Modeste Mignon • Honoré de Balzac
Balzac ist für mich einer von den ganz dicken Fischen im Literaturteich und einer meiner absoluten Lieblingsautoren. Auf Lesestunden hab ich ihn bisher vernachlässigt und das will ich nun wieder gut machen und stelle eines seiner Bücher aus seiner menschlichen Komödie vor. Modeste Mignon hat mich vom Klappentext her sofort angesprochen und ist sehr schnell ganz nach oben auf meine Wunschliste gewandert. Aktuell lese ich mich durch das aktuelle Klassiker der Weltliteratur Programm vom Manesse Verlag (sehr viele Bücher sind ja mittlerweile vergriffen) und beim Stöbern auf der Webseite vom Verlag war es neben Manon Lescaut eines der Bücher, an denen ich nie vorbei gekommen wäre.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Modeste, Tochter eines Pleite gegangenen Kaufmanns. Gut behütet, verliert sie sich in der Welt der Bücher und schwärmt besonders für einen Dichter aus Paris. Sie schreibt ihm und es entsteht ein angeregter Briefwechsel. Doch nicht mit dem Dichter und so wird das Ganze plötzlich ziemlich schnell interessant. Der Beginn erinnert also ein wenig an einen Briefroman, wobei sich das allerdings auf die ersten 200 Seiten beschränkt und auch dort immer wieder durch Kapitel in erzählender Form unterbrochen wird.
Balzacs Art zu schreiben ist sehr detailliert, mit vielen Erläuterungen, mit genauen Beschreibungen, wie seine Charaktere aussehen, wie die Örtlichkeiten beschaffen sind und vielen Ausflügen und Erklärungen zur gesellschaftlichen und politischen Situation. Um mich an diesen ausladenden Stil zu gewöhnen, brauche ich immer die ersten 30 bis 40 Seiten. Aber dann saugen mich seine Bücher vollkommen ein und ich tauche ab in seine Welt. Dabei wartet er mit einer wirklich sehr schöne Sprache auf, die sich sehr flüssig liest und mit sehr schönen Sätzen besticht. Es entsteht ein sehr genaues Bild vor dem geistigen Auge und für mich ist das Lesen von Balzacs Büchern ein wenig, wie wenn ich einen Film anschaue. Ein Beispiel für einen solchen gelungenen Satz:
„Sie trank in langen Zügen aus dem Becher des Unbekannten, des Unmöglichen, des Traums. Sie bewunderte den blauen Vogel des Paradieses junger Mädchen, der in der Ferne singt und den man niemals berühren kann, der sich nur flüchtig zeigt und den das Blei keines Gewehr erreicht, dessen magische Farben und Juwelen funkeln und die Augen betören und den man nicht mehr sieht, sobald die Wirklichkeit, diese grässliche Harpyie, […] erscheint.“ (S. 96)
Modeste Mignon ist ein Buch aus seinem unvollendeten Romanwerk, das er an Anlehnung an Dantes Göttliche Komödie als Die menschliche Komödie (La Comédie humaine) bezeichnet hat. Im Fokus steht dabei die französische Gesellschaft zur Zeit der Restauration und ist damit auch immer ordentlich kritisch, zynisch und auch oft satirisch. Die ganze Romanreihe besteht auch aus Erzählungen, Essays und in Summe 91 vollendeten Romanen, wobei sein Ziel 137 Romane waren. Verlorene Illusionen ist dabei sein bekanntestes Werk, das ich auch nur jedem empfehlen kann. Dabei zeichnet er ein sehr deutliches Bild von den Sitten seiner Zeit und es ist ein Vergnügen seine Bücher zu lesen, weil sie auch aus erzählerischen Sicht mehr als spannend und unterhaltsam sind. Dabei ist das Besondere, dass seine Charaktere immer wieder in den unterschiedlichen Büchern auftauchen. Teilweise nur als Randfigur, manchmal aber auch im Zentrum mit einem umfangreichen Werdegang. 2000 verschiedene Charaktere soll er erschaffen haben, 573 Personen kommen in mindestens zwei Werken vor und auf dieser Seite gibt es eine kleine Übersicht über eine Auswahl an bedeutende Personen aus seinen Geschichten.
Wenn ich an Verlorene Illusionen denke, dann hat mich diese Vielzahl an verschiedenen Figuren, die er manchmal auch mit eher wenigen Erklärungen, manchmal mit sehr umfangreichen Anmerkungen einführt, etwas verwirrt und ich musste immer wieder zurück blättern und nochmal schauen, wer nun wer war. Das ist in diesem Buch nicht so, hier ist die Auswahl an Figuren übersichtlich und man bekommt schnell einen Eindruck davon, wer wie tickt und welche Rolle jemand spielt.
Modeste, die natürlich gebührend vorgestellt wird, fand ich zwar von den Charakterzügen realistisch und auch schön ausgestaltet, aber die Zielsetzung, die Motivation für ihr Handeln habe ich als aufgesetzt empfunden. Allerdings hat das einen bestimmten Grund und was Balzac daraus macht, die Konstellation die er arrangiert, wie er seine Figuren in Position bringt, macht das Buch ab der Mitte zu einem ganz besonderen Lesevergnügen. Auch wenn die Figuren teilweise stereotypisch anmuten, ist es gerade das Zusammenspiel aller, die diesem Buch viel Würze gibt, die den Plot vermeintlich vorhersehbar macht, aber dann den Leser doch immer wieder überrascht. Zusammen mit zahlreichen Bonmots und den Ausführungen zur Gesellschaft, aus einer kritischen Perspektive Balzacs (oft hört man ihn selbst aus seinen Figuren sprechen) und mit den nie langweiligen, oft kurzen gedanklichen Einschüben ist das Buch ganz großes Kino.
„Gobenheim entschlüpfte jener Satz, der heutzutage das heilige Salbungswort des Genies im Sinne der Nationalökonomen und der Bankiers ist: >>Er verdient ein irrsinniges Geld!<<“ (S. 369)
Balzac war ein Lebemann, hatte in in seiner erfolgreichen Zeit Geliebte und war wohl auch ein Salonlöwe. Das merkt man den Reden an, die er seinen Figuren manchmal in den Mund legt und das merkt man auch an der Art und Weise, wie er die Feinheiten des gesellschaftlichen Aufeinandertreffens beschreibt. Dabei sind Themen wie das gehobene gesellschaftliche Leben, das Erlangen von Bedeutung in der adeligen Gesellschaft und der soziale Auf- und Abstieg immer wieder im Zentrum. Sicherlich hat das auch etwas Autobiographisches, denn genau das sind zentrale Dinge aus seinem eigenem Leben. Als Sohn einer Bauernfamilie, der für seinen Erfolg hart erarbeitet hat, zahlreiche Unternehmungen probiert hat und auch genauso oft gescheitert ist, hat er es letzten Endes doch geschafft, sich in der Welt des Adels seiner Zeit zu positionieren, einen aufwendigen Lebenswandel mit zahlreichen Gräfinnen und verheirateten adeligen Frauenbekanntschaften zu pflegen. Und tatsächlich verrät das Nachwort, dass es ganz deutliche Parallelen zwischen Modeste Mignon und der polnischen Adeligen Eveline Hanska gibt, die viele Jahre zusammen brieflich korrespondiert haben und um die Balzac gebuhlt und sie, nach dem Tod ihres 20 Jahre älteren Mannes auch geehelicht hat. Vorlage für den Dichter Canalis war wohl der Pianist Franz Liszt der seinerseits auch im Umfeld Hanskas unterwegs war. Das Buch scheint also ordentlich mit der Realität und Balzacs Bestreben und Werben um Hanska verquickt zu sein.
Dabei erinnert mich Balzac sowohl von der Biographie, als auch vom Schreibstil an Alexandre Dumas und an Victor Hugo. Beide kannte er gut und hat mit ihnen den Société de Gens de Lettres, einem Schriftstellerverband gegründet. Also auch kein Wunder, dass sie vom Stil her eine gewisse Nähe haben.
Dieses Buch wird dadurch spannend, dass verschiedene Figuren auf ihre ganz eigene Art die Sitten dieser Zeit darstellen und zum Leben erwecken. Der alte Adel, der stark an Bedeutung eingebüßt hat, die kapitalistische Gier nach Geld, die Rolle der Frau und der Heirat in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich kurz vor der Julirevolution stark im Umbruch befand, all diese Facetten tauchen im Handeln und Denken der einzelnen Protagonisten wieder auf.
Fazit: Balzac weiß einfach wie man eine gute Geschichte erzählt und schafft es die Sitten der Restauration durch seine Figuren zu porträtieren und in eine spannendes Buch zu verpacken. Sein manchmal ausführlicher aber wunderbarer Stil, die kleinen Bonmots und Seitenhiebe auf die Gesellschaft seiner Zeit und die angenehme und schöne Sprache machen die Lektüre zu einem Genuss. Das Werben um Modeste hat mich mit seinen Wendungen, dem gesellschaftlichen Reigen und den spannenden Dialogen gefesselt und ich habe es sehr bedauert, als ich dieses Buch zu Ende gelesen hatte. Ewig hätte das so weiter gehen können und für mich ist klar, dass Modeste Mignon nicht das letzte Buch aus der menschlichen Komödie ist, das ich gelesen habe.
Buchinformation: Modeste Mignon • Honoré de Balzac • Manesse Verlag • 576 Seiten • ISBN 9783717521808
Hallo Tobi,
unglaublich, aber wahr: Dieses schöne Manesse-Büchlein war (vor „Emma“) mein letzter Neuzugang aus der Bibliohtek der Weltliteratur. Wunderbar, dass du es jetzt hier so schön in Szene gesezt hast. Ich finde es erstaunlich, wie wenig Titel Balzacs derzeit auf deutsch verfügbar sind.
Wieder ein toller Artikel von Dir.
Liebe Grüße
Thomas
Hallo Tobias!
Wie immer eine wundervolle Rezension, die Lust macht zum Klassiker-Regal zu schlendern und endlich wieder einmal einen Blazac-Roman zu lesen.
Schönen Montag,
Nana
Ich habe vor kurzem auch die tollen Büchlein aus dem Manesse Verlag für mich entdeckt. Freue mich auch immer sehr über deine Klassiker-Rezensionen und dass du diese besonderen Bücher einem so „schmackhaft“ machst 🙂 Von Balzac habe ich leider noch gar nichts gelesen. Aber er steht definitiv auf der „To Read“ Liste – jetzt noch mehr als zuvor.
Liebe Grüße
Britta
Hi Tobias,
das Zitat hat mir schon gezeigt, dass ich wohl auch erstmal eine Weile brauchen würde, um ich an diesen ausschweifenden Stil zu gewöhnen. Danke für die Rezi, du hast mir richtig Lust gemacht, auch endlich wieder einmal zu einem Klassiker zu greifen, obwohl es wohl nicht Balzac sein wird 😀
Liebes Friedelchen,
Balzac liest sich eigentlich sehr angenehm, an seinen Stil gewöhnt man sich recht schnell und dann ist es ein großes Vergnügen seine Bücher zu lesen.
Es freut mich, wenn ich die Lust auf einen Klassiker wecken konnte. Welchen hast du denn ins Auge gefasst?
Liebe Grüße
Tobi
Ich habe grad mal geguckt, ich habe jede Menge Bücher von Balzac hier, von meinem Opa übernommen. Dann werde ich mich wohl doch einmal an ihm versuchen. Gibt es noch andere Bücher von ihm, die du empfehlen kannst (Modeste Mignon ist natürlich nicht dabei)?
Ich dachte bei meinem Ausflug unter die Klassiker eher an deutsche Autoren. Thomas Mann, Kafka etc.
Also das bekannteste und auch ein echt spitzen Buch ist „Verlorene Illusionen“. Der zweite Teil heißt „Glanz und Elend der Kurtisanen“. Beide Bücher hab ich verschlungen, die sind einfach klasse.
Deutsche Klassiker habe ich bisher stark vernachlässigt. Aber das hol ich noch noch nach. Thomas Mann ist auch schon auf meinem SuB.
Liebe Grüße
Tobi
Danke für die Tipps, die beiden werde ich mir einmal genauer anschauen.