Memoiren eines Irren • Gustave Flaubert

Mit Madame Bovary ist Gustave Flaubert ein literarisches Meisterwerk gelungen, das ich mehrfach verschlungen und sehr genossen habe. Das Buch ist weitläufig bekannt und erfreut sich noch immer großer Beliebtheit. Und das ganz zu Recht, denn der Roman ist in jeder Hinsicht faszinierend, sowohl vom Stil, von den wunderbaren Sätzen und natürlich seiner Protagonistin. Madame Bovary habe ich in der sehr hochwertigen Übersetzung von Elisabeth Edl gelesen und seitdem hat sie nach und nach weitere Bücher von Flaubert neu ins Deutsche übertragen. Nach den vielen schönen Stunden mit Emma war für mich ganz klar, dass ich jedes davon haben möchte. Vor wenigen Wochen erschien wieder eine Neuübersetzung und zwar Memoiren eines Irren, einer Erzählung, die Flaubert in jungen Jahren, mit gerade einmal 16 Jahren verfasst hat. Was den Leser erwartet und ob sich die Lektüre lohnt, das erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Ein junger Mann verbringt seinen Urlaub in einem Seebad und begegnet dort einer Frau, in die er sich sofort verliebt. Leider ist sie zehn Jahre älter und verheiratet, was die Leidenschaft allerdings nicht schmälert. In diesem ersten Roman verarbeitet Flaubert eine Begegnung, die sich in seinem Leben wohl genau so zugetragen hat und die ihn als Mensch, besonders aber auch sein literarisches Schaffen stark beeinflusst hat.

Ich gebe zu, ich habe den Klappentext nur angelesen, genau genommen habe ich davon das gelesen: „Ein junger Bursche beobachtet unter den Sommergästen in Trouville eine Frau, die ihn fasziniert. Als er ihren Bademantel vor der Flut rettet und zurückbringt, verliebt er sich auf der Stelle. Maria jedoch ist zehn Jahre älter als er…“. Wer Madame Bovary gelesen hat weiß, das reicht vollkommen, um sich für das Buch zu entscheiden. Flaubert ist ein französischer Autor des 19. Jahrhunderts, es ist also absolut klar, dass es ordentlich zur Sache geht. Da weinen die Männer, sie werfen sich den Frauen zu Füßen und die Leidenschaft quillt über. Tatsächlich ist das bei dem Buch auch der Fall. Flaubert dreht von der ersten Seite an, zumindest hinsichtlich Emotionalität, ordentlich auf. Da kann man sich auf die Franzosen verlassen, besonders als trockner prosaischer rationaler Deutscher ist das für mich natürlich jedes Mal wieder ein Genuss zu lesen.

Tatsächlich hat mich das Buch dann aber etwas enttäuscht. Es war natürlich nicht zu erwarten, hier einen zweiten Roman in der Qualität von Madame Bovary zu bekommen. Vom Umfang her ist die Erzählung aber wirklich dünn. Gerade einmal 95 Seiten umfasst sie und der Rest des Buches wurde mit Briefen aufgefüllt, die Flaubert von 1830 bis 1852 verfasst hat und den Schaffensprozess seiner Werke sowie den Autor selbst ein wenig greifbarer macht. Entsprechend schwach ist die Geschichte auch hinsichtlich seines Plots. Es passiert nicht sehr viel. Ich hatte gehofft es kommt zu leidenschaftlichen Begegnungen, zu Verwerfungen, zu rasender Verliebtheit, die in mindestens einem Skandal mündet. Leider findet man hiervon nicht viel und es bleibt bei der Innensicht, bei der Beschreibung von Flauberts Emotionen. Die sind dabei natürlich sehr feurig und der junge Flaubert glänzt hier mit sehr schönen Sätzen, mit einer sehr desillusionierten misanthropischen Perspektive, was sehr schön zu lesen ist. Man merkt sowohl an der Sprache, als auch an den inhaltlichen Elementen, wie bereits hier die Madame Bovary stellenweise aufblitzt. Wenn er beispielsweise beschreibt, wie er sich während seiner College-Zeit bereits der romantischen Literatur hingegeben hat und Romane wie Die Leiden des jungen Werthers ihn emotional berührt haben. Das erinnert sehr an Emma: „Sie ließ sich also fortschwemmen von Lamartineschen Mäandern, lauschte den Harfen auf den Seen, allen Gesängen sterbender Schwäne, allen herabfallenden Blättern, den reinen Jungfrauen, die gen Himmelfahren, und der Stimme des Ewigen, die erschallet in den Tälern.“ (Madame Bovary).

Neben der kurzen Erzählung sind auch zahlreiche Briefe in dem Buch zu finden, die Flaubert an ihm nahestehenden Menschen geschrieben hatte, allen voran seinem Freund Ernest Chevalier. Ich fand die Briefe ganz unterhaltsam und zusammen mit den hervorragenden Anmerkungen geben sie einen sehr guten Einblick in Flauberts künstlerisches Schaffen, aber auch in seine persönlichen Beziehungen. Er war schließlich auch in guter Gesellschaft und verkehrte beispielsweise mit George Sand (mit der auch Balzac intensiv korrespondiert hat) oder begegnete auch Victor Hugo.

Weiterführend gibt es ein ausführliches Nachwort zu Flaubert von Wolfgang Matz, dem Lektor des Buches. Von ihm habe ich bereits Die Kunst des Ehebruchs gelesen, in dem er die großen Romane über die Ehebrecherinnen analysiert und auf sehr angenehme Weise erläutert und zugänglich macht. Das Nachwort hat mir gut gefallen, es gibt ebenfalls einen ganz guten Einblick in Flauberts künstlerischen Werdegang. So erwähnt Matz, dass Flaubert einer der ersten Autoren war, die durch ihren Stil die Geschichte geformt haben und weniger durch ihre eigentlichen Plot und dass es Flaubert genau darum ging. Der Leser erfährt, wie Flaubert, ausgehend von den Memoiren eines Irren immer wieder das Thema der Verliebtheit zu einer vergebenen Ehefrau in seinen Geschichten aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Das Nachwort leidet aber auch an dem klassischen übertriebenen Analysieren, dem die meisten Intellektuellen unterliegen, die zu lange an einem Thema herum geknetet haben. Flauberts erste Erzählung war das Ergebnis von einer hübschen Frau, die ihn geflashed hat. Und auch in seinen Briefen offenbart sich mir nun nicht der Genie, sondern jemand, der es liebt zu schreiben, der diese Handwerkkunst perfektioniert hat und der sich eben gerne der Wollust hingibt. Flauberts Romane sind großartig, aber ein Balzac oder Dumas ist er für mich nicht. Auch wenn allgemein behauptet wird, dass er als Begründer des modernen Romans gilt, was natürlich bei mir nicht so zieht, denn literarisch bin ich irgendwo im 19. Jahrhundert hängen geblieben.

Das Buch selbst glänzt wieder mit der für die Hanser Klassiker üblichen hervorragenden Ausstattung. Alleine die feine Typographie weckt in mir mittlerweile die Erinnerung an so viele wunderbare Romane, die ich gelesen habe, dass alleine das schon Balsam für die Seele ist. Die Anmerkungen von Elisabeth Edl sind wieder sehr aufschlussreich und es ist ein Vergnügen immer wieder darin zu lesen und mehr über Flaubert und die Hintergründe zu der Erzählung zu erfahren. Vom Gesamtpaket lässt das Buch wieder keine Wünsche offen und ich werde nicht Müde das einfach immer wieder zu den Hanser Klassikern zu sagen.

Fazit: Flauberts erster kurzer Roman konnte mich gut unterhalten, hat mich aber nicht begeistert. Die Sprache ist sehr schön, leidenschaftlich und typisch für die emotionalen französischen Autoren der damaligen Zeit. Die Story ist dann aber doch sehr flach und bevor es richtig los geht, ist es auch schon wieder vorbei. Die Briefe und das Nachwort sind informativ und geben einen sehr guten Einblick in Flauberts Entwicklung als Autor und gewähren einen fragmentarischen Einblick in sein Leben. Die Ausgabe selbst kommt wieder in der üblichen wirklich hervorragenden Ausstattung, die allen Hanser Klassikern eigen ist und die ich sehr schätze. Insgesamt ist das Buch eine kurzweiliges Lesevergnügen, das sich wohl eher an Flaubert-Fans richtet. Wer von Flaubert bisher nichts gelesen hat, dem ist auf jeden Fall Madame Bovary zu empfehlen. Wer dann auch Lehrjahre der Männlichkeit von ihm gelesen hat und nicht genug von Flaubert bekommen kann, dem ist dieses Buch sehr zu empfehlen. Wer wie ich alle neu übersetzten Flaubert-Romane von Elisabeth Edl besitzt, der sollte sich auch unbedingt Memoiren eines Irren holen, denn es rundet die kleine Sammlung hervorragend ab.

Buchinformation: Memoiren eines Irren • Gustave Flaubert • Hanser Verlag • 240 Seiten • ISBN 9783446268456

6 Kommentare

  1. Da ich Zeit meines Lebens Flaubert für einen der Größten halte, alle seine Romane gelesen habe,auch seine Bruefwechsrl mit den Brüdern Goncourt, mit Turgenjew, mit George Sand und Maupassant, finde ich, dass manches, das Sie über Flaubert schreiben, ihm nicht gerecht wird. Flaubert ist zu allererst ein Künstler, das heißt , ihm geht es nicht um Plots und Unterhaltung etc. und man kann ihn sowohl künstlerisch als auch historisch nicht Balzac gegenüberstellen, selbst wenn wir die Romane Balzacs verschlingen sollten. Flaubert macht Musik, er malt, Rhythmus und Form spielen bei ihm eine Hauptrolle.
    MADAME BOVARY ist zum Beispiel ein Roman , dessen Thema Flaubert als einen Dreckklumpen bezeichnet, den er durchkneten und formen musste, damit er zu dem Meisterwerk wurde, das jeder als ein solches erkennen muss, wenn er einen Sinn für Literatur und Kunst besitzt. Dass dann auch INHALTLICH eine so radikale wie sensible Geschichte daraus hervorgeht, liegt gerade daran, dass er diesen „Dreckklumpen“, diese miese Provinzgeschichte, der anders als den exotischen Stoffen anderer Texte Flauberts nichts Verlockendes anhaftete, zu einem Kunstwerk formte, in einen Goldklumpen verwandelte durch die Technik mitleidsloser Beschreibung, so dass als unerwartete Folge hier auf eine unvergleichbare Weise das Scheitern einer Frau zur gesellschaftlichen Anklage wird.
    Die auch von Elisabeth Edl neu übersetzte EDUCATION SENTIMENTALE ist auch ein großartiges Werk , das bis heute oder gerade in unseren Tagen an Aktualität gewinnt.
    Um vielleicht Flauberts künstlerische Intention zu verdeutlichen, sei auf eine Bemerkung von ihm in einem seiner Briefe verwiesen, wo er sagt, dass er am liebsten ein Buch „über nichts“ schreiben würde , was natürlich nicht geht, da das Material Sprache immer mit Bedeutungen verknüpft ist.

    1. Lieber Michael,

      vielen lieben Dank für Deinen Kommentar und Einschätzung, die zu lesen sehr interessant ist und die mir auch sehr gut widerspiegelt, wie meine Buchbesprechung wirkt.

      Gerade der geschliffene Stil Flauberts wird ja allgemein gelobt und ich glaube selbst jemand, der ohne Kontext einfach zu Madame Bovary greift und nur ein mäßiges Gespür für Literatur hat, kann sehr leicht Gefallen an diesen schönen Sätzen finden. Mein Vergleich mit Balzac ist auf jeden Fall eine sehr persönliche Einschätzung, auch wenn ich das nochmal deutlicher hätte schreiben können. An Flauberts Kunstfertigkeit kann man nun wirklich nicht zweifeln und ich habe jeden seiner Romane genossen und ohne Zweifel gehört er zu den ganz ganz dicken Fischen im Teich. Dein Vergleich er macht „Musik“ finde ich sehr gelungen, das trifft es sehr gut. Für mich ist Balzac hingegen der große Meister, seine Romane haben mich berührt und ich habe so viele davon verschlungen, dass da auch Flaubert nicht im Ansatz ran kommt. Einen Vergleich zwischen Balzac und Flaubert könnte man auf viele Arten angehen, was wohl aber nur im literaturwissenschaftlichen Sinn von Bedeutung ist. Meine Perspektive ist die eines Lesers, der hochwertige Kost möchte, aber auch Unterhaltung sucht. Was Unterhaltung angeht ist „Madame Bovary“ ein Knaller, „Memoiren eines Irren“ hingegen nicht. Wobei die Briefe und das ausführliche Nachwort genau das schön darstellen, was Du schreibst: Flaubert ging es ganz stark um den Stil und nachrangig um die Story. Der Brief, wo er schreibt, er würde gerne über nichts schreiben ist auch enthalten, was sehr für die sorgfältige Zusammenstellung dieses Buches spricht. Daher auch meine abschließende Einschätzung: Wer in den vollen Genuss Flauberts kommen will, sollte erst seine beiden großen Romane lesen und dann zum Ausklang zu diesem Buch greifen.

      Liebe Grüße und herzlichen Dank für Deine wertvolle Anmerkung!
      Tobi

  2. Ach, ich mag solche Geschichten. Wer kennt´s nicht? Da läufst du deine Runde am Meer, siehst ne Frau – schöner als jede andere – und kriegst sie ne Zeit lang nicht mehr aus dem Kopf. Doch, das Buch werde ich kaufen und mit Vergnügen lesen. Ein Hoch auf die Frauen! :-))

  3. Als begeisterter Leser von Madame Bovary und Lehrjahre der Männlichkeit waren die Memoiren eines Irren für mich persönlich eine Enttäuschung. Nicht umsonst hielt Flaubert diesen „Roman“ zu Lebzeiten unter Verschluss. Ich verstehe hier auch das Vorgehen des Hanser Verlages nicht, in Kombination mit Novembre und der ersten Fassung der Education sentimentale wäre das sicherlich interessant gewesen, als Einzelveröffentlichung kann ich dieser Fingerübung leider nichts abgewinnen. Einzig das gelungene Nachwort von Wolfgang Matz und die Briefe rechtfertigen den Kauf des Buches. Ich stimme dir also zu, zuerst sollte man die oben genannten Romane lesen und wenn die einschlagen, könnte man sich an die Memoiren heranwagen.

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