Victor Hugo: Im Exil • Laurent Paturaud und Esther Gil

Ich liebe die großen Romane der weltbekannten französischen Autoren, allen voran dem literarische Schwergewicht Victor Hugo, der alleine für Die Elenden (die ich hier rezensiert habe) schon auf ewig in meiner Erinnerung bleiben wird. Aus politischen Gründen musste Victor Hugo aus Frankreich fliehen und hat sich als Exil zuerst die Kanalinsel Jersey, später dann die benachbarte Insel Guernsey ausgesucht. Dort entstand dann auch das wunderbare Buch Die Arbeiter des Meeres, das auf Guernsey spielt, das mir richtig gut gefallen hat und ich ebenfalls auf lesestunden rezensiert habe. Als ich die Graphic Novel Victor Hugo: Im Exil im Programm des Splitter Verlags gefunden habe, war klar, dass ich sie unbedingt lesen muss. Was euch mit dieser Graphic Novel erwartet, könnt ihr euch entweder in der Vorschau mit meiner Splitter-Verlag App probelesen oder ihr lest diesen Beitrag weiter.

Im Jahre 1843, kurz nach der Hochzeit, ertrank Victor Hugos Tochter Léopoldine mit ihrem Mann als ihr Boot auf der Seine kenterte. Eine Tragödie, die im Mittelpunkt dieser Graphic Novel steht, deren Geschichte zehn Jahre später auf der Insel Jersey beginnt. Victor Hugo erscheint bei einer Séance seine verstorbene Tochter, die ihn auffordert ihren Tod aufzuklären. Victor Hugo begibt sich trotz der Gefahren zurück nach Frankreich, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. Während das Drama um den Tod seiner Tochter den Tatsachen entspricht, ist die Suche nach der Erklärung für diese Tragödie rein fiktiver Natur.

Das ganze Setting, Paris, die Kanalinseln, das Frankreich des 19. Jahrhunderts sind mir aus zahlreichen Romanen sehr vertraut und so war ich sehr gespannt die Schauplätze einmal visuell erleben zu können. Tatsächlich treffen die meist eher düsteren, aber klaren und ausdrucksstarken Illustrationen sehr gut meine Vorstellungen. Besonders von Paris, mit seinen alten Häusern und engen Straßen. Richtig schön gezeichnet fand ich die Kanalinseln und das Meer, das wird sehr authentisch vermittelt und hat atmosphärisch stark auf mich gewirkt. Genau so stelle ich mir die raue See vor, aber auch die Weite des Meeres, wie Victor Hugo an der Küste steht, den Blick in die Ferne gerichtet, das wird immer wieder sehr gut in Szene gesetzt.

Die Geschichte selbst hat eher ein mäßiges Tempo und hat eigentlich auch keine richtigen Actionszenen. Das hatte ich aber bereits vermutet, denn dafür ist der Plot auch nicht ausgelegt. Es gibt natürlich schon Szenen wo etwas mehr Bewegung ins Spiel kommt, gut gefallen haben mir aber die Dialoge und die feinen Zeichnungen der einzelnen Orte und auch der schönen Geliebten von Victor Hugo. Es wird ihm ja nachgesagt, dass er doch die ein oder andere Liebschaft hatte.

Die politische Situation dieser Zeit unter der Regentschaft von Napoleon den III. wird sehr schön dargestellt (das war der kleine Napoleon, also nicht der richtige Napoleon Bonaparte) der nach der Februarrevolution 1848 die Macht ergriff und sich zum Präsidenten auf Lebzeiten erklärte und dessen erklärter Gegner Victor Hugo war. Hier gibt es nochmal eine Nebenstory, welche die damaligen Sitten anhand von einem Beispiel nochmal genauer zeigt und einen Blick darauf gewährt, wie rücksichtslos die führende politische Elite des Landes war. Gerade dieser politische Bezug der Graphic Novel hat mir sehr gut gefallen, denn es waren sehr bewegte Zeiten für Frankreich und auch für ganz Europa, denn in der französischen Revolution und der Zeit danach liegt sehr viel darin begründet, was die Demokratien unserer Tage ausmacht.

Laurent Paturaud ist ein französischer Illustrator, der bereits die Comic-Reihe Sukkubus gezeichnet hat, die ebenfalls beim Splitter-Verlag erschienen ist. Seine Zeichnungen haben mir gut gefallen und ich hatte das Gefühl, dass er sich mit seinen Charakteren und Schauplätzen sehr stark an die historischen Vorlagen gehalten hat, was dem Buch einiges an Authentizität gibt. In einem ausführlichen Anhang erfährt der Leser mehr über die Entstehung des Buches und auch zahlreiche Konzeptzeichnungen. Ein Extra, dass ich bei Comics und Graphic Novels ja immer liebe, denn man bekommt so einen groben Einblick in den Schaffensprozess und am Ende ist ein jedes Buch doch ein kleines Kunstwerk für sich.

Fazit: Diese Graphic Novel erzählt eine fiktive Geschichte während Victor Hugos Zeit im Exil und schildert seine Suche nach den Ursachen für den Tod seiner Tochter. Eingebettet in einen historischen Kontext unterhält die Geschichte den Leser sehr gut und erzählt eine Handlung, die mich zwar nicht emotional mitgerissen hat, aber ihre Stärken besonders in den sehr schön und authentisch wirkenden Zeichnungen der Schauplätzen und Charakteren hat. Besonders gelungen fand ich die Insel Jersey als Kulisse und die politischen Bezüge zu dieser bewegten Zeit, in der Frankreich zu seiner Demokratie gefunden und dabei ganz Europa mit sich gerissen hat. Die Graphic Novel ist ein Muss für jeden, der wie ich die großen Romane aus dieser Zeit verschlungen hat und visuell eine Reise in das nachrevolutionäre Frankreich wagen möchte.

Buchinformation: Victor Hugo: Im Exil • Laurent Paturaud und Esther Gil • Splitter Verlag • 120 Seiten • ISBN 9783962193003

2 Kommentare

  1. Hallo Tobi,
    danke für den Tipp, liebe Werke der französischen Autoren wie Hugo, Dumas oder De Maupassant.
    Habe übrigens in der Süddeutschen Zeitung dein Interview gelesen 😉
    Beste Grüße
    Daniela

  2. Lieber Tobi,

    bei mir steht der Titel seit Ankündigung auf der Merkliste und daher bin ich dir dankbar für deine Eindrücke. Der Zeichenstil entspricht jetzt auf dem ersten Blick nicht ganz meinem Geschmack, aber mir geht es wie dir: Ich habe eine Schwäche für Hugo und darum werde ich den Comic sicherlich schon aus reiner Neugier lesen (trotz der Fiktion).

    Liebe Grüße
    Kathrin

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