Flaschenpost • Wolfgang Struck

Nur wenige Bücher schaffen es schon von ihrem Titel positive Assoziationen in mir zu entlocken und so meine Aufmerksamkeit zu wecken. Das sind zumeist Themen und Dinge, die von vornherein einfach positiv behaftet sind, weil sie einem ein unbestimmtes Gefühl aus der Kindheit und Jugend zurufen. Dazu gehören bei mir auf jeden Fall Baumhäuser, Piraten und auch die Flaschenpost. So ist es nicht verwunderlich, dass ich dem Buch Flaschenpost von Wolfgang Struck nicht widerstehen konnte. Zumal es nicht nur diesen speziellen Hauch von Abenteuer in sich trägt, sondern auch von der Aufmachung den vielen hübschen maritimen Büchern gleicht, die ich bereits in meinem Buchschrank stehen habe. Allen voran Schalanskys Atlas der abgelegenen Inseln das für mich zur Messlatte von schönen, kurzweiligen und unterhaltsamen Büchern über das Meer geworden ist. Ob Flaschenpost auch in diese Kategorie fällt und ob es der Romantik hinter dem Begriff der Flaschenpost im Leser wecken kann, darüber schreibe ich in den nächsten Zeilen.

Zentrales Thema des Buches ist ein Experiment, das Georg von Neumayer Mitte des 19. Jahrhunderts ins Leben rief. Fasziniert von dem Meer und der Hydrographie, also der Gewässerkunde, interessierte er sich für die riesigen Ozeane und begriff sie mit ihren Strömungen als ein eigenes Wesen, das er besser verstehen wollte. Dazu setzte er über 6500 Flaschen an verschiedenen Stellen aus (bzw. hat sie aussetzen lassen). In den Flaschen war ein vorgefertigtes Formular für die Rücksendung an sein Institut, mit der bitte die Koordinaten und den Zeitpunkt des Fundortes fest zu halten. Etwa 10% der Flaschen wurden gefunden und nach und nach erreichten die kleinen Zettel Neumayer, der sie alle sorgsam sammelte und in ein Album einklebte. Oft dauerte es weit mehr als ein Jahr, bis ihn die Antwort erreichte und die meisten Flaschen gingen unwiederbringlich verloren. Aber aus den Daten, die er so sammelte und die er noch durch andere Beobachtungen erweiterte, konnte er zumindest grob die Meeresströmungen ableiten.

Dieses Experiment wird in einzelnen ausgewählten Flaschen vorgestellt, die immer wieder als eigenes Kapitel eingestreut sind. Struck führt dazu am Kapitelanfang die zurückgelegte Distanz, die Zeit, die Geopositionen, die Personen, welche die Flasche ausgesetzt haben und den Finder an. Auf der darauf folgenden Doppelseite ist eine große Abbildung des Eintrages in dem Album zu finden, welche das originalen ausgefühlten Formular und den Notizen von Neumayer zeigen. Alle aufzuführen würde natürlich den Rahmen des Buches sprengen und so sind es ein paar ausgewählte Flaschen.

Zwischen diesen ausgewählten Flaschen sind dann längere Kapitel eingestreut, welche sich mit ganz unterschiedlichen Themen rund um die Flaschenpost befassen. Dazu gehört ein historischer Abriss der Flaschenpost, Neumayers Werdegang und Schaffen, aber auch eine Vielzahl anderer Anekdoten und Geschichten, rund um die Flaschenpost. Es geht um die Rolle der Flaschenpost in der Wissenschaft, es wird über die Flaschenpost philosophiert, beispielsweise indem sie mit Gedichten in Verbindung gebracht wird und Struck erzählt in einem Kapitel darüber, wie das Schiff London sank und wie von dieser zuvor mehrere Briefe in verschiedenen Flaschen ausgesandt wurden. Oder er verbindet zwei ausgesetzte Flaschen mit der Geschichte der Sklaverei, berichtet über die Middle Passage und wie zwei Flaschen, welche an der gleichen Stelle ausgesetzt wurden in komplett unterschiedliche Richtungen davon drifteten und am Ende an zwei unterschiedlichen Kontinenten anlandeten. In einem anderen Kapitel beschreibt Struck eine Szene, in der Neumayer zusammen mit dem Maler Eugene Von Guérard und einigen anderen Teilnehmern einen Berg in den australischen Alpen besteigt. Zuletzt geht Struck auch noch auf die Flaschenpost in der Literatur ein und erzählt in einem Kapitel den dreiteiligen Roman Die Kinder des Kapitän Grants von Jules Verne und in einem weiteren das Märchen Flaskehalsen (Flaschenhals) von Hans Christian Andersen Märchen nach und interpretiert diese.

Insgesamt ist das Spektrum also ziemlich breit. Struck versucht hier einen Rundumblick zu geben und die Flaschenpost aus allen möglichen Perspektiven zu betrachten. Bei der Lektüre ist mir aber bewusst geworden, dass die Flaschenpost eine weitaus weniger lebhafte Geschichte hat, als ursprünglich angenommen. Das Buch enthält spannende Anekdoten, beispielsweise von einer Mutter, die sich einer Flaschenpost anvertraut hat, um ihre Trauer zu verarbeiten. Oder über Kolumbus erste „Flaschenpost“, einem treibenden Fass, das die Nachricht von der Entdeckung Amerikas enthielt, sollte sein Schiff auf der Rückfahrt denn sinken. Gleichzeitig gab es viele Kapitel, bei denen mir der Bezug zur Flaschenpost sehr konstruiert vorkam. Beispielsweise wenn es um ein Gedicht über eine Flaschenpost und deren Interpretation ging. Oder auch die Geschichte über die Bergbesteigung, wo doch sehr krampfhaft die Irrwege eines verschollenen Assistenten mit den unbekannten Pfaden der Flaschenpost in Verbindung gebracht wurden.

Meine Erwartung hier Geschichten vorzufinden, die mit einem gewissen Witz, mit einer Wendung, einer versteckten novellenartigen Botschaft bestechen, wurden nur zum Teil erfüllt. Das mag an den eingestreuten Kapiteln über Neumayers Werdegang liegen, aber auch daran, dass einige der dargestellten Anekdoten nur am Rande etwas mit der Flaschenpost zu tun haben. Das liegt aber auch an dem geschwätzigen Stil, in dem schon sehr viel philosophiert, interpretiert und ausschweifend spekuliert wird. Das war mir an vielen Stellen zu viel und ich habe mich ertappt, wie ich nochmal die Vita über den Autoren aufgeschlagen habe.

Wolfgang Struck ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Erfurt. Sein Fokus liegt schwerpunktmäßig auf den Bezug zwischen Wissenschaft und Literatur. Ich denke dieser Hintergrund ist es, der für den Anteil an Philosophieren und Interpretieren sorgt. Wobei an den vielen Zitaten und auch den ausführlichen Quellenverweis zu sehen ist, dass für das Buch sehr ordentlich und ausführlich recherchiert wurde.

Sehr spannend fand ich in dem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die Flaschenpost eigentlich erst mit der industriellen Fertigung von Flaschen Einzug halten konnte. Damals gab es nicht viele Flaschen an Bord eines Schiffs, Wasser und andere Getränke wurden in Fässern gelagert und allenfalls hatte der Kapitän in seiner Kajüte die ein oder andere Flasche. Die zweite spannende Erkenntnis ist die Tatsache, dass eine funktionierende Flaschenpost von einem globalisierten Postsystem abhängig ist. Neumayers Versuch hat nur deshalb funktioniert, weil es erst seit wenigen Jahrzehnten die Möglichkeit gab, auch von anderen Kontinenten Post zuverlässig zurück nach Deutschland schicken zu können. Die romantische Vorstellung, dass ein Pirat mit seiner Rumflasche auf einer Insel strandet, dort mit Hilfe einer Flaschenpost um Rettung bittet, kam wohl in der Form nie wirklich vor oder war so unwahrscheinlich, dass es eigentlich keiner Erwähnung wert ist.

Interessant fand ich es auch über Georg von Neumayer zu lesen. Den Namen Neumayer habe ich sofort mit der Polarstation in der Antarktis in Verbindung gebracht und tatsächlich wurde diese nach ihm benannt. Neumayer selbst hatte einen wenig geradlinigen Lebenslauf, er wurde 1826 in der Pfalz geboren, er bewarb sich 1848 bei der Flotte, wurde aber abgelehnt, reiste dann als Seemann nach Australien, wo er einige Zeit auf den Goldfeldern arbeitete und andere deutsche Auswanderer in Navigation unterrichtete. Er studierte Geophysik und Hydrographie und war erster Direktor der von ihm angeregten Deutschen Seewarte aus der schließlich das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie werden sollte.

Das Buch, mit dem Teilleinen und der Zeichnung auf dem Cover gefällt mir sehr gut. Es hat allerdings keine Fadenbindung, dafür aber das schöne geschmeidige Papier, dass ich an den mare Büchern so schätze. Die Abbildungen haben durchgängig eine hervorragende Qualität und das Buch hat ein farblich schön abgestimmtes Lesebändchen. Mir gefällt es sehr gut und es passt hervorragend zu den anderen Büchern über das Meer, die bei mir im Schrank stehen und ebenfalls optisch ähnlich aufgemacht sind.

Fazit: Bei der Lektüre von Flaschenpost ist bei mir wieder das typische Gefühl von Meeres-Abenteuer aufgekommen, diese Stimmung, die vielen Büchern mit maritimen Geschichten anhaften. Der Leser erfährt über das Forschungsprojekt Neumayers, der mit ausgesetzten Flaschen die Meeresströmungen genauer analysieren wollte. Dabei wird dem Leser ein ganz guter Einblick in Neumayers Schaffen und Leben gegeben. Grundstruktur des Buches sind ausgewählte Flaschen, deren Inhalt tatsächlich wieder Neumayer erreichten und deren kurze Geschichte und Eckdaten der Leser erfährt. Die eingestreuten Anekdoten und Geschichten über die Flaschenpost fand ich oft sehr interessant, manchmal auch zu geschwätzig und manchmal vom Bezug zur Flaschenpost etwas konstruiert. Es ist auf jeden Fall wieder ein sehr schönes Buch, angenehm für entspannte Leseabende, auch gut als Geschenk geeignet, gemessen an den vielen Büchern mit Geschichten und Anekdoten über das Meer ist es für mich aber eher im Mittelfeld angesiedelt.

Buchinformation: Flaschenpost • Wolfgang Struck • mare Verlag • 224 Seiten • ISBN 9783866486737

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die schöne Rezension. Ich habe das Buch auch im neuen mare-Programm entdeckt und war neugierig geworden, aber nicht richtig überzeugt. Dank Deiner Rezension habe ich jetzt, denke ich, einen sehr guten Einblick gewonnen.

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