: Carlos Franz präsentiert hier eine sehr schöne Liebesgeschichte, die vom Inhalt nicht außergewöhnlich ist, die aber sehr unterhaltsam ist, mit angenehm interessanten Dialogen aufwartet, eine außergewöhnliche Erzählperspektive nutzt und die Leidenschaft des Protagonisten in einer wunderschönen Kulisse des ursprünglichen Südamerikas zum Leben erweckt. Der Roman hat mich durchgängig gut unterhalten und konnte auch von seiner Aufmachung überzeugen. Ein sehr schönes und empfehlenswertes Buch.

Buchinformation: Das Quartett der Liebenden • Carlos Franz • Büchergilde • 480 Seiten • ISBN 9783763271375

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