Eduard von Keyserling

Die Wahl der passenden Urlaubslektüre treffe ich immer mit viel Sorgfalt und meistens ändert sich diese auch mehrmals, bis ich die perfekte Auswahl getroffen habe. So natürlich auch in diesem Jahr und nachdem ich mehrmals meine Pläne über den Haufen geworfen habe, ist mein Entschluss auf Eduard von Keyserling gefallen. Auf ihn bin ich immer wieder gestoßen, habe ihn auch von anderen Buchbloggern immer mal wieder empfohlen bekommen und nun hatte ich mir ein kleines Bücherpaket von ihm in den Koffer gepackt. Im Manesse Verlag ist ein wunderbarer Schuber mit drei Romanen von Eduard von Keyserling erschienen. Perfekte kleine aber bibliophile Büchlein für die Reise und vom Thema auch eine sehr passende Lektüre für den Strand. Ob die Wahl gut war, das erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Der Schuber kommt mit drei von Keyserlings Romanen: Wellen, Fräulein Rosa Herz und Dumala. Das deckt vom Zeitrahmen ganz gut sein Schaffen ab und man bekommt mit dieser Auswahl ein hervorragendes Bild von seinem Stil und seiner Art zu erzählen.

Keyserling ist nicht unbedingt einer der großen und bekannten Autoren der Weltliteratur. 1855 im heutigen Lettland geboren, ist der Spross aus dem Landadel mit seinen Romanen und Novellen als impressionistischer Schriftsteller in literarischer Erinnerung geblieben. Bekannt ist er für seine weiblichen Protagonistinnen, die gegen die Konventionen des Landadels und der damaligen Gesellschaft rebelliert haben und sich gegen die ständische Abgrenzung und gesellschaftlichen Normen aufgelehnt haben. Seit 1908 verließ er, erblindet an seiner Syphilis-Erkrankung leidend, kaum noch das Haus. Seine letzten Werke (darunter Wellen) diktierte er seinen Schwestern, die mit ihm zusammen lebten. Von dem, was ich so gelesen habe, wurden seine Werke nie so richtig gewürdigt, selbst sein Grab im alten Münchner Nordfriedhof wurde erst 2011 wieder bezeichnet. Meiner Ansicht nach ein echt großer Fehler und es ist dem Manesse Verlag sehr hoch anzurechnen, dass sie solche Schätze wieder einem größeren Publikum zugänglich machen.

Der Bezug auf den Impressionismus (literarisch der kurze Zeitraum von 1890 bis 1910) ist ihm besonders aufgrund seiner Naturbeschreibungen zugefallen. Die sind tatsächlich sehr herausragend und er beschreibt meisterhaft die Eindrücke der Natur, das Meer bis hin zu den Lichtstimmungen und Landschaften. Wobei ich ihn vom Stil eher als einen Realisten empfunden habe, der seine Erzählungen mit ausführlichen Beschreibung von Momenteindrücken angereichert hat. Dadurch entstehen sehr gelungene Stimmungsbilder, die wirklich genussvoll zu lesen sind.

Der Himmel wurde jetzt farbig, die Wolken am Horizont bekamen dicke goldene Säume, und eine Welle von Rot übergoss den Himmel. Auch in das Graugrün des Meeres mischten sich blanke Fäden, und die Höhlungen der brechenden Wellen am Strande füllten sich mit Rosenrot, und plötzlich begann das Meer weiter dem Horizonte zu ganz in Rotgold zu brennen. (S. 51, Wellen)

Wobei er mit diesen Naturbeschreibungen nicht unbedingt die Emotionen der Figuren verstärkt, wie das viele andere Autoren wie z.B. Maupassant immer mal wieder gemacht haben. Sie reichern seine Geschichten mit einer ganz eigenen Atmosphäre an und seine schönen Schilderungen konnten immer ein sehr genaues Bild von den Szenen in meiner Vorstellung hervorrufen. Das ist sehr schön zu lesen und konnte mich sehr begeistern. Gerade bei Wellen hat man das Gefühl selbst am Ostseestrand zu stehen und das Meer rauschen zu hören. Wobei das vielleicht auch daran lag, das ich das Buch am Strand in meiner Strandmuschel gelesen habe, was das Leseerlebnis nochmal echt aufwertet.

Was seine Werke alle gemein haben, ist seine Gesellschaftskritik, die zumeist eher subtil zutage tritt. Indem er die Perspektive zwischen den einzelnen Figuren wechselt und deren Gedanken und besonders ihre Art zu sprechen und sich mitzuteilen beschreibt, entsteht eine ganz eigene Art von Ironie. Die Figuren bleiben in dem erwarteten Rahmen und stellen in Stände deckende Kleinbürger oder Adelige dar, die fest in ihren alten Strukturen stecken und für die geringste Abweichung ihrer Normen keinerlei Toleranz haben. Auch hinsichtlich der Rechte der Frau zu dieser Zeit geben seine Bücher ein erschreckendes Bild und zeigen, wie wertvoll die Entwicklung in dieser Hemisphäre diesbezüglich ist. Betrachtet man auch, wie stark die kulturelle Prägung der gesellschaftlichen Strukturen ist und wirkt, so muss man feststellen, dass Keyserlings Werke aktuell wie nie sind.

Interessant fand ich auch, dass mich das Schicksal seiner Figuren nie so richtig gepackt haben. Es ist spannend, dem Verlauf seiner Erzählungen zu folgen, man möchte wissen, was passiert, aber man fiebert nie so richtig mit den Protagonisten mit. Man erkennt die Tragik, auch die Ausweglosigkeit der Situation ist immer deutlich spürbar.

Wellen

Das erste Buch, dass ich von ihm gelesen habe, ist die Novelle Wellen. Darin geht es um Doralice, eine ehemalige Gräfin, die mit dem Maler Hans Grill durchgebrannt ist und der adeligen Gesellschaft so den Rücken gekehrt hat. Die Geschichte beginnt damit, wie Doralice mit Hans am Ostseestrand zusammen lebt und wie andere Figuren, primär aus adeligen Kreisen und den höheren Ständen auf die gefallene Frau treffen. Natürlich ist Doralice Scheidung etwas, das damals gar nicht ging, aber gleichzeitig ist sie eine sehr attraktive junge Frau, die eine starke Anziehung auf Männer, aber auch Frauen ausübt. Unterm Strich ist sie zwar gesellschaftlich geachtet, aber alle sind sehr heiß auf die schöne Blondine und wollen sie klar machen.

Das Ensemble aus den einzelnen Akteuren ist hervorragend gewählt, das ist sehr gelungen und unterhaltsam. Genau diese Doppelmoral aus dem engstirnigen Denken der Menschen und dem Wirken der Natur machen den spannenden Kern dieses Romans aus. Besonders das Meer ist hier beständig präsent und wird meisterhaft mit seinen verschiedenen Lichtstimmungen geschildert. Das Meer ist definitiv das Zentrum des Romans und wer die Klassiker aus dem Mare Verlag mag, der wird auch dieses Buch lieben. Die verschiedensten Wetterlagen, Färbungen des Wassers, die Atmosphäre die zwischen den Dünen aufkommt, alles ist einfach voll Liebe zur Natur und zum Meer. Das bildet einen ganz starken Kontrast zum beschränkten Walten der adeligen Badegästen, denen die einfach lebenden Fischer und Einheimische gegenübergestellt werden.

Wellen kann ich uneingeschränkt weiterempfehlen. Das ist eine großartige Novelle und würde ich auch zu den großen Klassikern der Weltliteratur zählen.

Fräulein Rosa Herz

Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren Groschenromane angesagt. Darin ging es oft um eine attraktive junge Frau aus einfachen Verhältnissen, die durch eine Liebesheirat mit Mr. Right aus höherer Gesellschaftsschicht, der sich um Stände nicht kümmert, in ein perfektes Leben einheiratet. Keyserlings erster Roman ist sozusagen eine Persiflage, in dem seine Protagonistin nicht das günstige Schicksal erleidet, das in den beliebten Geschichtchen damals so oft und gerne gelesen wurde.

Fräulein Rosa Herz spielt in einer kleinen Stadt, deren Spießbürger Keyserling gnadenlos vorführt. Eine konservative, engstirnige und rückständige Gesellschaft, die sich gegenseitig genau beäugt und die kein Ausscheren aus etablierten Ständedenken zulässt. Rosa lässt sich auf einen Spross aus reichem Hause ein und hat schließlich mit allen Konsequenzen zu kämpfen und leben. Wobei mich dieser Roman immer wieder an Madame Bovary oder Effi Briest erinnert hat. Besonders Flaubert hat ja eindrucksvoll die kleinbürgerliche Art zu Denken und zu handeln gezeigt und Keyserlings Bewohner der kleinen Stadt stehen dem in nichts nach.

Auch in diesem Roman sind zahlreiche Naturbeschreibungen eingestreut, die ebenfalls nicht unbedingt ein Spiegel des Seelenzustandes der Charaktere sind. Vielmehr stehen sie in einer Wechselwirkung und oft nehmen die Figuren diese Umwelt war und werden von ihr beeinflusst. Auch hier fand ich die Szenen hervorragend beschrieben, so dass ich sie mir sehr gut vorstellen konnte. Das ist wirklich wunderbar zu lesen.

Allerdings fand ich das Buch insgesamt zu lange. Zahlreiche Stellen sind einfach viel zu ausführlich oder wiederholen sich. Die Geschichte hätte sich ordentlich eindampfen lassen, ohne dass sie an Gehalt und Inhalt etwas verloren hätte. Am Ende hat mich das Buch dann schon gefesselt und ich musste einfach wissen, was mit Rosa passiert und wie das Ganze ausgehen würde.

Dumala

Das dritte Buch mit dem Titel Dumala habe ich zuletzt gelesen und es hat mir am besten gefallen. Im Mittelpunkt der Novelle steht der Pastor Werner, der in der verschneiten, winterlichen Provinz Dumala lebt und sich nach der schönen und jungen Baronin Karola verzehrt. Wie auch in den anderen beiden Romanen besteht die Geschichte aus einem festen Ensemble einiger Figuren, wobei sie durch ihre Neigung für Karola zusammengehalten werden. Wie Keyserling die Gedanken des Pastors beschreibt, seine Ehe, wie er agiert und reagiert, das ist sehr meisterhaft erzählt. Ich war wieder gebannt von den Dialogen, dem Aufeinandertreffen von Kontrahenten und fasziniert von dem feinsinnigen und subtilen Blick auf diese kleine Gesellschaft. So etwas findet man nur bei großen Klassikern, das ist Genuss pur.

Auch die Atmosphäre in Dumala lebt wieder von den wunderbaren Beschreibungen der Kulisse, welche hier ganz klar der Geschichte einen festen Rahmen geben. Verschneit, abgeschieden und ruhig ist das Setting. Dunkel und langweilig aber auch irgendwie gemütlich und beschaulich. Wenn der Pastor in der Nacht durch den verschneiten Wald streift, wenn Keyserling vom roten Licht der untergehenden Sonne schreibt, oder einem dichten Nebel, dann hatte ich die Szenen immer sehr deutlich vor dem geistigen Auge. Und das passt hervorragend zu der Ausstrahlung der einzelnen Figuren. Das ist wirklich großartig. Bedenkt man, dass dies der erste Roman war, den Keyserling nach seiner Erblindung seinen Schwestern diktiert hat, dann ist das eine ganz schön beachtenswerte Leistung.

Als Ausgabe habe ich den erwähnten Schuber vom Manesse Verlag gewählt. Als limitierte Ausgabe gibt es mehrere dieser Schuber, die immer drei von den schönen Manesse-Büchern bündeln. Ich finde die Idee hervorragend und für den bibliophilen Lesen ist das ein hervorragendes Geschenk. Für den Urlaub sind die kleinen und handlichen Bücher auch sehr gut geeignet und nehmen kaum Platz in Anspruch, bieten aber dennoch mit einem hochwertigen Leineneinband, Fadenbindung und Lesebändchen alles, was man sich als anspruchsvoller Leser wünscht. Wenn ich einen Blick in meinen Bücherschrank werfe, dann stehen da mittlerweile echt viele von den kleinen Manesse-Bändchen. Sie sind für mich mittlerweile, wie die Hanser Klassiker und die Mare Klassiker eine eigene Einrichtung, die kann man blind kaufen, da bekommt man immer feinste Qualität.

Fazit: Keyserling konnte mich mit seinen drei Romanen sehr begeistern. Alle drei Erzählungen bestechen durch wunderbare Naturbeschreibungen, für die er auch bekannt ist und geschätzt wird. Darüber hinaus besitzt er aber auch eine sehr subtile Art der Gesellschaftskritik und schafft es meisterhaft Beziehungen auf ganz feine Art zu charakterisieren und darzustellen. Man versinkt in seine atmosphärisch dichten Landschaften, schwebt über den einzelnen Figuren, empfindet mit ihnen bleibt aber trotzdem immer Beobachter, schüttelt über manche Äußerungen den Kopf und fühlt richtig das soziale Korsett, das sich um die einzelnen Protagonisten legt, sie einschließt und die Ausweglosigkeit der einzelnen Lebenswege unvermeidbar macht. Das sind ganz feine psychologische Charakterstudien, welche die Gesellschaft mit einschließt und für mich in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur, neben anderen namhaften Titeln, genau richtig aufgehoben ist. Die Ausgabe vom Manesse Verlag kann ich, wie immer, nur empfehlen. Die kleinen Büchlein haben sich im Urlaub gut bewährt und bieten alles, was das bibliophile Herz sich wünscht.

Buchinformation: «Allein wie er das Meer beschreibt!» – Die schönsten Romane des Stimmungsmagiers Eduard von Keyserling: Limitierte Geschenkausgabe im Schuber (3 Bände): «Wellen», «Fräulein Rosa Herz» und «Dumala» • Eduard von Keyserling • Manesse Verlag • 1056 Seiten • ISBN 9783717524649

10 Kommentare

  1. Schöne Rezi, meinen Dank. Langsam aber sicher wird der Keyserling doch wieder populär …
    Dann kann ich Dir jetzt nur den neuen Roman von Klaus Modick empfehlen über Keyserling und Corinth. Liebe Grüße!

    1. Ja, genau, lieber Tobi, diesen Roman würde ich dir als frischgebackenem Keyserling-Fan nun auch sehr ans Herz legen! Ich freu mich, dass dir besonders auch die Wellen so gut gefallen haben : ) Liebe Grüße
      Petra

      1. Liebe Petra,

        von Dir weiß ich, dass du ja schon länger Keyserling empfiehlst und klasse findest. Also war die Wahrscheinlichkeit schon sehr hoch, dass die Bücher echt gut sind 😉

        „Keyserlings Geheimnis“ hört sich echt interessant an. Aber erstmal werde ich noch ein bisschen was von Keyserling lesen. Ich hab gesehen, dass es sogar vom Manesse Verlag noch ein interessanten Titel gibt.

        Liebe Grüße
        Tobi

    1. Liebe Franziska,

      ich glaube Keyserling ist doch eher ein Geheimtipp, den kennen nicht so viele. Aber ich kann ihn dir nur empfehlen. Ich bin gefühlt immer wieder über seine Bücher gestolpert 😉

      Liebe Grüße
      Tobi

  2. Hallo,

    ich muss gestehen, von diesem Autor noch nichts gelesen zu haben, aber da scheine ich ja leider keine Ausnahme zu sein… Es klingt so, als sollte ich das mal ändern, auch wenn man mit den Charakteren nicht so mitfiebert. Mich interessiert der gesellschaftskritische Aspekt besonders. Wie ich sehe (ich habe gerade nachgeschaut), kann meine Bibliothek da abhelfen.

    „Unterm Strich ist sie zwar gesellschaftlich geachtet, aber alle sind sehr heiß auf die schöne Blondine und wollen sie klar machen.“

    Da musste ich lachen, damit hatte ich nicht gerechnet!

    Ich denke, ich werde „Dumala“ mal auf die Leseliste setzen.

    Ich habe diesen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt.

    LG,
    Mikka

  3. Danke für die interessante Empfehlung. Geboren im heutigen Lettland – war für mich gleich das Stichwort zum Weiterlesen, … habe ich doch selbst das Baltikum/ Lettland intensiv bereist und darüber geschrieben,… um so mehr freut es mich, wenn Autoren mit lettischen Wurzeln wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird! Danke, Evelin Brigitte Blauensteiner

  4. Ich hatte vor ca. vier Jahren ein Uni-Seminar zu Keyserling und meine damalige Dozentin hat so sehr von ihm und seinen Büchern geschwärmt, dass man sich dem kaum entziehen konnte. Ab da hat dann meine Liebe zu seinen Werken angefangen. Ich habe dann auch meine Bachelorarbeit über die Frauenfiguren in seinen Büchern geschrieben und freue mich gerade total, dass Keyserling aktuell so viel Aufmerksamkeit bekommt. Mit dem Schuber liebäugele ich in jedem Fall auch – danke, dass du ihn hier vorgestellt hast!

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