Unterwegs mit den Arglosen • Mark Twain

Traditionell für Lesestunden kommt heute die Besprechung zum neuen mare Klassiker, der diesmal wieder der Reihe sehr treu bleibt. Das schöne Buch ist ein Reisebericht, von dem bekannten Autoren Mark Twain, über seine Vergnügungsreise in das Heilige Land. Das passt dieser Tage einfach perfekt, um sich an sonnigen Tagen mit dem prächtigen Buch in den Garten zu legen und mental in Urlaub zu fahren. Ob sich diese Kreuzfahrt lohnt, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.

Im Sommer 1867 begab sich Mark Twain auf dem ausgemusterten Kriegsschiff Quaker City auf eine Kreuzfahrt, die ihn, zusammen mit einigen anderen Reisenden, über New York und die Azoren zu den Küstenstädten am Mittelmeer und in das Heilige Land, also Damaskus, Palästina, Nazareth usw. geführt hat. Daneben gab es Abstecher nach Paris und eine Eisenbahnfahrt durch Italien (unter anderem Mailand, Venedig, Neapel). Also eine ordentliche Rundreise. Ursprünglich berichtete er in über 50 Reisebriefen, welche in der Zeitung Daily Alta California erschienen, über seine Erlebnisse. Erst später wurden diese Berichte dann zu einem Buch zusammengefasst und unter dem Titel The Innocents Abroad, or The new Pilgrims‘ Progress veröffentlicht.

Mit Reiseberichten ist das bei mir immer so eine Sache. Ich mag sie echt gerne, lese so ein Buch dann aber immer vorzugsweise in Häppchen, da immer ein Plot fehlt, der mich durch eine Geschichte zieht. Bei diesem Buch war das allerdings anders, denn Twain schreibt so lebendig und locker, er hat eine so schön bildhafte und unterhaltsame Erzählweise, dass es einfach ein Vergnügen ist, seine Eindrücke zu lesen. Natürlich streut er immer wieder schöne Landschaftsbeschreibungen ein, er wartet aber auch mit vielen Anekdoten und persönlich gefärbten Erzählungen auf. Dabei teilt er ordentlich aus und man hört hier schon den Twain heraus, der später mit Charakteren wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn erfolgreich sein wird. Er hat einen unverstellten Blick auf die Welt und nimmt kein Blatt vor dem Mund. Und das lässt einen sehr oft schmunzeln. Er berichtet eben über genau das, was jemand auch im Alltag seinen Daheimgebliebenen erzählen würde. Über besondere Höhepunkte, darüber wie dreckig oder sauber die Orte sind, natürlich über die Menschen, denen er begegnet ist, über lokale Geschichten und Eigenheiten, er erzählt Bibelstellen nach und beschreibt die Sehenswürdigkeiten und die Landschaft, kurzum: Er berichtet über alles das, was einem Reisenden unmittelbar auffällt, was begeistert und auch enttäuscht. Und das immer mit fehlendem Respekt und politisch völlig unkorrekt. Aber auch nicht übertrieben, denn der Schönheit vieler Orte kann er ebenso viel abgewinnen, wie er mit Hingabe das beschreibt, was ihm nicht gefällt.

Mitunter haben Twains Texte einen sehr rauen und deftigen Ton. So spart er auch nicht damit, die Frauen zu beurteilen und schreibt über so ziemlich jede Region, ob diese dort hübsch sind oder nicht. Da teilt er schon oft aus und schreibt beispielsweise:

„Hätte ich eine Frau, die so hässlich ist wie einige von denen, die ich gesehen habe, würde ich ihr Gesicht mit einer Nagelbürste bearbeiten, um es nach Möglichkeit zu verschönern.“ (S. 62)

Ebenso schafft er es aber auch die Schönheit der Orte in Worte zu fassen, wenn er beispielsweise vom Vesuv aus auf das nächtliche Neapel blickt.

„Von einer hohen Stelle am Berghang hatten wir einen herrliche Aussicht auf Neapel. Wir sahen natürlich nichts außer den Gaslaternen, die rund um die große Bucht zwei Drittel eines Kreises bildeten – ein Halsband aus Diamanten, das durch die Dunkelheit aus der Ferne funkelte -, weniger hell als die Sterne am Firmament, aber sanfter und schöner strahlend, und überall in der ganzen großen Stadt kreuzten sich unzählige Linien und Kurven aus funkelnden Lichtern. Hinter der Stadt, in weitem Bogen über die Meilen der flachen Campania verstreut, sah man Reihen und Kreise und Gruppen aus Lichtern, allesamt glühend wie Edelsteine, die anzeigten, wo nahezu hundert Dörfer schliefen.“ (S. 145ff)

Diese zwei Zitate zeigen sehr schön, was den Leser bei diesem Buch erwartet. Eine unterhaltsame Mischung. Und Twain hat zu sehr vielen eine Meinung und auch schöne Geschichten aufgeschnappt. Beispielsweise Die Geschichte der Sieben Schläfer in Ephesos oder wenn er sein vernichtendes Urteil eines echten türkischen Bades abgibt. Klasse fand ich auch, wie er mit ein paar Mitreisenden die Quarantäneauflagen bricht und Nachts heimlich die Akropolis besichtigt. Sogar den Zaren haben die Kreuzfahrer einen Besuch abgestattet und ich habe das zuerst für eine Räuberpistole gehalten, aber sie haben ihn wohl tatsächlich getroffen. Lustig, dass die Russen damals den Amerikanern überaus gewogen waren, wovon hundertfünfzig Jahre später nicht mehr viel zu spüren ist. Auch die Reise durch das heilige Land, also praktisch zu allen biblisch bedeutsamen Orten gibt er sehr unterhaltsam wieder und schreckt auch nicht davor zurück, die dort als so geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten als wenig authentisch zu entlarven. Der Höhepunkt der Reise war Jerusalem und die umliegende Region und er beschreibt ausführlich seine Eindrücke.

Twain ist in diesem Buch politisch nicht ganz korrekt und als Leser muss man das durchaus im Kontext seiner Entstehungszeit sehen. Kipling wurde immer nachgesagt, dass er rassistisch wäre, was ich bei seinen Büchern nie wahrgenommen habe. Da ist Twain schon eine andere Liga. Er blickt auf Land und Leute mit dem etwas arroganten Blick des überlegenen und progressiven Amerikaners. Von den Türken hält er gar nichts, das sind für ihn alles Halunken, ebenso die Araber, die für ihn alle Kriminelle und Räuber sind. Frauen bewertet er ausschließlich hinsichtlich ihrer Attraktivität und die arme Landbevölkerung Syriens vergleicht er mit Indianer und stellt die Armut der Menschen anderer Länder mit einer gewissen Ironie dar. Man könnte sagen, dass er doch ein bisschen taktlos ist. Ich fand das durchaus unterhaltsam, aber man darf diesbezüglich nicht zu sensibel sein und es eben entsprechend einzuordnen wissen. Gerade diese raue Direktheit macht den Reiz seines Schreibstils aus.

Auch über seine Mitreisenden schreibt er immer wieder und portraitiert einige davon, meist wenig schmeichelhaft, oder er gibt ihnen ganz stereotype Eigenschaften, die man wohl in jeder Reisegruppe antreffen dürfte. Ganz am Ende fasst er seine Reise noch einmal zusammen und auch da geht er nochmal auf das Miteinander ein. Auch im Nachwort wird die Reisegruppe und wie sie im Gegenzug den bekannten Autoren wahrgenommen hat, genauer beschrieben. Das fand ich auch sehr interessant und Twain war wohl ein wirklich lustiger und lasterhafter Zeitgenosse, der doch für Stimmung an Bord gesorgt hat und dabei den weltlichen Genüssen gewiss nicht abgeneigt war.

Eingestreut sind auch zahlreiche lustige Anmerkungen. Beispielsweise gibt es recht früh eine Stelle, in der ihm wohl die Kirchen langsam etwas über sind und wie ihnen praktisch am laufenden Band Reliquien präsentiert werden. Die echte Dornenkrone von Jesus war wohl damals in jeder zweiten Kirche anzutreffen. Sehr lustig ist auch, wie die Einheimischen immer den Wert ihrer Exponate über alle Maße überschätzen. Twain lässt sich davon nicht beeindrucken und gibt unverwandt zu Protokoll, was er davon hält. Oder er beschreibt, wie seine Mitreisenden sich an Andenken fleißig bedienen und auch nicht davor zurückschrecken, Steine aus dem Mauerwerk von den bedeutsamen Orten zu entwenden. Twain ist allerdings erstaunlich bibelfest und auch wenn er immer wieder Passagen aus der Bibel mit sarkastischen Ton nacherzählt, hatte ich durchaus immer das Gefühl, dass Twain ein Christ war und lediglich das kritisiert, was durch die Gläubigen aus den Orten und Reliquien gemacht wurde. Es gibt zahlreiche, meist aus dem Gedächtnis wiedergegebene Bibelzitate, die belegen, dass er trotz des humorvollen und ironischen Stils, den seine Briefe haben, die Pilgerreise durchaus ernst genommen hat. Insgesamt liest sich die Lektüre also sehr flüssig und wirkt trotz seines doch nicht geringen Umfangs kurzweilig und viel zu schnell ist man durch das Buch durch.

Sehr schön fand ich auch die zahlreichen Illustrationen, die eingestreut sind und von Truman W. Williams stammen und der Ausgabe aus dem Jahre 1897 entnommen sind. Auch die Abenteuerromane von Jules Verne haben oft solche Illustrationen und ich mag diesen altmodischen Stil, den sie verströmen. Dabei bereichern sie aber auch immer den Text und sind einfach schön anzusehen.

Die Übersetzung von Alexander Pechmann ist wieder hervorragend, da gibt es nichts einzuwenden und auch sein Vorwort und Nachwort sind sehr informativ. Besonders das Vorwort fand ich sehr gelungen, denn man bekommt so einen wesentlich besseren Einstieg in das Buch und hat einen Eindruck von den Rahmenbedingungen. Einige Anmerkungen geben Hinweise zum Text, was bei den hochwertigen Mare-Ausgaben eigentlich immer der Fall ist und ich immer sehr schätze. Die Briefe wurden nach der Reise als Buchfassung mit dem Titel Die Arglosen im Ausland veröffentlicht, wobei hier wohl die kommerziellen Interessen sehr groß waren und der Text entschärft und geglättet wurde. Die hier vorliegende Fassung Unterwegs mit den Arglosen basiert auf den originalen Briefen, welche Twain für die Zeitungen verfasst hatte und in denen er nicht auf den erwähnten ironischen, sarkastischen und oft wenig zurückhaltenden Stil verzichtet hat. Details dazu bekommt man im Nachwort zu lesen, ebenso die Reaktionen seiner Mitreisenden auf seine Briefe, was ich ebenfalls sehr interessant fand.

Die Reiseberichte und das daraus gebündelte Buch, das 1869 erschien, war zu seiner Zeit die erfolgreichste Veröffentlichung von Mark Twain. Erst einige Jahre später erschienen Twains bekannten Romane, wie Tom Sawyer und Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Sein Stil zu berichten hat etwas angenehm Gewöhnliches. Die Texte sind nicht schwurbelig, sondern Twain erzählt genau so, wie eben ein gewöhnlicher Reisender berichten würde. Dadurch entsteht eine angenehme Nähe und das, was er beschreibt bekommt viel Authentizität. An einigen Stellen war mir Twain allerdings nicht sympathisch und strahlt eine gewisse Überheblichkeit aus, wenn er von seinem christlich geprägten Weltbild aus urteilt. Oder wenn er übertrieben positiv über den Zar Alexander schreibt und von seiner Macht beeindruckt ist. Er hat dann doch oft das typisch Oberflächliche, was man auch dieser Tage den Amerikanern nachsagt. Wobei das dem Lesevergnügen nicht abträglich ist.

Was die Aufmachung des Buches angeht, zeigt sich der mare Verlag wieder etwas mutiger und präsentiert einen bedruckten Leineneinband, auf dem das Schiff Quaker City zu sehen ist. Das hat mir bei Typee schon sehr gut gefallen und sieht auch hier wieder wunderbar aus. Der Titel und Autor des Buches auf dem Einband sind wieder leicht eingeprägt, was sich einfach gut anfühlt, wenn man mit den Fingern über den Einband streicht. Als Vorsatzpapier ist eine alte Karte von damals abgedruckt, auf der die Reise und deren einzelnen Stationen eingezeichnet sind. Im Nachsatzpapier ist ein detaillierterer Ausschnitt vom Heiligen Land zu sehen. Ich fand das wieder sehr hilfreich und habe dort immer wieder nachgesehen und Twains Route verfolgt. Sehr schön ist auch, dass es eine Karte der damaligen Zeit ist, wo überall die damaligen Landesgrenzen mit ihren Königreichen und Kaiserreichen eingezeichnet sind. Ebenfalls sehr gelungen ist die Typographie, die wieder sehr fein abgestimmt ist. Besonders die Titel der Kapitel haben eine richtig schöne Schriftart, die einfach hervorragend passt. Das Papier ist wieder so geschmeidig, wie ich das nur von den mare Klassikern in der Qualität kenne und auch die Fadenheftung fehlt nicht. Von der Qualität und Verarbeitung haben die mare Klassiker von allen Neuerscheinungen auch nach Jahren noch immer die Nase vorne, da macht ihnen niemand was vor. Nach dem Lesen sehen die die Bücher immer wie neu aus.

Fazit: Twains Reisebriefe sind eine sehr unterhaltsame Lektüre, mit vielen schönen Anekdoten, Landschaftsbildern, Geschichten, Beschreibungen von Land und Leute und immer mit viel Witz erzählt. Der Leser begibt sich auf eine Reise, die unterhält und sich tatsächlich ein wenig wie Urlaub anfühlt. Twain nimmt kein Blatt vor dem Mund und erzählt alles aus subjektiver Sicht mit erfrischendem Esprit. Die wunderschöne Aufmachung des Buches, die schöne Typographie und die wunderbar altmodisch wirkenden Illustrationen werten das Buch sehr auf. In Summe wieder eine sehr gelungene Ausgabe, die sich perfekt in die Reihe der mare Klassiker einfügt und von allem etwas hat, wofür die diese wunderschönen Klassiker so liebe.

Buchinformation: Unterwegs mit den Arglosen • Mark Twain • mare Verlag • 528 Seiten • ISBN 9783866486553

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