Ein Leben • Guy de Maupassant
Ein französischer Autor aus dem 19. Jahrhundert, dazu noch aus dem Dunstkreis von Flaubert und Zola, also mal ganz ehrlich: Was kann man da noch falsch machen? Dazu noch ein Buch, das in dieser Aufmachung daher kommt. Ich glaube es zeichnet sich nach diesen einleitenden Worten schon ab, dass ich von Ein Leben sehr begeistert bin. Vom Inhalt her hat mich das Buch sofort angesprochen, weil es wieder von einem Frauenschicksal handelt, was mich hinsichtlich des gesellschaftlichen Kontextes dieser Zeit auf eine ganz eigene Weise fasziniert. Solche Geschichten ermöglichen einen Blick auf das, was alle Menschen gleichsam bewegt, wonach sie streben und legt frei, was verschiedene Fassetten von Persönlichkeiten aus einem Leben machen können.
Jeanne ist eine naive junge Frau und Maupassant macht für diesen Umstand eine von Vater bewusst forcierte Erziehung verantwortlich, bei der der Rückzug hinter die hohen Mauern einer Klosterschule das junge Mädchen von allem Übel der Welt fernhalten sollte. Das ganze Buch ist dann eigentlich ein steter Prozess der Erkenntnis für die junge Ehefrau, die Stück für Stück erkennen muss, dass das fluffige Leben, in das sie ihre Eltern zu hüllen verstanden, nicht so makellos ist, wie sie ursprünglich dachte. Dabei beschreibt Maupassant sehr schön ihre Gedankengänge, wie sich ihr Bild von den Menschen ändert und wie diese abstrakte Vorstellung sich langsam an die wahren Begebenheiten angleicht. Den Prozess der Anpassung, den Jeanne durchläuft ist spannend zu beobachten. Wie sie sich in diese Realität einfindet, sie wahrnimmt und wie sie darauf reagiert.
Jedermann war also gemein, verlogen und falsch. Und Tränen stiegen ihr in die Augen. Zuweilen beweint man die Illusionen mit ebenso viel Trauer wie die Toten. (S. 187)
Die Frage, was hat das Buch beim Mare Verlag zu suchen hat, wird gleich zu Beginn mehr als deutlich beantwortet. Die Natur und allen voran das Meer nimmt in diesem Buch einen festen Platz ein. Les Peuples („Peuple“ ist das normannische Wort für Pappel) ist ein wunderschöner Landsitz, ein kleines Schloss, direkt an der Küste der traumhaft schönen Normandie und die naturverliebte Jeanne trifft hier auf ein paradiesisches Landleben, wie sie es sich immer erträumt hat. Maupassant beschreibt dies ganz im naturalistischen Stil mit wunderbaren Worten und viel Hingabe, so dass ich mir den Handlungsort, die immer wieder auftauchenden schönen Schauplätze sehr gut vorstellen konnte. Gleichzeitig hat diese Natur auch immer eine Wirkung auf die Bewohner von Les Peuples und so erlebt Jeanne Sommer voller Überschwang, aber auch tief trübselige frostige Winter und graue Herbsttage. Die Handlung bringt das sehr voran und dieses Zusammenspiel aus Natur und Figuren hat mich stark an Sturmhöhe erinnert, wobei hier natürlich die Parallelen nicht ganz so stark ausgearbeitet und übertrieben sind und im direkten Vergleich Maupassant auf sehr gemäßigten Pfaden wandelt. Folgende Textstelle ist einer sehr rasanten Passage entnommen. Vor und nach dem Text werden Handlungen einer Person beschrieben und da, inmitten hinein, pflanzt Maupassant solche Sätze und beschreibt mit den Eindrücken der Natur die Gedanken und Gefühle der Menschen.
Die unruhige See wälzte ihre Wogen heran; die tiefschwarzen, dicken Wolken drängten in wahnsinniger Schnelligkeit herbei, flogen, gefolgt von weiteren, vorüber; und jede von ihnen überschüttete die Küste mit einem wilden Sturzregen. Der Wind pfiff, heulte, schor das Gras, legte die junge Ernte flach, brachte, als seinen es Schaumflocken, große weiße Vögel mit, die er weit ins Land riss. (S. 232)
Was mich an dem Buch besonders fasziniert ist die Tatsache, dass die Handlung wirklich realistisch ist. Eine Frau zu dieser Zeit, deren Leben so verläuft ist wohl nicht einmal unüblich gewesen und der gesellschaftliche Rahmen, an dem auf vielfältige Weise Kritik geübt wird, war damals wohl eine Lebenswirklichkeit. Die große Leistung Maupassants ist dabei, wie er die ganze Handlung auf die Persönlichkeit von Jeanne aufbaut. Es ist ihr Wesen, ihre Charakterzüge und ihr Temperament, welche den Verlauf der Geschichte realistisch machen und in vielen Geschehnissen sich widerspiegeln. Ein Buch so zu komponieren ist einfach eine ganz besondere Kunst.
Diese Ausgabe enthält zudem einen sehr interessanten Anhang, der dem Leser einige sehr spannende Informationen liefert. Zum einen gibt es zu einigen Seiten einige Anmerkungen. Dort erfährt man einige Bezüge zu Flauberts Madame Bovary, der für Maupassant ein Mentor war und bis zu Flauberts Tod ihn in vielerlei Hinsicht ratgebend zur Seite stand. Allerdings muss ich sagen, dass ich während der Lektüre mich überhaupt nicht an Madame Bovary erinnert gefühlt habe und auch so keine großen Parallelen zwischen den beiden Geschichten entdecken kann (was dann auch im Nachwort konstatiert wird).
Neben den Anmerkungen findet man eine alte Fassung einer Szene, die im eigentlichen Buch recht kurz ausfällt. Einer ausführlicheren Fassung einer Schiffstaufe, die ich nicht unbedingt mit in das Bändchen aufgenommen hätte. Überhaupt war das Buch in Maupassants ersten Entwürfen wesentlich umfangreicher und hatte mehr Charaktere. Alles hat er dann zusammengekürzt, was eine sehr gute Entscheidung war, denn so macht das Buch einen runden Eindruck und ist nicht im Ansatz langatmig oder langweilig.
Drei Briefe sind beigefügt, die zwischen Maupassant, Léonie Brainne und Flaubert gewechselt wurden. Im Nachwort wird dann erklärt wieso: Flaubert und Brainne haben Maupassants schriftstellerisches Schaffen mit beeinflusst und geprägt, auch wenn Maupassant schließlich seine eigenen Wege gegangen ist.
Eine Chronik zeigt Maupassants Leben und ein Nachwort von Julian Barnes erläutert ein paar weiterführende Informationen zum Buch. Meiner Erfahrung nach ist ein Nachwort zu einem Klassiker entweder kompletter Schrott oder sehr spannend und aufschlussreich. Dieser hier ist einer von den Letzteren. Ein Leben war Maupassants erster Roman und das Leben seiner Eltern hat in Teilen diesem Roman als Vorlage gedient.
Diese Ausgabe ist im Mare Verlag erschienen und liegt in gebundener Form in einem Schuber vor. Wie bisher von jedem Buch der Schuber Reihe bin ich auch von diesem hier begeistert. Es ist sehr wertig, hat einen wunderschönen Einband, der im Sonnenlicht leicht schimmert. Wer also eine alte Ausgabe von diesem Buch Zuhause hat und es liebt, so wie ich das nach der Lektüre tue, dann lohnt der Kauf auf jeden Fall.
Fazit: Maupassant ist ein begnadeter Autor, der Charaktere so vielschichtig und realistisch beschreibt und herausarbeitet, dass er für mich in die gleiche Riege wie Tolstoi, Flaubert und Dumas eingeordnet wird. Ein Leben ist eine stimmige Geschichte und es ist faszinierend Jeannes Leben und Schicksal zu verfolgen, dabei aber auch in ihre Welt, in die Natur und das Meer um Les Peuples, einem wunderschönen Schloss in der Normandie, einzutauchen und die vielen Eindrücke zu geniesen. Ein Buch, das ich in dieser Ausgabe uneingeschränkt empfehlen kann und das auch einen Ex Libris Stempel bekommt (nur die besten Bücher von denen ich mich auf keinen Fall mehr trennen werde, bekommen einen Ex Libris Stempel).
Buchinformation: Ein Leben • Guy de Maupassant • mare Verlag • 384 Seiten • ISBN 9783866481947
Ich habe das Buch vor ca. 30 Jahren (mehrmals)gelesen und es ist mir immer noch bis ins kleinste Detail gegenwärtig. Ich fand Jeannes Entwicklung auch sehr spannend und gut nachvollziehbar. Auch Deine Freude über das wunderschöne Exemplar aus dem Mare-Verlag kann ich nachempfinden, das ist ein Buch für`s ganze Leben, was garantiert nicht aussortiert wird. Und Dein Exlibris erinnert mich sehr an die meines Vaters, der die noch selber im Linolschnitt hergestellt hat. Ist das ein Stempel?
Liebe Devona,
ich glaube ich hätte das Buch nie gefunden, wenn das der Mare Verlag nicht in der Form neu aufgelegt hätte. Dadurch dass bei allen Büchern aus der Klassiker Reihe vom Mare Verlag die Natur und das Meer so schön dargestellt werden, aber auch von dem Inhalt her ist das Buch für mich ein absolutes Muss gewesen. Aber das spricht ja für das Buch, wenn du dich nach so langer Zeit noch gut an die Geschichte erinnern kannst. Maupassant schreibt aber auch echt besonders gut.
Das ist ein Stempel, auch ein individuell mit Hand erstellter. Darüber hab ich schon gebloggt.
Liebe Grüße
Tobi