Typee • Herman Melville

Als ich auf Typee dem Buch in der Mare Klassikerreihe gestoßen bin, war ich erst einmal skeptisch. Vor etwa drei Jahren habe ich von Herman Melville seinen bekanntesten Roman Moby Dick gelesen und war nur begrenzt begeistert (ihr findet meine Rezension zu dem Buch hier). Der Inhalt und natürlich die Aufmachung waren aber verheißungsvoll. Nach der Lektüre war ich sehr positiv überrascht und hatte wieder einmal die Bestätigung, dass man nie einen Autoren nach seinem bekanntesten Werk beurteilen sollte.

Wie schon bei Moby Dick bilden die eigenen Abenteuer auf den Seefahrten von Melville die Grundlage für diesen Roman. Der Matrose Tom, der auf einem Walfängerschiff unter einem despotischen Kapitän leidet, desertiert auf der zu den Marquesas gehörigen Insel Nuku Hiva und verbringt dort mehrere Monate bei einem Eingeborenenstamm, den Typees. Besonders zu Beginn ist der Roman sehr abenteuerhaft und der beschwerliche Weg in das paradiesische Tal wird sehr spannend geschildert. Im Mittelpunkt steht dann aber das Leben der Typees und wie Tom seine Zeit dort verbringt. Ähnlich wie schon bei Moby Dick unterbricht Melville die eigentliche Geschichte immer wieder, um zu beschreiben wie es bei den Typees zugeht, welche kulturellen Besonderheiten Tom auffallen und was für ein Treiben dort in dem ursprünglichen, friedlichen und wunderschönen Tal auf einer Südseeinsel herrscht. Aber es kommt auch immer wieder zu Konflikten mit den benachbarten Stämmen und natürlich möchte Tom möglichst schnell die Insel wieder verlassen, was sich als schwieriger erweist als ursprünglich angenommen.

Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben und liest sich wie ein Erlebnisbericht, den der Matrose selbst zum Besten gibt. Den Auftakt mit der Flucht von dem Schiff, den ersten Eindrücken der Insel und dem Abstieg in das Tal der als sehr gefährlich geltenden Kannibalen, fand ich sehr unterhaltsam, das hat mich stark an einen Abenteuerroman von beispielsweise Stevenson erinnert. Im Verlauf rückt Tom aber immer wieder in den Hintergrund und erzählt von seinen Beobachtungen und den kulturellen Besonderheiten der Typees. Wie sie ihren Tag verbringen, was sie essen, wie ihre Gesellschaft funktioniert. Das ist aber ebenfalls sehr interessant zu lesen, besonders nachdem der Erzähler immer wieder einen Vergleich mit der europäischen und nordamerikanischen Kulturen zieht und zeigt, dass diese ursprüngliche Lebensweise eigentlich ziemlich geschmeidig war. Auch an der Kolonialisierung und der Missionierung durch die europäischen Christen übt er starke Kritik.

Ich konnte mir richtig gut diese paradiesische Südseeinsel vorstellen und habe mich beim Lesen manchmal gefühlt, als würde ich dort Urlaub machen. Ich liebe Inseln und das damit verbundene Setting und habe sofort Fernweh bekommen. Das ist schon sehr pittoresk, wie Tom da in dem Tal sitzt, lecker schmaust, sich an den schönen Eingeborenen erfreut und sehr viel schläft und entspannt. Das ist sicher zu stark geschönt, dass die Lebensweise aber dort sehr gesund war, das glaube ich Melville sofort.

Basis für den Roman war eine Episode aus Melvilles eigenem Leben. Auch er desertierte auf Nuku Hiva und floh zu dem Stamm der Typees, die ihn einige Zeit beherbergten. Die Frage ist also, was Fiktion ist und was echt. Die Dauer des Aufenthalts hat Melville wohl von vier Wochen auf vier Monate ausgedehnt. Auch der beschriebene Kannibalismus soll fiktiven Ursprungs sein. Liest man sich aber alles so durch, wie die Typees wohnen, was sie essen, woraus sie beispielsweise Öl oder Medizin gewinnen, die Zubereitung der Brotfrucht oder über die Bedeutung des Tätowieren, bis hin zur Rolle der Frauen in dem Stamm oder dem kulturellen Zusammenleben, glaube ich dass Melville hier durchaus sehr nahe an der Realität geblieben ist und nur sehr wenig im Roman seiner eigenen künstlerischen Freiheit entstammt.

Typee war Melvilles erster Roman und erschien 1846 und war sofort sehr erfolgreich. Von dem Buch gab es mehrere Auflagen mit teilweise entschärften Szenen, wo wohl besonders an der Kritik an der missionarischen Tätigkeit der Kirche gekürzt wurde. Hier nimmt Melville kein Blatt vor den Mund und spricht ganz deutlich die Verbrechen der Kirche und europäischen Regierungen an, allen voran der Franzosen, die schließlich die Marquesas annektiert haben.

Natürlich war ich nach der Lektüre neugierig und hab nach der hübschen Insel im Netz gesucht. Auf YouTube findet man, wenn man nach „Nuku Hiva“ sucht eine ganz interessante 3sat Doku, die leider immer wieder Tonaussetzer hat. Trotzdem ist es sehr spannend zu sehen, wie es dort auf der Insel so aussieht. Tatsächlich ist sie sehr malerisch und man sieht auch die Brotfrucht und wie eine einheimische Köchin diese traditionell zubereitet. Auch das Typee-Tal, das in echt Taipivai heißt, findet man auf Google Maps sehr leicht. Und auf Wikipedia und auf der Google Bildersuche findet man natürlich auch zahlreiche Bilder von der Insel und auch dem Tal.

Blick auf Hakapaa Bay westlich vom Taipivai. Quelle: Wikimedia

Damals hatten die Marquesas scheinbar über 60.000 Einwohner. Mittlerweile sind es nur noch um die 9.000 und von der Kultur der einstigen Eingeborenen ist dort nicht mehr allzuviel zu finden. Die meisten Einwohner sind wohl auch sehr christlich und ziemlich prüde, aber der Doku nach ziemlich entspannt, wie Insulaner eben meistens so sind. Also ich könnte mir sehr gut vorstellen, dort mal Urlaub zu machen, das ist schon genau mein Ding, so eine kleine Insel, so gar nicht touristisch, viel Natur und Meer. Auf jeden Fall liebe ich es, wenn es so viele und interessante Informationen zu einem exotischen Schauplatz eines Buches gibt. Das ist wieder eine wunderbare Ergänzung zu einem sehr schönen Buch.

Was die Mare Ausgabe betrifft, kommt man hier wieder voll auf seine Kosten. Seit meinem letzten Mare Klassiker ist einige Zeit vergangen und ich habe seitdem auch einige andere schöne Ausgaben gelesen. Beispielsweise von der Büchergilde, die sich ja auch die hohe Buchkunst auf die Fahnen geschrieben haben. Aber gegen die Mare Klassiker stinken die alle ziemlich ab, also die Qualität muss man schon echt suchen. Eine Fadenbindung ist sehr selten geworden und auch bei der Büchergilde wohl kein Standard mehr. Aber auch was das geschmeidige Papier angeht, der schöne Leineneinband, die immer wieder anders geartete Gestaltung des Einbandes und das zusammen mit der hochwertigen Fadenbindung, das rechtfertigt jeden Cent der für die wunderbaren Mare Klassikern aufgerufen werden. Für mich ist das immer Balsam für die bibliophile Seele, so ein prächtiges Buch in Händen zu halten. Schade, dass es so wenige Verlage gibt, die so schöne Bücher machen.

Zu Beginn des Buches findet man auch eine Karte von den Marquesas und auch den umliegenden Inselgruppen. Und dem Buch ist die weitere Geschichte von Toby angehängt, die erst eine eigenständige Veröffentlichung war und in einer überarbeiteten Version dann Bestandteil von Typee wurde. Das Nachwort von dem Übersetzer Alexander Pechmann ist ebenfalls wieder sehr informativ und gut geschrieben.

Fazit: Melvilles erster Roman Typee ist eine abenteuerliche und fesselnde Geschichte, die immer aus der Perspektive des desertierten Matrosen Tom, die wunderschöne Landschaft der Südseeinsel Nuku Hiva und seine Ureinwohner, den Typees, beschreibt. Das entspannte, einfache und naturverbundene Leben der gefürchteten Kannibalen erweist sich als ein interessanten Blick auf eine ganz ursprüngliche Form des Zusammenlebens, das besonders für jemanden aus dem Hier und Jetzt verlockend und sehr malerisch erscheint. Mit der wunderschönen Aufmachung, die alle Mare Klassiker gemein haben, ist das wieder eine wunderbare Lektüre, die ich nur sehr empfehlen kann.

Update 10.09.2019: Auf Arte gibt es nun eine sehr schöne kurze Doku über Melvilles Marquesas, die ihr hier findet.

Buchinformation: Typee • Herman Melville • mare Verlag • 448 Seiten • ISBN 9783866486140

7 Kommentare

  1. Ein schöner Beitrag! Wenn du Bücher mit vielen zusätzlichen Informationen magst, erlaube ich mir, dich auf „Wo die Freiheit wächst“ aufmerksam zu machen. 🙂 Hinten im Buch gibt es einiges, ich schreibe einen ganzen Blog dazu, aber in erster Linie ist es ein sehr unter die Haut gehender (Brief)Roman. Ich kann dir gerne ein Exemplar schicken lassen. Beste Grüße Frank

  2. Die Leseeindrücke hast du so schön beschrieben! Kann dir da nur zustimmen, dass man sich da richtig in das Inselleben einfühlen kann.
    Bin ebenfalls ganz bei dir, was die Qualität der Bücher angeht. War jedes Mal wieder angetan von der Gestaltung und allem, wenn ich das Buch in die Hand genommen habe.

    Darf ich deine Rezension vielleicht in meinem Beitrag verlinken? Finde du greifst nochmal ganz andere, wichtige Punkte auf. 🙂

    Liebe Grüße
    Karin

    1. Liebe Karin,

      hui Du hast das Buch ja auch gleich gelesen. Und auch gleich das John Marr, dass hab ich schon von der großen Klassiker Reihe, das hab ich mir nicht nochmal geholt. Tja Karin, Du hast einfach einen guten Geschmack, das muss ich einfach sagen!! Gerne darfst Du natürlich auf meinen Beitrag verlinken.

      Liebe Grüße
      Tobi

      1. Lieber Tobi,

        danke Dir! Und: Kann ich ich nur zurückgeben. 🙂
        Hab erst später gesehen, dass es „John Marr“ schon als große Ausgabe gab. Wobei ich mich gefragt habe, ob da noch etwas Zusätzliches enthalten ist? In der kleinen Variante scheint es schon recht kurz zu sein…

        Liebe Grüße
        Karin

  3. Hallo,

    auf diese hübsche Ausgabe bin ich erst vor ein paar Tagen aufmerksam geworden, als ich an einem Artikel zu Melvilles Geburtstag schrieb. Die lacht mich auch an…

    Bisher habe ich tatsächlich auch nur „Moby Dick“ gelesen – als Kind in einer kindgerechten Ausgabe, einige Jahre später eine ungekürzte englische und schließlich die ursprünglich von Thomas Mann herausgegebene gekürzte deutsche. Ich vermute, dem kannst du schon entnehmen, dass mich das Buch deutlich mehr begeistert hat als dich! 😉

    Eigentlich wollte ich schon ewig einige der anderen Werke Melvilles lesen (und mir bei der Gelegenheit auch mal eine *ungekürzte* deutsche Ausgabe von „Moby Dick“ anschaffen).

    Es klingt so, als beruhe „Typee“ wirklich sehr viel deutlicher auf Melvilles tatsächlichen Erlebnissen als „Moby Dick“. Angeblich soll er bei den Typee ja behandelt worden sein wie ein Gast – nur halt einer, der nicht gehen darf… Und Melvilles Religionskritik hat seiner Schriftstellerkarriere sicher nicht gut getan. In England wurde später ja auch „Moby Dick“ deswegen zensiert.

    LG,
    Mikka

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